Neuer KinofilmPablo Larraíns grandioses Liebes- und Lebensdrama „Ema“
Am Anfang ist das Knistern. Die Leinwand ist noch schwarz. Ein beunruhigendes Gefühl setzt ein. Dann öffnet das Bild, oder viel mehr – die Kamera senkt sich aus dem Nachthimmel herab und löst das Rätsel. Wir sehen über einer Straße befestigt eine Ampel – in Flammen. Wohlwollend schaut die Kamera noch ein wenig zu. Und während die Frage nach dem Sinn des Bildes reift, schalten alle anderen Ampeln auf Grün und wir sehen eine junge Frau mit kurzen blonden Haaren, die einen Flammenwerfer mit sich führt und ihn – offensichtlich – eben erst benutzt hat. Damit ist die Titelheldin im Spiel und man weiß: Auch im neuen Film des Chilenen Pablo Larraín gibt es keine Sicherheiten, Gewissheiten oder Eindeutigkeiten. Und das ist – wieder einmal – auch gut so.
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Ema arbeitet als Sportlehrerin in Valparaiso. Sie lebt mit dem Choreografen Gastón, in dessen sie Compagnie sie tanzt. Das Paar hatte einen Jungen von zehn Jahren adoptiert und wieder zurückgegeben, als die Erziehungsprobleme wegen Polos Lust am Zündeln überhandnahmen und der Junge sogar seine Tante anzündete und ihr die Haare und das halbe Gesicht versengte. Das ist noch gar nicht lange her, aber schon jetzt setzt bei Ema und Gastón ein unterschwelliges Bedauern über die eigene Schwäche ein. Die Beziehung rutscht in eine scheinbar unüberwindliche Krise. Ema zieht zu Freundinnen, sucht ihr Glück in nächtlichen Zerstreuungen und Orgien mit ihren Freundinnen, aber je wilder sie ihren Ausbruch lebt und sich in die Affäre mit einem Feuerwehrmann stürzt, umso stärker wächst das Gefühl, dass sie einen Fehler beging und sich der Verantwortung stellen muss. Die Frage ist nur, ob sie das allein durchzieht – oder doch zusammen mit dem von Gael García Bernal gespielten Gastón.
Ja, es gibt ein Leben nach schwerer Verfehlung. Der Punkt ist, was man daraus macht. Pablo Larraín bewies schon in seinen früheren (hierzulande gezeigten) Filmen „No“, „El Club“, „Neruda“ und auch in seinem englischsprachigen „Jackie“ ein Faible für unberechenbare Handlungen und die Konsequenzen daraus. In jenen Filmen wie auch jetzt in „Ema“ zeigt sich: der Mann hat Moral, ohne dabei moralisierend zu sein. Ganz ohne Vorverurteilung darf sich die Titelheldin, in explosiver Sinnlichkeit verkörpert von Mariana Di Girólamo, ihre Absolution in Exzess und Zerstörung aber auch nicht erkämpfen.
Es sind enorme emotionale Achterbahnschluchten, durch die Larraín seine Protagonisten schleudert – den Zuschauern wird damit einiges zumutet. Aber fast noch mehr Beachtung verdient es, was für einen gut gestalteten Film er schon wieder abgeliefert hat. Die sanft gleitenden Fahrten (Kamera: Sergio Armstrong) und der Einsatz von Signalfarben, die kluge Interpunktion mit den von Jose Luis Vidal choreographierten Tanzszenen, die superbe Schauspielerführung gerade auch in den frei von der Sensationssucht eines Gaspard Noé inszenierten Liebesszenen – all das addiert sich zu einem Filmwerk von stilistischer Geschlossenheit und erzählerischer Unberechenbarkeit. Wer jetzt noch meckert, dass im Kino derzeit nichts Gutes läuft, hat diesen Film auch nicht verdient.