Judith Holofernes„Meine Erfahrungen mit Wir sind Helden sind sehr speziell“
- Judith Holofernes war mit der Band Wir sind Helden extrem erfolgreich, heute ist sie Solokünstlerin.
- Nun hat sie ein Buch geschrieben, in dem sie auf Ihre Zeit im Musikbusiness zurück blickt und ihr Leben schonungslos hinterfragt.
- „Was ist das, was mich so ansprechbar macht, für die Träume anderer Leute?“
In Ihrem Buch gibt es den Satz: „Schreiben ist wie nach Hause kommen“.Die Arbeit an dem Buch war die erste Phase in meinem Leben, wo ich so viel schreiben konnte, wie ich immer schon wollte. Das Schreiben ist natürlich schon ganz lange ein fester Bestandteil von meiner Arbeit als Songwriterin. Aber als Musikerin hatte ich immer das Gefühl, dass das rein zeitlich einfach nicht so viel Platz einnehmen kann.
Was bedeutet Ihnen das Schreiben?
Ich habe schon immer unheimlich viel im Schreiben gelöst. Ich schreibe wahnsinnig viel Tagebuch und immer, wenn es irgendetwas sehr wichtig ist – dann löse ich die das auf Papier. Für mich hatte es tatsächlich etwas von nach Hause kommen, ein Buch zu schreiben - weil ich ja auch so wahnsinnig gerne lese. Und mich auch immer schon viel mit dem Schreiben an sich beschäftigt habe. Das hatte etwas ganz Organisches, dem endlich den Raum in meinem Leben zu geben, den es eigentlich immer schon haben wollte.
Gab es einen bestimmten Moment, in dem Sie beschlossen haben, dieses Buch zu schreiben?
Es gab tatsächlich einen Moment, an dem ich dachte: „Jetzt würde ich gerne ein Buch schreiben!“. Aber das wäre ein anderes Buch gewesen, eine Idee, die ich schon seit mehr als zehn Jahren mit mir herumtrage. Doch dann habe ich gemerkt, dass die Auseinandersetzung mit den letzten zwölf Jahren meines Lebens irgendwie dazwischen steht. Dass da etwas nicht bearbeitet ist und dass ich deswegen diesem anderen Projekt nicht zuwenden kann.
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Manchmal muss man erstmal etwas aus dem Weg räumen.
Genau – und dann habe ich dann erstmal angefangen Essays zu schreiben für meine Patrons.
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Ja und ehrlich gesagt hatte ich von Anfang an Lust, dass das ein Buch werden könnte. Und auf der einen Seite den Verdacht, dass da vielleicht auch eine Geschichte hinter der Geschichte ist, die nicht nur für mich von Nutzen sein kann. Aber es war eine sehr vage Ahnung und gleichzeitig hatte ich auch Zweifel, weil meine Erfahrungen mit „Wir sind Helden“ und als Solo-Künstlerin ja tatsächlich sehr speziell sind.
Mit den Problemen eines Popstars kann tatsächlich nicht jeder etwas anfangen…
Genau, aber es waren es dann tatsächlich meine Patrons, die sofort bei den ersten Essays unheimlich viel reagiert haben - auch mit ihren eigenen Geschichten. Und sie haben mir sehr schnell das Gefühl gegeben, dass das eben doch gar nicht so speziell ist, wie ich mir gedacht hatte. Sondern, dass die Leute sehr wohl eine Resonanz damit gehen können - auch wenn sie ganz andere Berufe haben, ganz andere Lebenswege.
Zu Person und Buch
Judith Holofernes (bürgerlich Judith Holfelder-Roy) wurde als Sängerin und Gitarristin der Band „Wir sind Helden“ bekannt und ist heute als Solokünstlerin aktiv. 2006 heiratete sie Pola Roy, den Schlagzeuger der Band, 2006 und 2009 kamen ihre Kinder zur Welt. 2014 und 2017 erschienen ihre Soloalben. Seit 2019 veröffentlicht sie auf der Crowdfunding-Plattform Patreon unter anderem autobiographische Essays sowie ihren Podcast "Salon Holofernes", in dem sie verschiedene Künstler zu Gast hat.
"Die Träume anderer Leute", Kiepenheuer&Witsch, 416 Seiten, 24 Euro. Das Hörbuch hat Nora Tschirner eingelesen.
Also eher Regal „Lebenshilfe“ in der Buchhandlung als „Autobiographie“?
Ich hab immer unheimlich viel Memoir gelesen - im amerikanischen Raum ist das ein anderes Genre als Autobiografie. Und die Bücher, die mir richtig viel bedeutet haben, die mich selbst weitergebracht haben in meinem Leben waren solche Lebensgeschichten. Von Leuten, die teilweise wirklich komplett andere Bedingungen haben als ich. Die aber anhand von einer bestimmten Zeit aus ihrem Leben eine Entwicklung erzählen. Ein Teil dieser Bewegung möchte ich gerne sein. Ich habe das Gefühl, dass solche Bücher oft was es unheimlich Tröstliches, haben. Ganz egal, ob man ein ähnliches Leben hat – es erinnert immer an unser gemeinsames Mensch-Sein, hat etwas unheimlich Verbindendes.
