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Interview mit François-Xavier Roth„Sogar in Berlin blickt man bewundernd auf Köln“

Lesezeit 6 Minuten

François-Xavier Roth arbeitet seit 2015 in der Domstadt.

  1. Der Generalmusikdirektor und Gürzenich-Kapellmeister François-Xavier Roth hat soeben seinen Vertrag in Köln verlängert.
  2. Im Interview spricht er über die ersten Konzerte seines Orchesters seit der Corona-Krise, den umkämpften Markt der Kapellmeister und seine Vertragsverlängerung in Köln.
  3. Außerdem erklärt er, was ihn an Köln fasziniert und was ihm noch fehlt.

KölnHerr Roth, wie haben Sie die vergangenen Wochen und Monate im Zeichen von Corona erlebt?

Wie alle anderen auch: Durch „Zoom“, durch das Internet. Diese Medien haben die direkte Kommunikation mit dem Gürzenich-Orchester hier in Köln ersetzt, und auch die mit meinem Orchester „Les Siècles“ in Frankreich oder dem London Symphony Orchestra. Natürlich ist dies eine Zeit zum Nachdenken, auch darüber, was die Zukunft bringt. Man kann programmatisch arbeiten, Ideen zu Papier bringen. Aber dann? Was passiert dann?

Ich habe Sie auf YouTube gesehen, in einem Video, in dem Sie Beethoven erklären.

Die Tochter meiner Frau musste ihr Abitur via Internet zuwege bringen, da habe ich gemerkt, dass dieses Format durchaus ein Weg für Kinder und Jugendliche ist, Dinge zu begreifen. Da habe ich gedacht: Wir sind im Beethoven-Jahr, ich möchte auf YouTube etwas Wissenswertes zu seinen Sinfonien formulieren.

Wie war Ihre Erfahrung damit?

Die Videoclips haben viel Freude gemacht. Aber für die Leidenschaft und die unmittelbare Kommunikation im Konzert ist das Internet bislang nicht mehr als ein Ersatz.

Was ist denn mit Ihrer Leidenschaft? Werden wir diese bald wieder auf einer Bühne erleben?

Ich bin guten Mutes, denn wir sind in Deutschland. An der Vorgehensweise der deutschen Regierung orientieren sich viele andere Länder. Der Weg ist geebnet: Zuerst haben die Berliner Philharmoniker wieder gespielt, und auch alle anderen Zeichen, die wir in Richtung Aufnahme des Konzertbetriebs geben, werden woanders als sehr wichtig betrachtet – das ist toll!

Aber einen normalen Spielbetrieb wird es doch vorerst nicht geben?

Nein, aber ein Beispiel: Gerade habe ich meine Spaghetti bei Rewe gekauft – es gibt viele Leute dort im Supermarkt. Sie tragen Masken, sie achten auf Abstand. Warum soll man sich nicht in einem Konzertsaal ebenso vorsichtig verhalten können? Natürlich wirkt auf uns in Europa die Maske ungewohnt, fremd. Sie wird als etwas betrachtet, was zwischen uns tritt. In Asien hingegen ist es nahezu normal, dass die Künstler in einem Orchester mit Maske musizieren, und das gilt genauso fürs Publikum. In Tokio habe ich erlebt, wie selbstverständlich solche Masken sind.

Sie haben nun Ihren Vertrag als Kölner Generalmusikdirektor verlängert. Was planen Sie?

Ich plane, die musikalische Abenteuer-Reise, auf die wir gegangen sind, fortzusetzen. Das schließt unseren großen Bruckner-Zyklus mit ein, auch immer wieder eine Spurensuche in der Geschichte des Orchesters – wie mit unserem Schwerpunkt zu Béla Bartók und dem Thema „Wurzeln“ in der kommenden Saison – und natürlich Dinge, von denen wir jetzt noch gar nicht wissen, wie sie klingen und aussehen!

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Wie hat sich die Zusammenarbeit zwischen Ihnen und dem Orchester verändert? Sie kennen sich immerhin schon einige Jahre.

Sie hat sich total verändert. Als ich die Stelle antrat, kannte ich das Orchester nicht oder kaum – ich hatte es zwei Mal dirigiert. Jetzt kenne ich es sehr viel besser, auch aufgrund gemeinsamer Erlebnisse, so wie ich natürlich auch der Stadt Köln viel näher gekommen bin. Davor besaß ich Eindrücke, ich hatte meine Vorurteile, die durchaus positiv waren – nun aber habe ich tiefe Einblicke gewonnen, neue Partner kennengelernt, auch was die pädagogische Arbeit an den Schulen betrifft. Das alles braucht Zeit.

