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„King of Stonks“Diese beiden Kölner produzieren Hits für Netflix

Lesezeit 10 Minuten
Bildundtonfabrik

Matthias Murmann (l.) und Philipp Käßbohrer in Ehrenfeld

  1. „How to sell drugs online“ war ein Hit aus Kölner Produktion
  2. Die bildundtonfabrik legt jetzt mit der Serie „King of Stonks“ nach
  3. Im Interview erklären die Geschäftsführer, wie es zum Auftrag für die Verfilmung des Wirecard-Skandals kam.

Herr Käßbohrer, Herr Murmann, Ihre neue Netflix-Serie heißt “King of Stonks”. Über den Titel werden sicher viele Deutsche stolpern. Ist die Irritation einkalkuliert?

Philipp Käßbohrer: Wir wollten der Serie einen Titel geben, der neugierig macht. Menschen die Lust haben, sich auf das Unbekannte einzulassen, sind unsere Lieblingszuschauer:innen. Stonks ist ein ironischer Internetbegriff für Aktien, also Stocks. Da schwingt dieses Wahrheit-Lüge-Thema so schön mit. Und natürlich mögen wir die Verwandtschaft zu “Schtonk!”, eine der schönsten deutschen Betrugs-Geschichten. Wir haben sowieso viel Helmut Dietl geschaut, der vielleicht der letzte ganz große Satiriker im deutschen Film war. Er hat sich getraut, solche Exzentriker-Geschichten in allen Spielformen zu erzählen.

Matthias Murmann: Wenn man “Stonks” googelt, findet man ja so einiges heraus. Es eröffnet sich eine unterhaltsame Meme Welt und zeigt auch auf crazy Aktienrallyes, die es in der Tech-Bubble mit Elon Musk, Gamestop und Co. immer wieder gibt. Sobald Musk z.B. einen Link zu irgendeiner Cryptowährung twittert, schießt diese nach oben und die Wallets der Leute vervielfachen sich. Alles vorbei an der Bank- und Börsenaufsicht. Internet-Kultur versus Wall Street, das hat uns gefallen.

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Der Wirecard-Skandal, auf dem Ihre Serie lose beruht, drängt sich als Stoff ja geradezu auf. Aber wie kam es zu dazu, dass Sie daraus für Netflix eine Serie gemacht haben?

Käßbohrer: Wir machen seit über zehn Jahren Gesellschafts-Satire, da ist so eine Geschichte ein tolles Geschenk. Das hat Netflix auch direkt erkannt. Also haben wir uns mit Fabienne Hurst, Mats Frey und Jan Eichberg zusammengesetzt und ein Pitch-Paper entwickelt. Ein paar Wochen nach Bekanntwerden des Skandals gab es dann schon den Auftrag. Und ein Jahr später war die erste Folge bereits fertig geschnitten.

Murmann: Netflix rief auch deshalb an, weil wir eine ausgeprägte Expertise mit Bösewichten haben (lacht). In “How to Sell Drugs Online (Fast)” und in den sechs Folgen “King of Stonks” haben wir uns intensiv mit der Psyche solcher Persönlichkeiten auseinandergesetzt. Was treibt Charaktere wie Moritz, Magnus und eben auch Jan Marsalek an? Als Marsalek auf einmal weg war, haben wir uns natürlich gefragt, warum haut der ab und wie war sein Verhältnis mit Markus Braun. Uns war klar, dass wir ein paar Anlehnungen an die Originalgeschichte übernehmen möchten. Von den exakten historischen Ereignissen haben wir uns aber schnell freigespielt und werfen mit Humor und einer gewissen Überhöhung einen satirischen Blick auf die Finanzbranche.

Die Firma und die Serie

Philipp Käßbohrer und Matthias Murmann gründeten ihre Produktionsfirma bildundtonfabrik (btf) 2012 in Ehrenfeld. Bekannt wurden sie zunächst vor allem durch ihre Zusammenarbeit mit Jan Böhmermann. Ihre Netflix-Serie „How to sell drugs online (fast)“ war ein großer Erfolg. Sie produzieren unter anderem die Shows von Maren Kroymann und Carolin Kebekus. Für ihre Arbeit gewannen sie bisher zwölf Grimme-Preise und zahlreiche andere Auszeichnungen.

