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Kölner PianistFabian Müller über sein „Panik-Engagement“ in Corona-Zeiten

Lesezeit 5 Minuten

Fabian Müller im Gespräch mit dem „Stadt-Anzeiger“

  1. Fabian Müller ist Kölner Pianist und frisch gebackener Klavierprofessor. Er kennt sich also sehr gut aus mit Musik.
  2. Am 30. September dieses Jahres erhielt er allerdings einen Anruf, der selbst ihn ein wenig aus der Fassung gebracht haben dürfte.
  3. Wer am anderen Ende der Leitung war, was Müller tun musste und wie er überhaupt zur Musik gekommen ist.

Köln – Nach einem mit Aufnahmeprüfungen gespickten 30. September 2020 an der Musikhochschule hatte sich der frisch gebackene Klavierprofessor auf einen ruhigen Abend in seiner Wohnung am Theodor-Heuss-Ring gefreut. Und dann? „Ich schieb mir gerade mein Essen in die Mikrowelle“, erzählt Fabian Müller, „da klingelt das Telefon.“

Am anderen Ende Philharmonie-Intendant Louwrens Langevoort: „Hast du die fünfte Cellosonate von Beethoven drauf? Es wäre schön, wenn du die spielst.“ Wann? „Sofort, im Konzert um acht Uhr.“

Was war passiert? Ein Mitglied des Artemis-Quartetts, das an diesem Abend sein Kölner Konzert geben sollte, war corona-halber verhindert, so dass die Alternative „Neues Programm oder Ausfall“ im Raum stand. Langevoort setzte auf eine Umstellung der Agenda – mit den verbliebenen Mitgliedern des Quartetts und einer personellen Verstärkung von außen. Da geriet der 30-jährige – pianistisch eine sichere Bank, in der Nähe wohnend und in der Philharmonie ein gern gesehener Gast – in sein Visier.

Müller hatte zufällig geübt

Und der Intendant hatte sogar Glück: Müller hatte die Sonate vor zwei Jahren geübt: „Ich habe sie kurz angespielt und gemerkt: Das steckt noch irgendwo in mir vergraben.“ Also Zusage, Fahrt mit dem E-Roller zur Philharmonie, wo der Cellist Eckart Runge zur Anspielprobe wartete. Für ein weiteres Stück – Mozarts Violinsonate KV 304, aufzuführen mit der Primaria – mussten noch die Noten kopiert werden, Probe war kaum („Das Werk ist sehr schön, aber technisch nicht schwer“). Der Mittelsatz aus Mendelssohns erstem Trio wurde ebenfalls ungeprobt auf das Publikum losgelassen.

Wie bewältigt man so etwas? Müller: „Ich hatte gar keine Zeit, aufgeregt zu sein. Wir waren auch nicht gestresst, da herrschte die Heiterkeit der Verzweiflung.“ Und: „Im Konzert war es dann so kammermusikalisch wie selten. Ich musste zuhören, wusste ja nicht, wie die spielen würden.“ Offenkundig setzte die Ausnahmesituation ungeahnte Kräfte frei – Mozart und Beethoven gelangen nach dem Urteil der Zuhörer vorzüglich, und der ungeprobte Mendelssohn geriet (der Schreiber dieser Zeilen war anwesend) zu einem Augenblick inspiriertester Interaktion. Spielt Fabian Müller einfach alles, oder hätte er bei einer anderen „Werkforderung“ „nein“ gesagt? „Schwere Sachen, die ich noch nie geübt habe, hätte ich nicht gemacht.“

Gut im Geschäft

Trotz Pandemie und auch ohne „Panik-Engagements“ ist Müller gut im Geschäft. Die Basis dafür ist allemal die neue Halbzeit-Professur am Standort Wuppertal. Müller spricht von einem „perfekten Timing“ in der Corona-Krise: „Dann kann einem nichts Besseres passieren.“ Unabhängig von Corona gebe sie „mir Freiheit in meinem Berufsfeld“. Obwohl sich er gegen 150 Mitbewerber durchsetzen musste, ist dieser Erfolg so überraschend nicht – Müller wird als einer der begabtesten deutschen Nachwuchspianisten gehandelt.