Was nicht gut läuft in Köln, ist die Renovierung der Oper. Würden Sie nicht gerne in einer Stadt arbeiten, in der Sie in einem repräsentativen Opernhaus dirigieren könnten?

Ich denke nicht darüber nach. Es ist wahnsinnig schade, dass es so lange dauert, und ich würde furchtbar gerne einmal am Offenbachplatz dirigieren, zumal ich dieses Theater gar nicht kenne – aber ich versuche, all die positiven Aspekte des Staatenhauses zu sehen. Und davon gibt es viele, nicht zuletzt die Einladung dieses Ortes an unsere Leidenschaft und Kreativität, Oper anders zu präsentieren.

Eine Einladung zum Experiment ...

Wir haben dort viele Dinge aufgeführt, die an einem normalen Theater nicht möglich gewesen wären. Zum Beispiel „Die Soldaten“, Wagners „Tristan“. Viele Leute kamen und staunten, wie nahe sie dem Geschehen sein konnten. Dies erzeugte ein Kammermusikgefühl, und das bei den Dimensionen dieser Oper. Natürlich gibt es Herausforderungen der Akustik, schon deswegen, weil das Orchester immer wieder die Position wechselt – bequem ist das nicht. Aber meine Philosophie ist es, die Vorteile im Auge zu behalten.

Wie finden Sie Köln als Musikstadt? Haben Sie Wünsche?

Was an Köln unglaublich ist, ist seine Position als Stadt der Avantgarde. Sogar in Berlin blickt man bewundernd auf Köln. Ein Wunsch von mir ist, dass wir unsere Philharmonie noch weiter öffnen – für alle, die diesen Ort noch nicht kennen. So dass wir umgekehrt als Stadtorchester auch von uns aus an andere Orte der Stadt gehen können, um dort zu musizieren.

Schon jetzt spielen Sie an Schulen oder in Altenheimen.

Damit haben wir auf meine Initiative begonnen, auch unsere Projekte „Ohren auf!“ oder „Melting pot“. Dafür haben wir auch einen Preis bekommen, auf den wir stolz sind. Es ist keine Frage, dass wir für die musizieren, die Musik ohnehin lieben – aber wir sind ein Stadtorchester, und unser Ziel ist es und muss es sein, noch viel mehr Menschen zu erreichen, als Bürgerorchester. Außerdem ist eines meiner Ziele, durch digitale Präsenz eine größere internationale Resonanz zu erreichen. Gerade jetzt ist das wichtig …

… wegen Corona …

… wir könnten damit Publikum in Asien, im Amerika – überall erreichen.

Ist es eine Altersfrage, dass manche Menschen Schwellenangst haben?

Sehr oft spreche ich mit Taxifahrern, und sehr oft sagen sie mir, dass das nichts für sie sei. Da handelt es sich vielleicht noch immer um ein soziales Vorurteil, was zum Beispiel auch die Frage der Kleidung angeht, oder wo man die Karten kaufen kann, und so weiter. Aber das ist nichts Köln-spezifisches. Überall gibt es zu viele Menschen, die denken, dass diese Musik nichts für sie sei.

Wie steht es um die zeitgenössische Musik?

Auch die werden wir berücksichtigen. Man muss den Ausgleich finden zwischen Avantgarde und Klassik. Ich liebe zeitgenössische Musik aus jeder Epoche, das will ich deutlich machen. Mozart war ein toller Komponist für seine Epoche, wie Haydn auch. Man will es in der Stadt selbst oft nicht wahrhaben, aber in Köln gibt es eine unglaubliche Vitalität und Neugier, was Musik aus jeglicher Epoche betrifft. Darauf schauen Städte wie Amsterdam, Paris oder London und sagen „Chapeau“.

Bei der letzten Vertragsunterzeichnung haben Sie nur für zwei Jahre verlängert. Wie ist es diesmal?

Länger! Drei Jahre mit der Option auf Verlängerung um zwei Jahre. Wissen Sie, wir Dirigenten sind wie Fußballspieler, wir bekommen Angebote, es gibt einen Markt, es ist kein Geheimnis, dass der umkämpft ist. Aber für mich ist wichtiger, dass ich meine Arbeit in Köln entwickeln kann. Hinzu kommt: Im Verhältnis zwischen Orchester und Dirigent ist das Timing zentral, und das Timing zwischen Gürzenich-Orchester und mir ist gerade super.

Das Gespräch führte Frank Olbert