- Seit 2010 war der Finne Jukka-Pekka Saraste Chefdirigent des WDR Sinfonieorchesters
- Am 5. Juli gibt er sein Abschiedskonzert in der Kölner Philharmonie
- Im Gespräch verrät Saraste seine Tricks beim Dirigieren
Köln – Herr Saraste, Sie verlassen das Kölner Rundfunk-Sinfonieorchester nach neun Jahren. Warum eigentlich? Sie hatten doch bis zum Schluss ein außerordentlich gutes Standing hier.
Jukka-Pekka Saraste: Ich habe hier wirklich viel gemacht – wobei der Schwerpunkt auf der Spätromantik lag, nicht auf der zeitgenössischen Musik. Mein Ziel war es am Anfang, dem Orchester eine bestimmte Klangidentität zu vermitteln – in der Erwartung, dass wir diese gemeinsam erarbeiten können. Das ist, so hoffe ich, gelungen. Insofern könnte man sagen: Mission accomplished. Sicher hätte man noch mehr machen können, aber der Beethoven-Zyklus war wirklich ein sehr guter Abschluss. Im Übrigen gibt es ja im Deutschen die Redensart: Man soll immer dann gehen, wenn es am schönsten ist. Und der eigene Abgang noch bedauert wird.
Aber Sie kommen als Gastdirigent zurück?
Erst mal nicht, mein Nachfolger soll sich hier etablieren können, ich will da nicht als Eindringling erscheinen.
Treten Sie wieder einen Chefposten an?
Einstweilen nicht, ich will es mal ein bisschen ruhiger angehen lassen. Auf meiner Agenda stehen jetzt aber ein paar Opernproduktionen – Korngolds „Tote Stadt“ an der Finnischen Nationaloper, Reimanns „King Lear“ an der Münchner Staatsoper.
Wie zu hören ist, werden Sie bei Ihrem Abschiedskonzert am kommenden Freitag nicht nur die Fünfte, sondern weitere Lieblingsstücke dirigieren. Welche?
Darf ich das verraten? Nun ja, ich habe noch zwei Stücke ausgewählt, die meine Zusammenarbeit mit dem Orchester in den vergangenen Jahren charakterisieren: Bernd Alois Zimmermanns „Photoptosis“ und Beethovens „Große Fuge“.
Mit „Photoptosis“ hat weiland Marek Janowski die Kölner Philharmonie eingeweiht …
Ja, genau. Mir lag daran, sozusagen ein Bekenntnis zur „Kölner Moderne“ abzulegen.
Aber Mahlers Fünfte, dereinst in Köln uraufgeführt, steht im Zentrum. Wie ja überhaupt Mahler einer der Fixsterne Ihrer Kölner Ära war.
Ja, das hat ja auch zu zwei CD-Aufnahmen geführt: der neunten Sinfonie und eben mit der Fünften. Ich habe die Fünfte hier vor fünf, sechs Jahren dirigiert und mir gedacht, ich könnte sie jetzt mal wieder machen. Ich habe sie auch in meinem ersten Konzert mit dem Finnischen Rundfunk-Sinfonieorchester dirigiert – vor mehr als 30 Jahren. Sie hat mich immer begleitet, weil sie wohl meinem Naturell entgegenkommt.
Sie sprechen von Klangidentität. Was verstehen Sie darunter?
Ich hasse es, wenn alle Orchester gleich klingen – und sich dann noch Mahler genauso wie Beethoven anhört. Diese Arbeit an einem definierten und wiedererkennbaren Klang lag mir sehr am Herzen. Da ist in der Spiel- und Interpretationsgeschichte viel verloren gegangen.
Ein Beispiel?
Man muss sich schon Gedanken darüber machen, was das Bogenlegato der Streicher in der späten und für die späte Romantik bedeutet – diese Intensität und Dichte. Man muss diese Idee ins Orchester zurückbringen. Und ich glaube, da hat das WDR-Sinfonieorchester schon eine besondere Wachheit entwickelt.
Ich habe den „Saraste-Klang“ einmal beschrieben als eine bemerkenswerte Kombination aus struktureller Kälte und expressiver Glut.
Da mag was dran sein – wobei ich weniger von „Kälte“ sprechen würde als vielmehr von einem sehr direkten, manchmal auch schmerzenden Zugriff. Es ist sehr schwer, das wortsprachlich auszudrücken.
Wie Sie sagen, haben Sie den Orchesterklang verändert. Haben diese neun Jahre denn auch Sie verändert? Und wenn ja, wie?
Ich glaube schon. Ich habe am Anfang viel eingefordert, viel vorgegeben – Intensität, das Halten der Linien zum Beispiel. Das ist inzwischen nicht mehr nötig. Ich vertraue dem Orchester, es folgt jetzt seiner eigenen Motivation. Da habe ich wohl was von dem russischen Dirigenten Gennadi Roschdestwenski gelernt, der mir mal sagte: Der Trick beim Dirigieren besteht darin, dass die Musiker glauben, alles, was sie tun, komme aus ihnen selbst.
Sie haben über die Jahre in Köln ja immer nur im Hotel gelebt. Sind Sie hier trotzdem irgendwie heimisch geworden?
Na, ich bin ja vor ein paar Jahren in ein Apartmenthaus gezogen – weil ich das Leben im Hotel leid war. Aber in der Tat: Ich habe mich in Köln wohlgefühlt. Es gibt hier eine bohèmehafte Spontaneität, eine bestimmte, romanisch beeinflusste Mentalität, die jedenfalls nicht so streng deutsch wie in anderen Städten des Landes ist. Und es gibt diese kunstnahe Atmosphäre, die für mich bereits ein Begriff war, als ich noch in Finnland lebte und studierte.
Zur Person und zum Abschiedskonzert in Köln
Jukka-Pekka Saraste, 1956 im finnischen Heinola geboren, studierte zunächst Violine und begann seine Berufslaufbahn als Geiger im Finnischen Radiosinfonieorchester. In der Klasse des Pädagogen Jorma Panula ließ er sich an der Sibelius-Akademie in Helsinki zum Dirigenten ausbilden und wechselte dann Mitte der 1980er Jahre das Metier. 1987 wurde er zum Chefdirigenten des Finnischen Radiosinfonieorchesters berufen, dem er bis 2002 vorstand. Parallel amtierte er von 1994 bis 2002 als Musikdirektor des Toronto Symphony Orchestra. Als Erster Gastdirigent war er von 2002 bis 2005 dem BBC Symphony Orchestra verbunden, seit 2006 hat er die Chefposition beim Oslo Philharmonic Orchestra inne. Seit der Saison 2010/2011 war er Chefdirigent des WDR Sinfonieorchesters in Köln. Sein Vertrag wurde zweimal verlängert und endet nun. Sein Abschiedskonzert mit seinem Orchester gibt Saraste am kommenden Freitag (5. Juli), 20 Uhr, in der Kölner Philharmonie. Auf dem Programm stehen Bernd Alois Zimmermanns „Photoptosis“, Beethovens „Große Fuge“ und Mahlers fünfte Sinfonie. (MaS)