Das Kölner Museum für Ostasiatische Kunst zeigt in „Tuschewanderungen“ Werke des chinesischen Malers Jianfeng Pan.
Chinesische Kunst in KölnNiedliche Geister in den Tiefen der Abstraktion

Tuschemalerei von Jianfeng Pan: Eine Seite aus dem Faltbuch „Unlimited“ (Unbegrenzt)
Copyright: Jianfeng Pan
Es soll Menschen geben, denen das Christentum zu viel Leibesqual, Folterkammer und Blutrausch ist. Aber auch andere Religionen haben ihre Gruselgeschichten. So wird Bodhidharma, dem Begründer des Zen-Buddhismus, nachgesagt, er habe so lange in einer Höhle vor einer Felswand meditiert, bis ihm Arme, Beine und Augenlider abgefault seien. Auf dem Weg zur Erleuchtung kann es sicherlich nicht schaden, Ballast abzuwerfen. Aber dem mitteleuropäischen Durchschnitts-Epikureer kommt es eher flagellantisch vor.
Jianfeng Pan ist in Deutschland noch weitgehend unbekannt
In der westlichen Kunst hat das Prinzip der vergeistigten Selbstentleibung gleichwohl eine beachtliche Karriere erlebt – bis hin zum „Schwarzen Quadrat“ auf weißem Grund. Ganz so weit geht Jianfeng Pan in seiner Nacherzählung der Höhlenepisode nicht. Aber statt Bodhidharma einfach nur zu zeigen, wie unzählige Künstler vor ihm, lässt uns der chinesische Künstler die Felswand mit dessen erleuchteten oder auch wahnsinnigen Augen sehen. Auf drei große Hängerollen tuschte Pan ein virtuoses Durcheinander, aus dem ganz allmählich Felskonturen zu steigen scheinen. Vielleicht bräuchte es keine neun Jahre, um den Detailreichtum dieser Komposition zu ergründen. Doch fühlt man sich, wie nach dem Betreten einer Höhle, wenn sich das Auge an die Dunkelheit gewöhnt.
Jianfeng Pan ist in Deutschland weitgehend unbekannt – die Ausstellung „Tuschewanderungen“ im Kölner Museum für Ostasiatische Kunst ist eine Premiere für den 1973 geborenen und seit einigen Jahren in Finnland lebenden Künstler. Pan begann seine Karriere in Shanghai als Grafiker, seine Bestimmung fand er in der Tuschmalerei. In seinen Werken verbindet er Altes und Neues, fernöstliche und nordisch-westliche Einflüsse, etwa im Herzstück der Kölner Ausstellung, einem 13,60 Meter langen, aus 20 einzelnen Blättern bestehendem Faltbuch, das den Betrachter nach dem Vorbild der altchinesischen „Berg-Wasser-Malerei“ durch eine Fantasielandschaft reisen lässt. Das rosa Licht auf dieser Landschaft fand Pan am Morgenhimmel seiner Wahlheimat.
Eine psychedelische Fantasie, die uns in unbekannte Tiefen hinabziehen will
Auch der Ausstellungstitel „Tuschewanderungen“ lässt sich auf eine alte Tradition der chinesischen Kunst zurückführen, so Kuratorin und Museumsdirektorin Shao-Lan Hertel. Die Maler versuchten darin, in ihren Bildern eine geistige Bewegung nachzuahmen, die einem unbekümmerten Erkunden ähnelt und den Wanderer wie von selbst über die Grenzen des Bekannten hinaus führt. Auf Landschaftsbildern wird dieser schweifende Blick durch die aufsteigende Komposition vom Wasser zum Gebirge geleitet, auf Bildrollen, indem das Bild erst allmählich in Gänze sichtbar wird, es Zeile für Zeile gelesen werden will.
Pan übersetzt diese Prinzipien in eine moderne, mitunter cartooneske Sprache. Sein Bild „Vorfrühling“, eine Tuschkomposition im Format 270 mal 180 Zentimeter, wirkt auf den ersten Blick vollends undurchdringlich, wie eine psychedelische Fantasie, die einen in unbekannte Tiefen hinabziehen will. Dieser Sog sorgt zugleich dafür, dass man länger hinschaut – und dabei immer mehr konkrete Details entdeckt: Bäume, Wasserfälle, Nebelschwaden, Felsen, Vögel - und vielleicht den einen oder anderen freundlichen Geist.
Solche Schutzgeister begleiten uns durch die gesamte, etwa 60 Werke umfassende Ausstellung. Sie finden sich als wiederkehrende, zu Wellen aufgetürmte Grinsegesichter im „unendlichen“, heiter-bunten Faltbuch, aber auch auf den drei eher düsteren Hängerollen des „Nördlichen Ozeans“. Auf dieser Tuscharbeit lässt sich zudem das „umgekehrte“ Prinzip von Pans Kompositionen am leichtesten nachvollziehen. Als Grafiker hat Pan gelernt, seine Motive als Negative zu entwerfen, beim Ozean hat er das schwarz grundierte Papier von hinten genässt, damit sich auf der Vorderseite Flecken bilden. Diesen konnte er anschließend Gesichter malen. Mit ihnen tummeln sich in der schwarzen Tiefe auch langschwänzige Drachen und andere Bewohner der Meeresfantasie.
Man sollte sich Pans Bilder aber nicht wie Standbilder aus Hayao Miyazakis Trickfilmen vorstellen. So niedlich die Geister wirken mögen. Sie leben in einer chaotischen, die unergründliche Tiefen der Abstraktion auslotenden Welt.
„Tuschewanderungen. Zeitgenössische Arbeiten auf Papier von Jianfeng Pan, 2014-2024“, Museum für Ostasiatische Kunst, Universitätsstr. 100, Köln, Di.-So. 11-17 Uhr, bis 9. November 2025. Der Katalog zur Ausstellung kostet im Museum 20 Euro.