Wallraf-Richartz-MuseumKunst-Krimi um unbekannten Maler in Köln gelöst
Köln – Nicht weniger als einen Museums-Krimi verspricht der Kurator Michael Venator im Katalog zur neuen Kabinettsausstellung im Wallraf-Richartz-Museum. An den Wänden findet man in der Tat Materialien für eine forensische Untersuchung: Schwertbewehrte Arme, halbkahle Hinterköpfe und abhackte Füße suchen hier nach vollständigen Körpern.
Andere Entwürfe zeigen zwar ganze Menschen, oft mit gewagten perspektivischen Verkürzungen, denen aber fehlt der Bildzusammenhang. Und überhaupt, wer hat diese Zeichnungen mit Kreidestift oder Rötel angefertigt?
Ganz sicher nicht Girolamo Troppa: Vor sechs Jahren hatte der leidenschaftliche Sammler Venator, im Hauptberuf Radiologe, zusammen mit Thomas Ketelsen und Dietmar Spengler vom WRM für eine Schau über den italienischen Barock-Künstler den gesamten, rund 60.000 Blätter umfassenden Bestand des Museums durchforstet. Dabei fand er eine Kreidezeichnung, die zwar mit Troppas Signatur versehen war, jedoch völlig untypisch für diesen war. Es gab noch mehrere, stilistisch verwandte Skizzen. Venator klickte sich erneut durch das digitalisierte Archiv des Museums und hatte schließlich 145 Blätter zusammengetragen, die zwar alle von einer Hand zu stammen schienen, aber eben nicht der von Troppa.
Künstler mit Steckbrief gesucht
Nur von wem dann? Einzelne Papiere besaßen ein Wasserzeichen, das auf Basel und Umgebung verwies. Venator erstellte ein Profil des Verdächtigen anhand der gezeichneten Körperteile. Als Laie stellt man sich das ein wenig so vor wie in Simenons „Maigret und die kopflose Leiche“. Gesucht wurde ein deutscher oder österreichischer Künstler mit italienischen Wurzeln oder italienischer Ausbildung, der im zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts tätig war: Also Rokoko statt Barock.
Mit diesem Steckbrief rasterte sich der Sammler durch Bilddatenbanken und Veröffentlichungen. Und wurde im „Marburger Bildindex“ fündig. Die Kreidestudie eines Mannes, der ein Trinkgefäß hält, passte exakt zu einer Bacchus-Figur im Deckenfresko des Festsaals der fürstbischöflichen Residenz Schloss Seehof in der Nähe von Bamberg.
Kriminalistische Fleißarbeit
Der Freskant entpuppte sich als ein gewisser Joseph Ignaz Appiani, geboren 1706 in München, Sohn einer italienischen Kunsthandwerkerfamilie vom Luganer See. Man weiß nicht viel über ihn, sein Vater und Onkel arbeiteten als Stuckateure, bei wem Appiani seine Ausbildung zum Maler erhalten hat, kann man nur mutmaßen. In seinen 20ern heiratete er eine Italienerin, die vier Jahre später im Kindbett starb. Erst in den 40er Jahren verdichten sich die Spuren, die Zahl der Aufträge – vor allem im süddeutschen Raum – nimmt zu, ihr Prestige wächst. Seine zweite Frau stammt aus Mainz, hier wird Appiani kurfürstlicher Hofmaler und Direktor der Kunstakademie. Aber er malt weiter, bis ins hohe Alter. 1785 stirbt er während der Ausmalung einer Klosterkirche nahe Würzburg.
Der Rest, sagt Venator, sei kriminalistische Fleißarbeit gewesen, er suchte die Bildtafeln in sämtlichen Appiani-Publikationen mit der Lupe ab, besuchte die Schlösser, Villen, Klöster und Kirchen, in denen sich Fresken des Rokoko-Meisters erhalten hatten – etliche hatten die Napoleonischen Feldzüge oder den Zweiten Weltkrieg nicht überlebt – und fotografierte sie ab.
So konnte Venator rund die Hälfte der 145 Blätter zweifelsfrei Appiani zuordnen. Doch auch bei der anderen Hälfte ist sich der Sammler seiner Sache sehr sicher: „Da kommen viele charakteristische Eigenarten zusammen.“ Im Einzelnen könne man das schwer beschreiben, der Kennerblick aufs Ganze zählt: „Das geht mir als Radiologe genauso, wenn ich Lungenentzündungen klassifiziere.“
In der kleinen Ausstellung im zweiten Stock des Hauses wird der Besucher selbst zum Detektiv, die Originalzeichnungen finden sich neben farbigen Reproduktionen der Fresken. Dort findet man dann den Soldaten mit dem starken Arm im Gefolge des Feldherrn Coriolan, entpuppt sich eine fleckige Federskizze als Vorstudie zum Fresko-Medallion des heiligen Andreas, erhält der in extremer Untersicht gezeichnete Fallende seinen Platz im actionreichen Fresko „Christus treibt die Wechsler aus dem Tempel“ unter der Orgelempore der Mainzer Pfarrkirche St. Peter.
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Manche Blätter verwendete Appiani auch rückseitig, besonders gelungene Motive dienten ihm gleich mehrmals als Vorlage und in einem Fall passten zwei Einzelblätter zusammen wie ein Puzzle. Auch ließen sich nun manche Werke des Künstlers sicher datieren oder umdatieren. So führte ein Indiz zum nächsten, für Venator ist der Fall noch nicht abgeschlossen.
Das Bemerkenswerteste aber sei der Umstand, so Venator, dass Ferdinand Wallraf die Zeichnungen überhaupt erwarb und behielt, obwohl er als Klassizist das Rokoko doch rundheraus ablehnen musste. Da hat dann wohl der Sammlerinstinkt gesiegt. Ein Glück fürs Museum, das nun, unverhofft, einen verborgenen Schatz in seinem Bestand heben konnte.
Die Kabinettsausstellung „Abenteuer Appiani - Die Entdeckung eines Zeichners“ ist vom 18. März bis 6. Juni 2022 im Wallraf-Richartz-Museum zu sehen.