Interview mit Ralph Fiennes„Mir wird immer unwohler, wenn ich in den Spiegel schaue”
- Der Schauspieler Ralph Fiennes hat einen neuen Film gedreht. In „Nurejew – The White Crow” spielt er einen Tänzer.
- Ein sehr ehrliches Interview übers Altern, den Ausverkauf in Hollywood und seine Angst vorm Flirten auf dem Schulhof.
Zum Interview in München kommt Ralph Fiennes, 58, sehr entspannt und leger – graues T-Shirt und Bluejeans. Auf dem Filmfest München wurde er diesen Sommer mit dem CineMerit Award geehrt, der herausragenden Persönlichkeiten für ihre Verdienste um die Filmkunst verliehen wird. In seinem neuen Film „Nurejew – The White Crow“ (seit Donnerstag im Kino) spielt er nicht nur mit, sondern führt auch Regie.
Mr. Fiennes, in Ihrem Film über den berühmten russischen Balletttänzer Rudolf Nurejew haben Sie Regie geführt und auch eine Nebenrolle übernommen …
… was eigentlich so gar nicht geplant war. Ursprünglich wollte ich nur Regie führen. Denn der Film ist eine echte Herzensangelegenheit für mich. Mir hat vor allem die Leidenschaft und der Kampfgeist dieses jungen Tänzers imponiert. Der filmische Höhepunkt findet dann auch folgerichtig auf dem Flughafen von Le Bourget statt, wo Nurejew sich seinen russischen Bewachern auf sehr dramatische Art und Weise entzogen hat. Denn die wollten ihn nach einem Gastspiel in Paris wieder mit Gewalt in die Sowjetunion abschieben. Und nur weil er in Frankreich um Asyl bat, gelang ihm schließlich der Absprung in den Westen. Das ist für mich der Kern des Films. Jedenfalls wollte ich keinen Biopic über Rudolf Nurejew machen. Das hätte mich überhaupt nicht interessiert.
Mögen Sie Ballett etwa gar nicht?
Nein, eigentlich gar nicht. Na ja, durch die Arbeit am Film habe ich mir schon die ein oder andere Ballett-Inszenierung angesehen. Durchaus mit Gewinn. Aber bevor ich „Nurejew – The White Crow“ gemacht habe, wusste ich auch so gut wie nichts über Russlands berühmtesten Ballett-Tänzer.
Stimmt es, dass man Sie dazu überredet hat, die Rolle des Tanzlehrers Puschkin selbst zu spielen?
Ja, denn eigentlich wollte ich, dass ein russischer Schauspieler Puschkin spielt. Aber es war sehr schwer, den Film finanziert zu bekommen. Da erhielt ich von einer russischen Produzentin das Angebot, man werde viel Geld in den Film investieren, wenn ich selbst mitspielte – da man sich sicher sei, der Film werde sich dann besser verkaufen. Also habe ich die Rolle übernommen. Leider habe ich bis heute noch keinen einzigen Rubel gesehen (lacht).
Sie haben die Rolle des Nurejew mit einem relativ unbekannten Balletttänzer besetzt.
Ja, aber ich war sehr froh, als ich Oleg Ivenko endlich gefunden hatte. Er tanzt nicht nur virtuos auf Weltklasse-Niveau, sondern bringt auch genau diesen wilden, heißblütigen Charme mit, der Rudolf Nurejew so attraktiv machte.
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Ihnen hat sehr gefallen, dass Rudolf Nurejew schwierig war und kompliziert – weil Sie es auch selbst sind?
Das weiß ich nicht. Ich habe eine sehr traditionelle englische Erziehung genossen. Schon deshalb kann ich gar nicht dermaßen impulsiv und schroff sein. Aber ich bin fasziniert von Nurejews Unverdorbenheit. Er hatte keine Spur von bourgeoiser Zurückhaltung. Wenn er etwas fühlte, dann sagte er es einem gleich unverblümt ins Gesicht. Wenn er jemanden nicht mochte, rief er „Hau ab!“ Und als er im Louvre „Das Floß der Medusa“ von Théodore Géricault sehen wollte, ist er dort hineingestürmt und brüllte: „Geh mir aus dem Weg. Und halt die Klappe!“ Das zeige ich auch im Film. Aber Nurejew war ja nicht nur arrogant – er hatte vor allem eine echte Leidenschaft für die Kunst. Für ihn zählte letztlich nur das Tanzen! Es ist leicht, sich über die schlechten Manieren zu echauffieren – und dabei den Schweiß, das Blut, all die Anstrengungen auszublenden, die er täglich stundenlang in seine Tanzübungen steckte.