Für Sie ist es vor allem Ihre Rolle bei „Wir sind Helden“, die Sie zu verstehen versuchen?
Ich hatte das Gefühl, ich muss diese Helden-Jahre, und vor allem die Jahre danach, noch besser verstehen, um irgendwie weitergehen zu können. Besser verstehen, was daran so schwierig war. Auch wenn mir das nicht so ohne Weiteres zugestanden wird, dass das schwierig sein darf, wovon so viele träumen. Also tatsächlich hatte ich auch das Gefühl, es mir selbst nicht zuzugestehen.
Wie haben Sie denn Ihre Position für sich definiert beim Schreiben?
Erinnerung ist immer Erzählung, aber ich habe versucht, so nah wie möglich an eine Wahrheit dranzugehen. An die Punkte zu kommen, wo man selber nicht versteht, warum man gemacht hat, was man gemacht hat. Das war teilweise auch schmerzhaft, aber auch sehr erhellend. Und mir war wichtig, niemanden für eine gute Geschichte in den Kakao zu ziehen. Man muss mit dieser Spannung umgehen. Sich immer wieder fragen: Natürlich werde ich noch andere Leute mit reinziehen - und wie kann ich das so machen, dass ich am Ende des Tages sagen kann, ich habe das mit einem liebevollen Blick getan, aber ich habe erzählt, was erzählt werden muss.
Sie rechnen mit sich selbst mindestens so hart ab wie mit der Musikindustrie.
Wenn ich ein Buch schreibe über das böse Musik Business und die armen Künstler, die darin immer verschlissen werden – dann ist der Erkenntniswert nicht besonders hoch - auch nicht für mich. Die interessantere Frage ist ja: Was sind das für Mechanismen, dass ich mich da nicht abgrenzen konnte? Und dann wird es sehr viel unerfreulicher, wenn man darüber nachdenkt: Was ist das, was mich so ansprechbar macht, für die Bedürfnisse anderer Leute oder eben die Träume anderer Leute. Für anderer Leute Definitionen von Erfolg.
Judith Holofernes: „Ich wollte, dass die Schwere nicht das ganze Buch dominiert“
An Popstars ziehen offenbar Menschen aus allen nur denkbaren Richtungen…
Da gibt es die Träume anderer Leute im Management und in der Plattenfirma und bei den Leuten, die mit Dir zusammenarbeiten. Aber es gibt auch noch die Band, die mit dir zusammenarbeitet, die wieder ganz andere Träume hat. Und dann gibt es aber auch noch dieses riesige Publikum. Dass ja nochmal ganz andere Projektionen hat und sich an dir spiegelt.
Es gibt ja auch gesellschaftliche Träume – wie ein Popstar auszusehen hat, beispielsweise…
Genau – und die Welt hat ebenfalls einen Traum davon, was es bedeuten soll, Mutter zu sein. Auch da gibt es unheimlich starke Narrative.
Das wird in Ihrem Buch ja auch nochmal klar, wie wenig diese beiden Narrative von Mutter-sein und Popstar-sein vereinbar sind.
Die haben eigentlich keine Berührungen. Und wenn man das irgendwie beides machen will, dann gibt es einen ganz schmalen Bereich, in dem das akzeptiert ist. Wenn man da einen ganz genauen Script folgt. Das habe ich im Buch ja so ein bisschen komödiantisch verkürzt: Erst super schlank mit sehr niedlichen Babybauch in der Bunten. Dann nochmal mit wahnsinnig niedlichem Baby, natürlich ohne Bauch. Und spätestens drei Monate später das erste hyper-sexualisierte Arschwackel-Video, damit die Welt das wieder dankbar verdrängen kann, dass man sich fortgepflanzt hat. Das ist komödiantisch zugespitzt, aber im Prinzip habe ich das so empfunden. Das fand ich schon erschütternd.
Ihr Buch ist viel lustiger, als es die teils schweren Themen vermuten lassen.
Ich wollte, dass die Schwere, die ich teilweise empfunden habe, nicht dieses ganze Buch dominiert. Und ein Teil der Wahrheit ist ja auch: Dass diese Leichtigkeit auch trotzdem immer da ist. Dass es selbst in den Zeiten, in denen ich mindestens mit einem Bein in der Erschöpfungsdepression stand, es noch unheimlich lustige Tourbus-Partys gab. Und es gibt es gab in den schwersten Momenten auch künstlerisch unheimlich erfüllende Momente. Auch in den Helden-Jahren mit den Kindern. Das war nicht alles schwer, sondern das war teilweise sehr, sehr lustig.
Das macht es ja auch so schwierig, sich einzugestehen, dass man irgendwo falsch abgebogen ist.
Das wollte ich auch als Warnung zeigen: Wenn man immer an seinen Grenzen herumlaboriert, dann kann das sehr lange funktionieren und das kann auch teilweise noch lustig sein. Und irgendwann ist die Lunte so kurz, dass es dann sehr schnell überhaupt nicht mehr lustig ist. Ich wollte das Schöne und das Lustige so fühlbar machen, um auch die Enttäuschung besser zeigen zu können, die das für mich hatte, oder die Frustration - wenn nach diesen Momenten des Aufblühens immer wieder dieser Moment kam, wo ich das Gefühl hatte, in den offenen Käfig zurück gelaufen zu sein.