Keith-Haring-Ausstellung in EssenDas wilde Leben der 80er Jahre
- Keith Haring war in den 80er Jahren ein berühmtes Mitglied der New Yorker Kunstszene.
- Seine Werke verhandeln Themen wie Aids, Drogenkonsum oder Rassismus, Toleranz und sexuelle Selbstbestimmung.
- Das Folkwang Museum in Essen untersucht nun, wie es dem Künstler gelang, klassische Galerienkunst mit der Kunst der Straße zu vermitteln
Essen – Lang und schlaksig lümmelt er auf einem Sitz in der New Yorker Subway, Nickelbrille, fransige Haare über der hohen Stirn, Coca-Cola-T-Shirt, Baseballjacke und dreckige Turnschuhe.
Keith Haring ist, als das Foto 1984 entsteht, längst berühmt und ein wichtiges Mitglied der New Yorker Kunstszene – sieht aber nach wie vor aus wie ein Vertreter der Beat-Generation und Handlungsreisender irgendeiner Gegenkultur.
Das Folkwang Museum in Essen untersucht in seiner aktuellen Ausstellung nun, wie es dem Künstler in den 1980er Jahren gelingt, High und Low, klassische Galerienkunst mit der Kunst der Straße zu vermitteln. Hier sind es vor allem die Einflüsse der Stadt New York und die soziopolitischen und popkulturellen Kontexte jener Epoche, die die Kunst Keith Harings in all ihren Facetten greifbar machen. Viele Filme und Videos über, mit und von dem Künstler lassen das wilde laute Leben der 1980er Jahre aufleben, Musik und Sound inbegriffen. Clubbesuche, Gruppenausstellungen, gemeinsame Mal-Aktionen, ein Flirt mit der Kamera.
Raumgreifende Performance
Gleich zu Anfang sieht man den Künstler bei einer raumgreifenden Mal-Performance, die deutlich zeigt, wie sehr Haring seine Kunst mit ganzem Körpereinsatz aufführt. Großzügig hängen sowohl die vielen kleineren Arbeiten, Dokumente, Fotografien und Flyer als auch die Riesenarbeiten in den Räumen. Die Ausstellung ahme, so der Essener Kurator Jürgen Lechtreck, in ihrer Offenheit das Erleben der Stadt nach.
Es ist eine Karriere in High Speed, die der junge Keith Haring (1958–1990) hingelegt hat, und die sich in der Infrastruktur der Ausstellung überzeugend abbildet. Die von der Tate Gallery Liverpool gemeinsam mit dem Palais voor Schonen Kunsten (BOZAR) in Brüssel und dem Folkwang Museum organisierte Ausstellung macht – gerade auch wegen der vielen Bewegtbild-Dokumente – großen Spaß. Man sollte sich freilich klar darüber sein, dass hier ein schon Geweihter geweiht wird. Keith Haring ist kein Unbekannter, ganz im Gegenteil, seine Kunst ist derart bekannt und populär, dass ein neuer frischer Blick nur guttut.
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Als der Künstler 1986 in Downtown Manhattan seinen ersten Shop eröffnet, ist dies nur die konsequente Fortführung seiner demokratischen Auffassung von Kunst: eine Boutique, in der die Kunst für jeden erreichbar ist, eine Kunst, die die Ausdrucksformen der Straße mit der Sprache der Galerie zu verbinden vermag. Comics, Graffiti, Punk und Pop Art inspirierten ihn, HipHop, Street-Art, Videospiele, ebenso wie Kunstgeschichte und Kulturtheorie; immer wieder kooperiert er mit Künstlerkollegen. Seine Werke verhandeln Themen wie Aids, Drogenkonsum oder Rassismus, Toleranz und sexuelle Selbstbestimmung.
New York als Ausstellungsort
Keith Haring, 1958 in Pennsylvania geboren, findet früh schon seine eigene Bildsprache, er studiert Gesten und Haltungen der Menschen, ihre Gebärden und Interaktionen, setzt diese, nachdem er vorher abstrakte Zeichensysteme entwickelt hatte, zu leicht lesbaren Bildercodes zusammen und schafft seine ganz persönlichen Piktogramme und Hieroglyphen aus Bild- und Schriftelementen. Schon während seines Studiums an der School of Visual Arts in New York (1978–1980) begibt sich Haring mit seinen Strichmännchen-Botschaften in die Öffentlichkeit, zeichnet auf leere Werbeflächen in der U-Bahn Bilder, die auch im Vorbeifahren schnell erfasst werden können.
Während seines Studiums lernt er Performance-Kunst kennen, Concept Art und Videokunst, aber auch die Kunst fremder Kulturen. Er experimentiert selbst mit verschiedenen Medien, verbindet und verknüpft Methoden und Techniken, beschäftigt sich auch mit Semiotik, der Wissenschaft von Zeichen und Symbolen, collagiert und fotokopiert, schafft Soundarbeiten in Kooperation mit Künstlerkollegen, organisiert selbst Ausstellungen.
Der öffentliche Raum und mit ihm die Kommunikation und der Kontakt mit dem Publikum werden zunehmend wichtiger für ihn. Er probiert verschiedene Formate aus, schafft mit den „painted environments“, ge- und bemalten Umgebungen, „sinnlich erfahrbare Gesamtkunstwerke“ und filmt den eigenen tänzerischen Malprozess. Der Akt des Zeichnens folgt für ihn einer ganz eigenen Choreographie.
In seinen ersten New Yorker Jahren schon wird ihm die ganze Stadt zum Ausstellungsort, die zahllosen Kreidezeichnungen in den Streckennetzen der New Yorker Subway machen den jungen Künstler bekannt, er wird öfter von der Polizei verhaftet, wird Teil der Graffiti-Szene, Freund des Malerstars Jean-Michel Basquiat, produziert subversive Wort-Text-Collagen. Fotografien seiner Street-Art-Werke und Fetzen seiner abstrakten Bilder finden auf Laternenpfählen, Kiosken und Mülleimern ihren Platz. Irgendwann werden die unsignierten Arbeiten immer häufiger entwendet, um sie in den Kunstmarkt einzuschleusen, also hört er ganz auf. Sein Anliegen einer Kunst für alle ist gerade nicht mit dem kommerziellen Kunstbetrieb vereinbar.
Skizzen auf der Berliner Mauer
Mit der Teilnahme an der documenta VII in Kassel gelingt Keith Haring 1982 der internationale Durchbruch. Im Jahr darauf trifft er sein großes Idol und Vorbild Andy Warhol. Wie dieser möchte er Kunst und Leben zusammenführen. Wie Warhol wird er mit seiner unverwechselbaren Bildsprache selbst zu einer Marke. Seine Wandmalereien sprechen vom Terror und den Vergnügungen unserer Zeit, von der Gefahr der Atomkraft, von religiöser Bigotterie, von der Kraft des Tanzes oder der Paranoia unseres Systems. Er bemalt die Berliner Mauer und den Körper von Grace Jones. Er spricht zu den Menschen und zu der Stadt, spricht zu den 80ern und der ganzen Welt.
Mit dem Medium Plakat bringt er Themen wie Drogen, Rassentrennung und Aids in die Öffentlichkeit. 1987 wird die Immunschwächekrankheit bei ihm diagnostiziert, was ihn antreibt, sich mit seiner Kunst noch vehementer für die Aufklärung einzusetzen. Keith Haring stirbt 1990. Da ist er 31 Jahre jung.
Essen Museum Folkwang: Keith Haring, 21. August bis 29. November 2020; Di–So 10–18, Do, Fr auch bis 20 Uhr.
www.museum-folkwang.de