Die sechsteilige Serie „King of Stonks“ mit Matthias Brandt und Thomas Schubert in den Hauptrollen basiert lose auf dem Wirecard-Skandal. Regie führte der vielfach ausgezeichnete Kölner Jan Bonny. Die Satire ist ab 6. Juli bei Netflix zu sehen.

Wie überhöht man etwas, das an sich schon wie Satire wirkt?

Käßbohrer: In unserer Serie haben wir uns auf die Psychologie der Figuren konzentriert. Die Serie ist mehr Sophokles als Pythagoras. Es geht also mehr um die Vater-Sohn-Komplexe unserer Figuren als um Zahlen. Denn das kennt jeder Mensch in unterschiedlichem Ausmaß. Die Suche nach einem Halt, nach einer Vater-Figur, nach Liebe, Anerkennung, aber auch Rache-Gefühle, Hass oder Vergeltung.

Murmann: Für uns spielt Tonalität immer eine große Rolle. Viele Serien oder Filme schauen auf solche Stoffe immer durch eine dramatische Brille. Uns hat natürlich das Gegenteil interessiert. Regisseur Jan Bonny hat ein sehr gutes Auge für Menschen und deren Abgründe und inszeniert auch gerne extreme Situationen. Gepaart mit Spaß und Überhöhung ist daraus ein wilder Ritt für unser Publikum geworden. Aber natürlich findet sich bei all der Überhöhung immer auch eine Wahrheit wieder: Alle kochen immer nur mit Wasser, egal wie hoch die Vorstands-Etage ist. Das sind auch unsere Erfahrungen der letzten zehn Jahre.

Sie sehen Parallelen zwischen der Finanzbranche und der Film- und Fernsehbranche, was die Psychologie der Charaktere an geht?

Käßbohrer: Man mag das kaum glauben, aber auch wir hatten in unserer Karriere die Möglichkeit, narzisstische Alpha-Männer bei der Arbeit zu beobachten. Sowieso hatten viele der tollen Menschen, die bei diesem Projekt dabei waren, wahnsinnigen Spaß daran, sich an den Arschlöchern abzuarbeiten, die sie im Laufe ihres Lebens getroffen haben. Man kann sich gut vorstellen, dass auch ein Matthias Brandt Gelegenheiten hatte, solche zu beobachten.

Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit Jan Bonny?

Käßbohrer: Jan war der ersten, den wir angerufen haben, als feststand, dass wir die Serie machen wollen. Wir sind lange befreundet, haben an der KHM studiert und ticken - vielleicht deshalb - ähnlich. So ein Stoff, in dem es auch um Shortseller und Wirtschaftsprüfer geht, kann ja schnell trocken werden. Aber wir wussten, wenn Jan dabei ist, passiert das nicht. Wir wollten etwas Lebendiges machen, etwas über die Menschen, die hinter so einem Skandal stecken. Mit viel Ambivalenz. Keine Figur ist nur „gut“ oder „böse“.

Und wie schwer war es, Matthias Brandt zu dieser Perfomance zu bringen?

Käßbohrer: Jan hatte mit Matthias Brandt ja schon in anderen tollen Projekten zusammengearbeitet, damit konnten wir sein Vertrauen gewinnen. Zu diesem Zeitpunkt waren noch gar nicht so viele Drehbuchseiten fertig. Matthias Brandt hat sich das eher zunutze gemacht und seine Figur maßgeblich mitentwickelt. Die falschen Zähne hat er sich selbst besorgt und dafür auch richtige Opfer gebracht. Den gesamten Dreh über gab es für ihn nur Flüssignahrung, weil er damit nichts anderes essen konnte.