Sind Sie nicht auch wie er eine „Weiße Krähe“ – also jemand, der nirgendwo wirklich hineinpasst?
Ein bisschen. Vor allem als junger Mann fühlte ich mich sehr oft als nicht dazugehörig, als Außenseiter. Mir fiel es nie sehr leicht, mich in einer sogenannten Männergruppe zu bewegen. Also ins Pub zu gehen, um Bier zu trinken oder ins Stadion für ein Fußballspiel oder auf Parties. Nicht, dass ich etwas dagegen gehabt hätte. Aber ich fühlte mich in der Gruppe einfach nicht wohl. Viel lieber habe ich meine Zeit allein verbracht. Ich war sehr glücklich damit, ein Buch zu lesen, spazieren zu gehen oder Musik zu hören.
Stimmt es, dass Sie ein großes Faible für Russland haben?
Meine Liebe zu Russland wurde vor allem durch die russische Literatur entfacht. Vor allem haben mich die Romane von Dostojewskij sehr beeindruckt. Wie er all diese essenziellen Themen wie Moral, Glaube, Liebe, Hoffnung, Schuld, Sühne, Leben, Tod behandelt hat – das geht mir immer noch sehr unter die Haut. Und auch die Werke von Puschkin, Turgenjew und Tschechow finde ich einfach nur großartig.
Zur Person
Ralph Fiennes, geboren am 22. Dezember 1962 in Ipswich, ist einer der profiliertesten Schauspieler seiner Generation. Ob auf der Bühne als Hamlet und Coriolanus oder in Filmen wie „Schindlers Liste“ und „Der englische Patient“ – oder als Lord Voldemort in „Harry Potter“.
Sie sind auch ein großer Shakespeare-Experte. Können Sie sich eine Welt ohne Shakespeare vorstellen?
(Lächelt) Ich kann sie mir wohl vorstellen, aber ob ich in so einer Welt würde leben wollte – das ist eine andere Frage. Das würde mich auf jeden Fall sehr traurig machen. Ich stand in vielen Shakespeare-Stücken auf der Bühne. Das ist für mich so etwas wie mein Lebenselixier.
Sie sind mit Leib und Seele Schauspieler …
Ja, auf jeden Fall. Das ist wirklich das Einzige, was für mich zählt.
Und doch sind Sie manchmal auch ein Filmstar, der Preise bekommt. Oder für den Oscar nominiert wird …
Das ist, wie gesagt, die Anerkennung für meine Arbeit als Schauspieler. Es gibt mir aber wirklich überhaupt nichts, als Star angehimmelt zu werden. Oder der neuste „Herzensbrecher“ auf Seite 1 in der Klatschpresse zu sein. Das sind doch alles Ablenkungen und Versuchungen, die in die falsche Richtung führen. Auch deshalb war der Film „Der englische Patient“ so gefährlich für mich: Plötzlich stand ich auf der Wunschliste vieler Hollywood-Produzenten ganz weit oben. Fast jeder wollte mich haben. Nur ich wollte nicht. Mein Instinkt sagte mir damals, dass ich mich auf keinen Fall in diese Maschinerie begeben durfte. Da werden die meisten doch nur geschluckt, durchgekaut und ausgespuckt.
Zu viel Geld – zu wenig Kunst?
So kann man es auch sagen. Ich bin sicher nicht Anti-Hollywood oder Anti-Mainstream, was man mir gelegentlich vorwirft. Darum geht es nicht. Meine Prioritäten sind klar definiert: An erster Stelle steht der künstlerische Aspekt, die Herausforderung als Schauspieler, als Regisseur. Karrierepläne, zum Beispiel, sind mir absolut fremd. Mich interessieren vor allem die gebrochenen, komplizierten, narzisstischen Charaktere, die größer sein wollen als die Rolle, die ihnen das Schicksal zuschreibt. Im richtigen Leben ist ja auch nicht alles schwarz oder weiß. Ich suche die Ambiguität, die Zwischentöne, die Schatten auf der Seele.
Verführer oder Verführter: Welche Rolle liegt Ihnen persönlich mehr?
Ich glaube, ich bin eher der, der verführt wird. Wenn ich mich daran erinnere, wie ich als Teenager die ersten Erfahrungen mit Mädchen gemacht habe – da musste man mich schon an beiden Armen auf die Tanzfläche zerren. Auch zum Flirten habe ich mich nicht richtig geeignet. Viel lieber habe ich mich schon damals hinter Shakespeare-Zitaten versteckt oder Beatles-Songtexte zitiert. Auf dem Schulhof stand ich immer etwas abseits und habe mich erst Richtung Mädchen bewegt, wenn ich wirklich starke Signale bekommen habe. Ansonsten hatte ich viel zu viel Angst. Im Small Talk bin ich auch heute noch eine totale Niete.
