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Ex-Bundespräsident bei „Maischberger“Gauck: „Wir können frieren für die Freiheit“

Lesezeit 3 Minuten
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Joachim Gauck mit Sandra Maischberger.

Der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck hat sich in der ARD-Talkshow „maischberger. die woche“ besorgt über die Lage in der Ukraine geäußert und Russlands Präsidenten Wladimir Putin scharf kritisiert.

Gauck erklärte das Dilemma, in dem sich die deutsche Gesellschaft derzeit befinde: „Ich kann den Präsident der Ukraine vollkommen verstehen, wenn er mehr Hilfe aus dem Westen will. Aber wir wollen nicht mehr Städte sehen wie Dresden und Hamburg im Zweiten Weltkrieg. Das ist nicht irgendeine Drohung, die da aus Russland kommt. Sie kommt von einem ethisch nicht gefestigten Herrscher. Daher ist es keine Feigheit der Bundesregierung, keine Flugverbotszone einzurichten.“

Gleichzeitig forderte der ehemalige Bundespräsident, sich dort, wo es möglich ist, solidarisch zu zeigen und die Ukraine mit den Einschränkungen im eigenen Alltag zu unterstützen: „Wir sind stärker, als unsere Angst es uns einredet. Wir haben eine Menge von Möglichkeiten, uns solidarisch zu zeigen, und wir können auch mal frieren für die Freiheit.“

Joachim Gauck hält Ablehnen der Flugverbotszone für richtig

Gauck hielt die Ablehnung einer Flugverbotszone über der Ukraine weiter für richtig: „Wir dürfen auch über die Folgen unseres solidarischen Handelns nachdenken. Und wenn dieses Handeln größere Schmerzen hervorbringen würden, ist es gut, diese abzulehnen.“

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Der in der DDR aufgewachsene Politiker warf dem Westen zugleich vor, in den vergangenen Jahrzehnten zu bequem gewesen zu sein: „Der Westen hat sich zu lange wohl gefühlt im Gefüge der neuen Sicherheit. Das ist tugendhaft, kein Feindbild zu haben, aber man darf nicht so blöd sein und glauben, es gibt keine Feindschaft mehr.“

Gegenüber Wladimir Putin sei er von Anfang an misstrauisch gewesen, seine Entwicklung sei nicht überraschend. Gauck nannte Putin einen „wirrköpfigen Diktator“. „Er hat die Autokratie gelernt in den Strukturen des KGB als junger Bengel. Diese Einflüsse verbinden sich mit denen des Neo-Imperialismus. Aber er sieht nun auch die Grenzen seiner militärischen Möglichkeiten.“

Militärexperte Carlo Masala: „Putin hat die Lage grundlegend falsch eingeschätzt“

Der Kölner Militärexperte und Professor an der Bundeswehr-Universität in München erklärte, ein Dritter Weltkrieg sei derzeit noch nicht zu befürchten: „Es gibt dann nicht sofort einen Dritten Weltkrieg, das wäre zu einfach. Aber es gäbe einen Krieg mit Russland. Und dann schwingt die Gefahr mit, dass der nuklear eskaliert. In der momentanen Situation sind wir weit davon entfernt.“

Maischberger Gäste 100322

Die Gäste der ARD-Sendung „maischberger“ vom 9. März

Gleichzeitig sehe er große Fehler in der strategischen Planung Russlands im Bezug auf die Invasion: „Wenn man davon ausgeht, dass man die Operation nach drei bis vier Tagen beendet, dann stellen sich nach zwei Wochen Probleme, mit denen man gar nicht gerechnet hat.“ Die Moral der russischen Soldaten sei schlecht, es gebe große Probleme bei Diesel- und Essenslieferungen.

Masala vermutet auch, dass der russische Geheimdienst FSB Putin aus Angst vor Beginn der Invasion die Situation wohlwollender beschrieben habe, als sie in der Realität war: „Die Berichte des FSB waren alle sehr positiv, sowohl was die Ukraine als auch den Umgang mit Sanktionen angeht. Wohl, weil man sich nicht getraut hat, Putin gegenüber die Wahrheit zu sagen.“ Putin habe die Lage grundlegend falsch eingeschätzt.

Schriftstellerin Petrowskaja: „Russland ist zu Nordkorea geworden“

Die ukrainische Schriftstellerin Katja Petrowskaja dagegen sorgt sich nicht nur um die Entwicklungen in der Ukraine, sondern auch in Russland: „Russland ist zu Nordkorea geworden in den letzten Tagen. Das Wichtigste ist aber nicht Russland, sondern die Frage, wie wir die Ukraine retten.“

Die Menschen dort hätten einen unfassbaren Willen, ihren Staat zu verteidigen. „Der Krieg ist absurd, die Menschen verstehen nicht, warum sie überhaupt weg sollen. Diese Haltung, da zu bleiben, ist ein rationales Bekenntnis für ihren Staat.“

Ebenfalls zu Gast waren „Spiegel“-Redakteur Markus Feldenkirchen, die „Zeit“-Reporterin Mariam Lau und der ehemalige Russland-Korrespondent der ARD, Thomas Roth. (shh)