Murmann: Wir hatten einige Figuren als Inspiration für die Rolle. Matthias hat sich damit sehr intensiv auseinandergesetzt und noch sehr viel in die Rolle eingearbeitet. Das hat sehr gut funktioniert. Es gibt ja tolle Vorlagen: Jürgen Höller, Frank Schätzing, Elon Musk. Das macht wirklich wahnsinnig viel Spaß, sich das anzugucken und sich von solchen Menschen inspirieren zu lassen.

King of Stonks

Thomas Schubert (l.) als Felix Armand und Matthias Brandt als sein Chef Magnus in einer Szene aus "King of Stonks" 

Wie tief mussten Sie in die Mechanismen der Finanzwelt einsteigen?

Käßbohrer: Wir haben uns natürlich mit den Mechanismen auseinandergesetzt, ein paar davon werden im Laufe der Serie auch erklärt. Aber die Mechanismen sind ja nicht das Problem, sondern die Menschen. Wenn sie anfangen, emotional zu handeln, zum Beispiel um jemanden zu übertrumpfen, treffen sie falsche Entscheidungen. So verstellt sich ganz allmählich der moralische Kompass.

Murmann: Im Verlauf der Staffeln brauchten wir Szenen, in denen wir grob anreißen, wie ein paar der Markt-Mechanismen funktionieren, damit man den Handlungen unserer Figuren folgen kann und versteht, was auf dem Spiel steht. Wir haben natürlich unsere Hausaufgaben gemacht und uns eingearbeitet, aber im Fokus der Szenen war immer die Figur.

Herr Käßbohrer, Sie sagten eben, “Schtonk!” sei die letzte richtig gute Satire aus Deutschland gewesen. Das ist 30 Jahre her. Haben wir ein Humor-Problem?

Käßbohrer: Deutschland ist ja traditionell in E und U aufgespaltet. In Ernst und Unterhaltung. Die einen dürfen zum Filmpreis, die anderen müssen zum Comedypreis. In unseren Produktionen erzählen wir jedoch Geschichten, die einen ernsten Kern haben, aber natürlich nie langweilig sein dürfen. Es muss immer unterhalten. Dafür gibt es in Deutschland keine Kategorie. Der Begriff “Entertainment” wurde nie richtig eingeführt. Bei „Comedy“ denken alle an Ralf Schmitz. Und „Komödie“ ist von Til Schweiger und Matthias Schweighöfer besetzt. Was anspruchsvolle Unterhaltung angeht, dazu noch mit einer gewissen Lebendigkeit, war nach Dietl nicht mehr so wahnsinnig viel los. Während der Dreharbeiten zu "King of Stonks" hatten wir oft das Gefühl, es wurde schon lange nicht mehr mit so vielen ernstzunehmenden Menschen so viel unterhaltsamer Quatsch gemacht.

Haben wir vielleicht auch deshalb ein Problem mit humorvollem Erzählen, weil wir uns in Deutschland selbst immer wieder vorsagen, dass wir damit ein Problem haben?

Murmann: Damit setzen wir uns auch sehr intensiv auseinander. Welche Erzählkultur haben wir? Und wie funktioniert das Publikum in anderen Ländern? Wir merken schon, dass es noch viel Arbeit ist, die Brücke zwischen Unterhaltung und Anspruch zu schlagen. Im Angloamerikanischen gibt es die Trennung zwischen Story und History. In Deutschland gibt es nur einen Begriff für “Geschichte”. Bei uns gibt es tolle und abwechslungsreiche Literatur, aber im Film wird es dann doch relativ dünn und wahnsinnig ernst. Wir würden gerne unserem Publikum etwas bieten und Lust auf etwas ungewöhnlichere deutsche Produktionen machen. Frankreich liebt seine eigenen Filme. Hier ist man eher skeptisch, ob man deutsche Produktionen anschauen sollte. Das muss sich ändern.

Tut sich was bei der Akzeptanz deutscher Produktionen?