Sie sind das älteste von sechs Kindern und kommen aus einer echten Künstlerfamilie: Ihr Vater ist Fotograf, Ihre Mutter war Schriftstellerin und Malerin, Ihre Schwester ist Regisseurin ...
… meine jüngste Schwester ist Schauspielerin, mein Bruder Joseph Schauspieler, einer meiner Brüder Musiker und so weiter. Wir wurden als Kinder immer dazu angehalten, kreativ zu sein. Vor allem meine Mutter hat uns gelehrt, die Welt mit offenen Augen zu sehen. Sie sagte immer: „Lasst euch nicht verbiegen, sondern hört auf euere innere Stimme.“ Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie ich mit 14 Jahren unbedingt Soldat werden wollte. Meine Mutter hat mir das nicht etwa verboten, sondern mich aufgefordert, mir eine Kaserne einmal von innen anzusehen. Als ich heimkam, war ich von der Idee ein für alle Mal kuriert.
Wenn Sie sich heute im Spiegel ansehen – wie fühlen Sie sich da?
(Lacht) Da wird mir zunehmend unwohler. Ich werde bald 60, und was ich da sehe, ist – an der Oberfläche – eigentlich jemand, der immer mehr verfällt. Aber in mir drin, tief in meinem Inneren ist ein Mensch, der gar nicht altert und der wesentlich ist und bleibt. Man könnte es auch als Seele bezeichnen.
Wenn Sie Ihr Leben Revue passieren lassen, was ist für Sie da am Wichtigsten gewesen?
Ich hoffe doch sehr, dass es noch viel in meinem Leben geben wird, das mir sehr wichtig ist. Ich habe zwar schon die längste Zeit gelebt, bin aber noch voller Energie und Elan und habe auch noch viele Pläne, die ich verwirklichen will. Wenn ich zurückblicke, bin ich, was meine Karriere betrifft, erst einmal sehr dankbar. Ich habe wirklich sehr viel Glück gehabt. Aber das Wichtigste im Leben sind doch immer die persönlichen Beziehungen, die Menschen, mit denen man befreundet ist, die man liebt …
Sie haben vor ein paar Jahren im „James Bond“-Franchise die große Judi Dench als „M“ – den Leiter des britischen Geheimdienstes MI6 – beerbt. Was bedeutet Ihnen die Mitwirkung in den James-Bond-Filmen?
James Bond, vor allem die Kriminalromane von Ian Fleming, spielte in meiner Pubertät eine große Rolle. Ich mochte auch die Filme, aber vor allem Flemings Bücher. Von den Romanen war ich förmlich durchdrungen … Sie waren so herrlich politisch unkorrekt … und sehr, sehr erotisch. Ich bin also sehr glücklich darüber, jetzt in dem Bond-Franchise mitmachen zu können, wenn auch nur in einer kleinen Rolle, als Bonds Vorgesetzter „M“. Aber ich würde mir sehr wünschen, dass man wieder mal den Mut dazu hätte, einen Bond-Film in der Stimmung der 50er Jahre zu machen. Denn die Stories damals waren sehr noir, düster und sexy …
Aber waren Sie nicht einmal als Nachfolger für die Rolle von James Bond im Gespräch?
Ja, vor vielen Jahren wurde ich da wohl mal als neuer Bond-Anwärter ins Spiel gebracht. Doch daraus ist, wie Sie ja wissen, nichts geworden. Und das war auch gut so. Denn ich hätte als Bond wohl keine so gute Figur gemacht.
Nennen Sie drei, vier Theaterstücke, die Sie als Menschen, nicht als Künstler, definieren.
Eine gute Frage. Denn die meisten Leute verwechseln den Menschen immer mit dem Schauspieler und den Rollen, die er gespielt hat. Doch ehrlich gesagt tue ich mich hier mit einer Antwort schwer. Ich kann Ihnen aber zwei meiner Lieblingsfilme nennen: „La Dolce Vita“ und „12 Uhr mittags“.
Ein Fellini-Film und ein Western-Klassiker, ein ziemlicher Spagat!
Ich weiß. Und was meinen Musikgeschmack betrifft: Da liebe ich Johnny Cash – und Bach. Sie sehen, ich bin immer für eine Überraschung gut.