Etlichen Wettbewerbspreisen folgte vor zwei Jahren die von der Kritik hochgelobte Debüt-CD mit Brahms-Klavierstücken. Das war durchaus ein Statement, über das Opus 117/1 gerät der Pianist schier ins Schwärmen: „Brahms spricht mir aus dem Herzen: Das ist nicht einfach schön, sondern existenziell bedeutsam. Die Musik sagt: Es wird dich jemand in deiner Trauer trösten.“

Gegentyp eines Lang Lang

Müllers künstlerischem Naturell kommt diese Klavierkunst entgegen: Der Pianist inszeniert sich bei aller handwerklichen Souveränität auf dem Podium nicht als Virtuose, sondern versucht, „das Publikum leise zu packen“. Er wird damit gleichsam zum Gegentyp eines Lang Lang – was ihm selbst auch bewusst ist. Müller hält auch nichts von dem Treibhausklima, in dem Klassikkünstler gerade in Ostasien gezüchtet werden (wie er auf der anderen Seite auch die Defizite gerade der musikalischen Grundbildung in Deutschland beklagt, denen er selbst mit musikpädagogischen Projekten aufzuhelfen sucht).

In ein Bonn-Endenicher Pfarrhaus hinein geboren, begann er zwar mit vier Jahren Klavier zu spielen. Gegen eine frühe Entscheidung für eine pianistische Berufskarriere sträubte er sich allerdings lange, sie wurde ihm familiär auch nicht aufgezwungen: „Lieber wäre ich damals Fußballprofi geworden – eine Behauptung, die aber immer auch irgendwie gelogen war.“ Dann kamen Erfolge bei „Jugend musiziert“, Beethovens zweites Klavierkonzert mit dem Schulorchester seines Gymnasiums – und schließlich, mit 15, die Aufnahme in die Kölner Klasse des Klavierprofessors Pierre-Laurent Aimard.

Besondere Beziehung zu Bach

Was kann man bei Aimard lernen? „Die hundertprozentige Verantwortung für die Musik“, antwortet Müller: „Es gibt bei ihm keinen Komfort mit der Kunst, auch keine Willkür. Er schaut sich das Stück an und setzt dann alles zu allem in Beziehung, erschließt die Architektur.“ Nun kommt Aimard stark von der Neuen Musik her – wie passt dazu des Schülers Vorliebe für Brahms?

„Neue Musik ist“, antwortet er, „wichtig. Ich habe bei Aimard viel Ligeti gearbeitet – das war schon toll, weil der ihn persönlich gut gekannt hatte.“ Müller lässt aber keinen Zweifel daran, selbst „im deutschen Repertoire von Bach bis Brahms“ verankert zu sein. Zu Bach hat er eine besondere Beziehung, die Corona-Flaute überbrückte er, indem er sich noch einmal ins Wohltemperierte Klavier vertiefte.

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Zu Müllers bescheidener Selbstauffassung passt, dass er „seine“ Musik hoch schätzt, aber nicht verabsolutiert – weshalb er es in diesen Tagen auch nicht gerne hört, wenn man sie „systemrelevant“ nennt: „Es gibt viele Menschen, die gut ohne Musik auskommen. Musik ist ein wesentlicher Antrieb, der uns zu Menschen macht; aber das kann auch Malerei oder Sport sein.“

Seit einem Jahr wohnt der gebürtige Bonner in Köln: „Meine Verlobte arbeitet hier, ich habe hier studiert und bin in diesem Köln/Bonner Raum zuhause und glücklich.“ Keine Sehnsucht, mal nach New York zu ziehen? „Nein, ich bin Rheinländer, hier wohnen meine Familie und meine Freunde.“ Mit musikalischer Geografie hat diese Vorliebe auch zu tun. Müller berichtet: „Wenn man hier lebt, ist es selbstverständlich. Aber wenn man in China sagt, dass man aus Beethovens Geburtsstadt kommt und neben dem Schumannhaus großgeworden ist, flippen die da richtig aus.“