Karol G bewies mit ihrer zweieinhalbstündigen Show in der Lanxess-Arena, dass sie ihren noch frischen Superstar-Status verdient hat. Unsere Kritik.
Karol G in der Kölner ArenaDer größte Star Kolumbiens heißt nicht länger Shakira
Wer ist Karol G? „Eine kolumbianische Reggaeton-, R’n’B- und Pop-Sängerin, die überwiegend im spanischsprachigen Raum bekannt ist“, meint die deutsche Wikipedia. Nur der erste Teil des Satzes trifft zu. „Mañana Será Bonito“, Carolina Giraldo Navarros viertes Album, debütierte im Frühling 2023 an der Spitze der US-Charts, als erste spanischsprachige Platte einer Künstlerin. Seitdem tritt Karol G in beiden Teilen Amerikas in Stadien auf.
In Köln füllte sie immerhin die Lanxess-Arena und mehr als das, sie transportierte die Mehrzweckhalle zehntausend Kilometer Richtung Südwest, gab zweieinhalb Stunden alles und bekam auch alles von ihrem Publikum zurück. Als man schließlich beglückt und berauscht wie nach einer etwas außer Kontrolle geratenen Quinceañera, wieder ins Freie taumelte, wirkte selbst die ganz und gar unromantische Deutzer Umgebung ein wenig verzaubert.
Was war geschehen? Nichts, was man nicht schon auf anderen Konzerten erlebt hätte. Aufreibende Choreografien mit Dutzenden von Tänzerinnen und Tänzern, durchsichtige Glitzeroveralls, ein Steg, der zu einer kleinen Bühne inmitten der Stehplätze führte. Feuerwerk, Konfetti, ein singendes Kind, das auf ebenjene kleine Bühne geführt und geherzt wurde. Bunte Einspielfilmchen, eine unerschütterlich professionelle Band, anheimelndes Geplänkel mit der Masse.
Alles zum Thema Lanxess Arena
- Von Taylor Swift bis Céline Dion Das waren die großen Pop-Momente 2024
- Zuschauer-Rekord Kölner Arena knackt Bestmarke von 2017
- „Wird immer ein Teil von mir sein“ Querbeat verliert Saxofonistin – Letzte Show im Palladium
- Drei Torhüter zur Auswahl, Bailen aussortiert Kölner Haie starten zuversichtlich in die zweite Saisonhälfte
- Auftritt in Lanxess-Arena Jumping-Crew aus Brühl entert Bühne mit Deichkind
- „Loss mer Weihnachtsleeder singe för Pänz“ Mitmachkonzert vor Weihnachten extra für Kinder – Vorverkauf gestartet
- „The Lifetimes Tour“ Katy Perry kommt im Oktober 2025 nach Köln
Wir müssen also über das Wie sprechen. Die Einspielfilmchen etwa erzählten in kindlicher Optik die Selbstermächtigungsgeschichte der kleinen Meerjungfrau Carolina, als Märchenonkel aber hat Karol G niemand geringeren als Morgan Freeman, Gottes Stellvertreter in Hollywood, verpflichtet. Und einem Schmetterling, der sich als gute Fee entpuppt, leiht RuPaul die Stimme.
Doch solche Unterbrechungen gönnte sich Karol G nur für die unerlässlichen Kostümwechsel, vom bauchfreien Ensemble ins silberblau changierende Minikleid, etc. Wahrscheinlich hätten ihre überenthusiastischen Fans - ein Meer aus pinken Cowboyhüten, kolumbianischen Fahnen und rosa Perücken oder Haar-Extensions in direkter Nachahmung des Stars - sowieso jedes Stimmungstief mit Schlachtgesängen überbrückt. Aber die Sängerin gab ihnen kaum Gelegenheit dazu. In der ersten Stunde verließ der Energiepegel so gut wie nie den roten Bereich, angefangen mit „TQG“, der gemeinsamen, das Single-Dasein besingenden Single mit Shakira, dem ersten globalen Superstar Kolumbiens.
