AboAbonnieren

„Nicht von vornherein Sünde“Reform der katholischen Sexualmoral wird konkreter

Lesezeit 5 Minuten
Neuer Inhalt

Liebe ist vielfältig.

Aachen/Köln – Auf dem „Synodalen Weg“, dem laufenden Reformprozess der katholischen Kirche in Deutschland, konkretisieren sich die Vorstöße zu Änderungen der kirchlichen Sexualmoral.

Der Aachener Bischof Helmut Dieser spricht jetzt von einem „grundsätzlichen Paradigmenwechsel“, mit dem die Kirche künftig „zunächst einmal das Leben der Menschen wirklich wahrnehmen“ werde. Aus der Bibel ergebe sich ein „Primat der Liebe“, sagt Dieser der „Kirchenzeitung für das Bistum Aachen“. Unter dieser Prämisse solle die kirchliche Lehre aus der Gesellschaft und den Humanwissenschaften „einen Anstoß zur Weiterentwicklung“ bekommen.

Verurteilung von nicht-ehelichem Sex soll fallen

Insbesondere tritt der Aachener Bischof dafür ein, die Verurteilung jeglicher Sexualität außerhalb der (heterosexuellen) Ehe fallenzulassen. Er und andere Bischöfe wollten „nicht mehr sagen müssen, dass alle Sexualität, die außerhalb der Ehe von Mann und Frau gelebt wird, von vorneherein Sünde ist“.

Beim Synodalen Weg ist Dieser Co-Vorsitzender einer Untergruppe zum Thema Sexualmoral. Dieses Forum trägt den Titel „Leben in gelingenden Beziehungen – Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft“.

Neuer Inhalt

Bischof Helmut Dieser und Birgit Mock leiten gemeinsam das Forum Sexualmoral beim „Synodalen Weg“.

Zweite Co-Vorsitzende ist die vom Mitveranstalter, dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK), benannte Geschäftsführerin des Hildegardis-Vereins, Birgit Mock. „Wir kommen nicht über Verbote, sondern sehen die Chancen“, sagt sie über die Grundhaltung des Forums im gemeinsamen Interview. Auch mit Blick auf die klassische Ehe habe die Kirche „immer noch die Vorstellung, dass jeder Akt der genitalen Sexualität offen sein muss für das Leben“, kritisiert Mock. Fruchtbarkeit in einer Beziehung sei viel mehr als die biologistische Engführung auf die Zeugung neuen Lebens.

„Sexuelle Wesen“

Dieser stellt fest, es gebe neben Paaren in einer traditionellen Ehe „auch Menschen, die nicht heterosexuell sind, deren Ehe gescheitert ist oder die mit großer Beziehungsunsicherheit eine solche Ehe gar nicht leben könnten. Sie finden sich dennoch als sexuelle Wesen vor und können doch einen Wachstumsweg beginnen, ohne dass sofort das Damoklesschwert der Gefährdung des Heils über ihnen hängt.“

Der Bischof fordert deshalb auch eine Öffnung der Kirche für Homosexuelle mit Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften. „Wir sagen bis jetzt, niemand darf euch diskriminieren, aber ihr müsst enthaltsam sein, weil sonst euer Heil gefährdet ist. Enthaltsamkeit ist auch eine Gottesgabe. Wenn ein Mensch dazu aber nicht berufen ist, was soll er tun? Ist das Evangelium für diesen Menschen schon auserzählt? Das kann doch nicht sein. Das gilt genauso für die wiederverheiratet Geschiedenen. Die Lösung des Papstes ist: begleiten, integrieren, einen Wachstumsweg zeigen.“

„Glaubhaft sagen können: Das ist ein alter Hut“

Mit Papst Franziskus plädiert Dieser für eine Unterscheidung der Lebenssituationen von Menschen. „Damit wird ein Dialog möglich.“ Dieser wendet sich in diesem Zusammenhang gegen ein Papier der Glaubenskongregation vom Februar, das schon die Segnung homosexueller Paare verbietet. „Wenn das Schreiben aus Rom sagt, Sünde dürfe man nicht segnen, bricht der Dialog sofort ab“, kritisiert Dieser. „Als Kirche versündigen wir uns an vielen Menschen, die nicht in ein menschengemachtes Raster passen“, fügt Mock hinzu.

Dieser beklagt, dass die katholische Sexualmoral Missbrauch im Raum der Kirche begünstigt habe. Die wissenschaftliche Aufarbeitung habe gezeigt, „dass Täter oft Menschen sind, die nicht gelernt haben, ihre Sexualität anzuschauen. Diese Regressivität haben wir durch kirchliche Sexualmoral mitverursacht. Wir wollen sie überwinden.“

„Dann habe ich zu Ende verkündet“

Der Bischof erinnert auch an den Grundauftrag der Kirche, allen Menschen das Evangelium zu verkündigen. „Können wir das? Noch längst nicht! Wenn Menschen uns vorwerfen, dass wir andere Menschen diskriminieren, habe ich auserzählt und zu Ende verkündet.“ Das habe er bei jungen Leuten selbst erlebt, etwa in der Frage der Homosexualität.

„Die Menschen haben das Evangelium verdient. Der Dialog mit ihnen darf nicht daran scheitern, dass sie mal gehört haben, dass die Kirche Homosexuelle diskriminiert.“ Er müsse „glaubhaft sagen können, dass das ein alter Hut ist“, so Dieser weiter. „Ich möchte den Menschen endlich mit Freude sagen können, dass die Botschaft des Glaubens das Menschsein reich und tiefer macht. Ja sogar heilig macht.“

Widerstand einer Minderheit

Dieser räumt Widerstände einer „selbstbewussten Minderheit“ gegen die Reformbestrebungen ein. Außer dem Ausstieg des – inzwischen wegen des Vorwurfs von Pflichtverletzungen im Umgang mit Missbrauchsfällen beurlaubten – Kölner Weihbischofs Dominikus Schwaderlapp gebe es aber „keine Abwanderungen“, die Arbeitsatmosphäre sei „ganz und gar positiv“.

Schwaderlapp habe das Forum verlassen, weil die Kirche nach seiner Auffassung keine Erlaubnis hat, ihre Lehre zu Ehe und Sexualität zu verändern, erklärt Mock. „Das sehen wir anders. Wir sehen es geradezu als Auftrag. Uns geht es darum, glaubwürdig zu sein in der Frohen Botschaft.“ Den möglichen Spannungen müsse sich der Synodale Weg stellen, „wenn Rom unsere Eingaben verwirft“.

Das könnte Sie auch interessieren:

Die Statuten des Synodalen Wegs, der 2022 enden soll, sehen vor, dass die aus rund 230 Delegierten bestehende Synodalversammlung über alle Reformvorschläge beschließen muss. Diese betreffen auch Fragen der Machtkontrolle und Gewaltenteilung in der Kirche, die Rolle der Frauen in der katholischen Kirche mit der Frage nach Zulassung der Frauen zu den geistlichen Ämtern sowie die priesterliche Lebensform, hier konkret den Zölibat mit der Verpflichtung zur Ehelosigkeit.

Doppelte Zweidrittelmehrheit

Für alle Beschlüsse ist eine doppelte Zweidrittelmehrheit erforderlich, nämlich sowohl des Plenums als auch der 67 Bischöfe in der Synodalversammlung. Diese Konstruktion ist auf Kritik gestoßen, weil sie die Bischöfe privilegiert. Verteidiger weisen auf die hierarchische Kirchenverfassung hin, in der den Bischöfen die Letztverantwortung zustehe.