Kritik zur ARD-DokuGrößtes Outing in der Geschichte der katholischen Kirche
Köln – Die Ankündigung der ARD ist knallig: „Größtes Coming Out, das es in der katholischen Kirche jemals gegeben hat.“ Die Dokumentation, um die es geht, setzt sich davon wohltuend ab: mit leisen Tönen und dem Zutrauen, dass die Zeugnisse von 100 nicht-heterosexuellen Menschen ihre eigene Stärke haben.
Hajo Seppelt, bekannt als Investigativ-Journalist im Bereich der Sportverbände und des Dopings, verwirklicht mit „Wie Gott uns schuf“ auf dem „Story“-Sendeplatz um 22:50 Uhr im Ersten (hier geht es zur Mediathek) ein Projekt, an dem er sich 2013 schon einmal versucht hat. Damals wollte Seppelt – ehedem katholisch sozialisiert, aber vor neun Jahren aus der Kirche ausgetreten – homosexuelle Katholiken und Katholikinnen vor die Kamera zu bringen, die bei der Kirche arbeiten. Er scheiterte. Zu groß war die Angst vor Repressalien und arbeitsrechtlichen Konsequenzen.
Kirche schreibt Loyalitätsobliegenheiten fest
Die „Grundordnung“ der katholischen Kirche in Deutschland, die im Film breiten Raum einnimmt, bindet das Arbeiten bei der Kirche an „Loyalitätsobliegenheiten“ mit einem andernorts unvorstellbaren Eingriff ins Privatleben: Wer als schwules oder lesbisches Paar offen zusammenlebt oder gar heiratet, riskiert die Kündigung. Weil die Lehre der römischen Kirche nur die Ehe von Mann und Frau als gottgewollte, legitime Form des Zusammenlebens erachtet.
Zwischen manchen Bistümern, vorwiegend im Südosten der Republik, herrsche nach wie vor ein „knallharter Kündigungswettbewerb“. Seppelt sagt, er habe sich bei seinen Recherchen sehr an die Verhältnisse im organisierten Sport erinnert gefühlt: „Closed-Shop-Mentalität, anachronistische, nicht demokratisch legitimierte Strukturen, Willkür.“
Haarsträubende Schicksale
Seppelts Film zeichnet so anrührende wie haarsträubende Einzelschicksale nach. Etwa das von Carla Bieling, die zwei Wochen vor dem Beginn des Mutterschutzes vom Erzbistum Paderborn mit einem Aufhebungsvertrag aus ihrem Job als Jugend- und Familienreferentin gedrängt wurde, nachdem ihr Arbeitgeber von ihrer eingetragenen Lebenspartnerschaft erfahren hatte.
Monika und Marie, ein lesbisches Paar, das seine Liebe 40 Jahre lang verheimlichen musste, schildert seine „Seelenpein“. Marie, inzwischen Lehrerin im Ruhestand, bricht in Tränen aus, als sie erfährt, dass die bis heute gehegte Sorge um ihre kirchliche Pension umsonst war. Die Kirche kann ihr nichts mehr, erklärt ihr der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller. „Aber man hat mir ihrer Angst gespielt.“
Kirche akzeptiert Geschlechtsumwandlung nicht
Der angehende Religionslehrer Theo Schenkel muss um seine kirchliche Unterrichtserlaubnis fürchten, weil die Kirche nicht bereit ist, ihn nach einer Geschlechtsumwandlung als Mann anzuerkennen und seine Ehe daher kirchenoffiziell als – unerlaubte – gleichgeschlechtliche Partnerschaft gilt.
Diese vier und viele andere wollen sich nicht mehr verstecken. Schluss mit dem Doppelleben, den Lügen, der entwürdigen Undercover-Existenz. Die Kachel-Ästhetik des Films mit ihren seriellen Elementen erinnert an das Vorbild des legendären Stern-Titels „Wir haben abgetrieben“ von 1971. Kamera und Schnitt sind sensibel, lassen den Emotionen und – sonst selten genug – auch der Stille so viel Raum, dass immer wieder Taschentuch-Alarm angesagt ist.
Der Druck auf die Kirche wächst
In der Kirche ist mittlerweile einiges im Fluss. Weniger aus theologischer Einsicht oder spirituellen Motiven, sondern aus „blanker Not“, glaubt Schüller. Zu denken ist da an den Druck auf kirchliche Arbeitgeber, die kein Personal mehr finden. Da sind deutsche Arbeitsgerichte, die der Kirche heute sehr viel genauer auf die Finger schauen. Da sind die vielen Gemeinden, die sich im vorigen Jahr mit der Segnungsaktion „Liebe gewinnt“ für schwul/lesbische Paaren und dem Protest gegen Geschlechterdiskriminierung solidarisiert haben.
Und da sind einzelne Bischöfe, die auf eine Reform von Lehre und Praxis der Kirche dringen. Als einziger der 27 deutschen Oberhirten hat sich Aachens Bischof Helmut Dieser von Seppelt befragen lassen – und sagt Erstaunliches bis hin zu einer Entschuldigung „im Namen der Kirche“. Nur: Eine Entschuldigung ändert noch keinen Arbeitsvertrag.
Signal für Kirchenreformen
Zwei Wochen vor der dritten Vollversammlung des „Synodalen Wegs“, eines Reformprojekts der deutschen Kirche, ist Seppelts Film auch ein kirchenpolitisches Signal.
Genau wie seine multimediale Verlängerung ins Internet durch die von LGBTQI+ Personen aus der Kirche, Haupt- und Ehrenamtlichen, getragene Initiative #OutInChurch. Für eine Kirche ohne Angst“. An diesem Montag geht das vom Schauspieler-Outing #ActOut inspirierte Projekt mit einem Aufruf zum Outing und zur Solidarisierung sowie mit einem Manifest (hier geht es zum Text) für ein Ende der Diskriminierung in der Kirche online.
125 Kirchenmitarbeitende machen den Anfang
125 Priester und nicht geweihte Seelsorgerinnen und Seelsorger, Lehrerinnen und Lehre, kirchliche Bedienstete aus dem Gesundheitswesen, der Pflege, der Sozialarbeit und der kirchlichen Verwaltung machen den Anfang.
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Viele von ihnen haben im Film mitgewirkt. Nicht alle wollen ihren Namen nennen. Umso mehr hofft Mitinitiator Jens Ehebrecht-Zumsande auf eine „konzertierte Aktion“. Es brauche den innerkirchlichen Rückhalt und den Flankenschutz der Gesellschaft für die Rechte von LGBTQI+ Personen in der Kirche.
Unmittelbar mit Beginn haben sich zwei Dutzend katholische Verbände und Initiativen hinter #OutInChurch“ gestellt. Ein Outing in diesem Rahmen sei „ein mutiger und für viele sicherlich kein einfacher Schritt“, heißt es in einer Erklärung der Verbände. „Mit der Stärke unserer gemeinsamen Stimme solidarisieren wir uns mit den mutigen Personen - auch in unseren Reihen - und unterstützen ihre Forderungen.“