Käßbohrer: Wir in Deutschland haben es ein bisschen verpasst, eine eigene Erzählkultur zu entwickeln. Ich weiß nicht, ob irgendwo auf der Welt so viel adaptiert wird, wie in Deutschland. Wir treffen fast immer auf Redaktionen, die fragen “Mit welcher anderen Show, die schon mal erfolgreich war, ist das denn vergleichbar?” Unserer Meinung nach ist die einzig richtige Antwort auf diese Frage: Im Idealfall mit keiner.

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Verändert sich denn da etwas, auch im klassischen linearen Fernsehen?

Murmann: Es ist verrückt, wie viele Produktionen auf den deutschen Markt kommen. Mehr Streamer, mehr Leute, mehr Abos. Der Content wird leichter zugänglich. Und natürlich will das deutsche Fernsehen mitziehen. Die Frage ist, ob und in welcher Konstellation es schafft, dabei mitzuhalten, da die großen Streamer mit ihrer Produktions-Power und Sichtbarkeit sehr viel attraktiver für Talente sind. Wir haben jahrelang Serienkonzepte überall hingeschickt, steckten aber in der Schublade der Fernsehunterhaltung fest. Und dann irgendwann kamen die internationalen Kolleg:innen von Netflix, die einfach mutig waren und gesagt haben: “Let’s do this”. Diese Offenheit und den Mut, Neues zu erschaffen, haben wir jahrelang davor nicht erlebt. Wir hoffen aber natürlich sehr, dass sich der deutsche Markt und das deutsche Fernsehen weiterentwickelt und man nicht nur mit US Geld große Geschichten erzählen kann.

Der deutschen Branche fehlt der Mut?

Käßbohrer: Wir haben durch viele Genres hinweg extrem viel veröffentlicht in den letzten zehn Jahren. Was wir davon gelernt haben: “Nobody knows”. Das ist eine Grund-Verabredung, die einen mutig werden lässt und davor bewahrt, sich der Versuchung hinzugeben, Erfolg kontrollieren zu können. Wenn es Menschen gäbe, die den Stein der Weisen gefunden hätten, würden nur noch diese Leute Content machen. Das Verhalten der Zuschauer:innen ändert sich außerdem ständig. Wir fühlen uns sehr sicher in der Verabredung, dass wir es alle nicht wissen. Immer, wenn es zu bequem wird, wechseln wir den Stuhl.

Wie sehr wirft es Ihre Firma zurück, wenn Netflix eine mit Ihnen vereinbarte Produktion kurz vor dem Drehstart cancelt, wie gerade geschehen?

Käßbohrer: Durch unsere Erfahrungen der letzten Jahre sind wir mittlerweile sehr krisenerprobt. Es wirft uns kaum zurück und aus dem kurzen Stolperer haben sich auch direkt wieder neue Chancen ergeben. Mit Netflix sind wir in einem konstruktiven Austausch für die nächsten Jahre.

Ist es schwieriger, mutig zu sein, wenn man schon etabliert ist

Murmann: Mutig zu sein ist einfach auch eine Charaktereigenschaft, die wir im Laufe der Zeit entwickelt haben. Wir haben in unserem Beruf gelernt, dass man für Kreativität und Innovation vor allem auch ein großes Maß an Risikobereitschaft braucht. Anders kommt man nicht weiter. Das bedeutet natürlich auch, dass man mal Geld verbrennt und scheitert. Das kreative Feuer darf man aber nicht ausgehen lassen. Sonst können wir den Laden abschließen.

Käßbohrer: Das Verantwortungsbewusstsein für die vielen Menschen in unserer Firma ist natürlich in den letzten Jahren gewachsen. Um uns gut abzusichern, haben wir viele Standbeine. Dass die alle gleichzeitig wegbrechen, ist eher unwahrscheinlich. Aber natürlich merken wir, dass der Markt uns eigentlich woanders hinschieben will, er hätte am liebsten einen weiteren Mainstream-Anbieter, der konfektionierte Ware herstellt. Aber dann würden wir ja unser USP aufgeben. Das wäre ja nicht so schlau.