Die neue Apple+-Serie stellt die ewige Frage, ob Frau und Mann eine platonische Beziehung führen können. „Platonic“ hat aber noch mehr zu bieten.
Streaming-TippSeth Rogen wandelt in neuer Apple+-Serie auf den Spuren von Harry und Sally
Während andere Streaming-Anbieter auf Serien setzten, die sich mit dem Erwachsenwerden befassen, geht der Trend bei Apple+ eher zur Midlife-Crisis. Mit „Shrinking“ kam vor ein paar Wochen eine hervorragende Comedy ins Programm und auch „Ted Lasso“ oder „The Morning Show“ befassen sich zumindest am Rande mit dem Thema. Jetzt ist mit „Platonic“ eine weitere Serie gestartet, die sich mit Erwachsenen befasst, die irgendwo um die 40 Jahre alt sind und jetzt wieder nach dem Sinn des Lebens suchen.
Eine Muster-Familie der amerikanischen Mittelschicht
Sylvia (Rose Byrne) ist dabei eine verantwortungsbewusste Mutter dreier Kinder, die so jung sind, dass sie das Nest der Eltern noch lange nicht verlassen werden. In einer wundervollen Collage wird gezeigt, wie die Kinder, Sylvia und ihr Ehemann in ihrer offenbar viel zu kleinen Wohnung sich allmorgendlich die Zeit im Bad aufteilen. Jeder erhält fünf Minuten. Während die Erwachsenen und älteren beiden Kinder das per Stoppuhr auf dem Handy kontrollieren, kommt der jüngste Spross der Familie mit einer überdimensionalen Sanduhr ins Bad. Eine urkomische Szene, vor allem wenn der junge Mann dann auch noch sein „geheimes“ iPad herausholt, welches in einem der Badezimmerschränke versteckt ist. Auf den ersten Blick ist es eine Muster-Familie der amerikanischen Mittelschicht. Die Frau kümmert sich um die Kinder, und der Mann geht arbeiten. Das ist so klischeehaft, dass es natürlich nicht lange dauert, bis Sylvia zumindest ein bisschen aus dem traditionellen Mutterdasein ausbrechen will.
Als sie auf Instagram sieht, dass ihr ehemaliger bester Freund sich von seiner Ehefrau getrennt hat, sieht sie eine Chance und nimmt Kontakt auf. Allerdings nach fünf Jahren völliger Sendepause zwischen den beiden. Also kommt es wie es kommen muss, als sich Sylvia und Will (Seth Rogen) nach all der Zeit auf einen Kaffee wiedertreffen. Will ist mittlerweile ein erfolgreicher Bierbrauer und Teilhaber einer Bar, in der er auch selbst arbeitet. Böse Zungen könnten behaupten, er wirkt wie ein klassischer Hipster. Sylvia verheimlicht Will, dass sie von seiner Scheidung weiß und schauspielert sich eher schlecht durch die Konversation. Als ihr nichts mehr einfällt, zeigt sie Will ein Foto ihrer Bilderbuchfamilie, was zu einem abrupten Ende des Treffens führt. Glücklicherweise lädt Will seine ehemals beste Freundin noch zu einer Party in seiner Bar ein, der Sylvia nach einigen Hin und Her auch folgt.
Können Männer und Frauen Beziehungen auf rein freundschaftlicher Ebene führen?
Doch auch dieser Abend endet eher in einem Desaster, als die beiden sich zum Abschied nur noch Beleidigungen an den Kopf werfen. Wie der Name der zehnteiligen Serie schon vermuten lässt, dreht sich in „Platonic“ natürlich viel um die alte Frage, ob Männer und Frauen auch ohne Sex eine Beziehung auf rein freundschaftlicher Ebene führen können. Kritikern, die jetzt schreien, dass das schon vor Jahrzehnten von Harry und Sally im gleichnamigen Film mit Billy Crystal und Meg Ryan geklärt wurde, nimmt die Serie schnell den Wind aus den Segeln. Genau diesen Film und die damit einhergehende philosophische Frage bespricht Will nämlich in einer der ersten Szenen mit seinen Kumpels an der Bar. Es sind diese dialoglastigen Szenen, in denen „Platonic“ strahlen kann.
Zumal es eben noch einen weiteren Aspekt der Geschichte gibt, den vermutlich jede Zuschauerin und jeder Zuschauer aus dem eigenen Leben kennt. Denn wenn man einen sehr guten Freund oder eine sehr gute Freundin in seinem Leben gefunden hat, spielt es keine Rolle, wie lange man sich nicht mehr gesehen hat. Niemand muss dem anderen etwas vorspielen, schließlich kennt jeder den anderen bereits sehr genau.
Und so treffen sich natürlich auch Sylvia und Will nicht nach fünf Jahren wieder, sondern am nächsten Morgen. Nach einer kurzen Entschuldigung geht es für die beiden zu einer Hausbesichtigung. Eine aberwitzige Szene, möchte Sylvia doch gerne in ein größeres Haus ziehen und hat sich dabei ausgerechnet eine Residenz ausgesucht, welche zuvor als Heim für betreutes Wohnen genutzt wurde. Hier lässt vor allem Seth Rogen seine komödiantischen Muskeln spielen. Am Ende sind dann selbst die Verkäufer des Hauses davon überzeugt, dass Sylvia diese Immobilie besser nicht erwerben sollte.
„Platonic“ überzeugt mit einer ungewöhnlichen Leichtigkeit, die halbstündigen Folgen haben dabei genau die richtige Länge und die Chemie zwischen Byrne und Rogen stimmt. Jeder hat in seinem Bekanntenkreis vermutlich eine Sylvia und einen Will. Daher wird sich der Zusehende bestimmt mehr als einmal sagen: endlich normale Leute.