Reggaetón ist nun bereits seit einigen Jahren der Meta-Trend des Pop, aber auch ein sehr machohaftes Genre
Reggaetón ist ein Hybrid aus jamaikanischen Dancehall-Rhythmen, lateinamerikanischer und karibischer Musik und US-amerikanischen Hip-Hop. Das hatte ich schon vor gut zwei Wochen geschrieben, als J. Balvin, einer der Superstars der Szene, in der Arena auftrat. Reggaetón, überhaupt die Musica Latina, ist nun bereits seit einigen Jahren der Meta-Trend des Pop, aber auch ein sehr männliches, oft genug machohaftes Genre. Als Karol G vor rund zehn Jahren zum ersten Mal bei Universal Music vorstellig wurde, lehnten die Labelbosse eine Zusammenarbeit ab: eine Frau als Solokünstlerin, noch dazu eine, die ihre Songs aus dezidiert feministischer Perspektive selbst schreibt, würde im Reggaetón niemals Erfolg haben.
Enttäuscht, aber nicht entmutigt, nahm die junge Frau aus Medellín ihr Glück selbst in die Hand, tourte unermüdlich durch Clubs und College-Säle, versuchte es in den USA, landete irgendwann einen Job als Coach in einer spanischsprachigen Kindertalentshow im US-Fernsehen. Ein gemeinsames Stück mit dem puerto-ricanischen Sänger Bad Bunny – bald darauf der meistgestreamte Künstler der Welt – brachte endlich die gewünschte Aufmerksamkeit.
Hätte Karol G nach dem ersten, durchgepowerten Set das Konzert beendet, man wäre schon zufrieden nach Hause gegangen
Inzwischen ist Karol G 33 Jahre alt und die sicherlich nicht auf jeden Menschen zutreffende Lektion, dass Ausdauer sich irgendwann lohnt, hat sie offensichtlich internalisiert: „Morgen wird alles gut“, wie es der Albumtitel verspricht. Unmöglich, hier nicht mitgerissen zu werden, und das liegt nicht an den drolligen Aufblas-Nixen und riesigen Hai-Mäulern, die hier aufgefahren wurden, sondern allein an Navarros klarer, durchdringender Stimme, selbstbewusst über dem treibenden Dembow-Rhythmus, sehnsüchtig in den herrlich schmachtenden Balladen.
Hätte sie nach ihrem ersten, durchgepowerten Set das Konzert beendet, man wäre schon zufrieden nach Hause gegangen. Stattdessen nahm sich Karol G nun reichlich Zeit für ihre Fans, posierte für Selfies, streifte sich geschenkte Armbänder über, rief alle vertretenen Nationen auf und gab Selbsthilfetipps auf Spanisch.
Ihre exzellente und rein weiblich besetzte Band erweiterte sich um Trompete, Saxofon und Querflöte und dementsprechend erweiterte sich auch die musikalische Vielfalt: Plötzlich erklang ein Kim Deal abgeschauter Basslauf und Karol G entpuppte sich als New-Wave-Sirene, im nächsten Moment wurden eine Tuba- und eine Akkordeonspielerin aus dem Unterboden gehoben und die Kolumbianerin huldigte der nordmexikanischen Música Norteña.
Der volkstümliche Teil wurde mit einem Schluck aus dem Tequila-Stamperl beschlossen. Ähnlich positiv verwirrt war man einige Minuten zuvor, als sie „Mientras Me Curo del Cora“ mit Ukulele-Begleitung und Zitaten aus Bobby McFerrins „Don’t Worry Be Happy“ und schließlich noch Bob Marleys „Everything’s Gonna Be Alright“ arg verzuckerte – und das gar nicht mal schlecht klang.
Weil man zu diesem Zeitpunkt längst davon überzeugt war, dass Karol G alles kann und alles darf. Was sie mit dem finalen Song, „Provenza“, bewies: Den spielte sie zuerst in einer rustikalen Version an, dann, wie man ihn aus dem Radio kennt, und zuletzt als Club-Banger. Die LED-Armbänder, die vor dem Konzert verteilt wurden, blinkten dazu in allen Farben des Regenbogens. Sie tun es noch am nächsten Morgen, an dem - wie versprochen - alles gut ist. Wer ist Karol G? Sie ist unermüdlich.