Die britische Shoegaze-Band Slowdive liefert in der ausverkauften Live Music Hall den idealen Soundtrack, um dem Weltschmerz zu entfliehen.
Konzert in der Live Music HallSlowdive bieten Köln zwei Stunden Eskapismus an
Im Hier und Jetzt zu leben, ist kein leichtes Unterfangen. Schon gar nicht, wenn so viel Negatives das Weltgeschehen prägt. Diverse Kriege und Konflikte, nicht nur in der Ukraine und in Nahost. Der stetig fortschreitende Klimawandel, dessen katastrophalen Folgen die Menschheit ohnmächtig hinzunehmen scheint. Oder das Ausmaß des Rechtsrucks in Deutschland, das sich in den vergangenen Tagen offenbarte.
Dazu noch die persönlichen kleinen oder größeren Probleme eines jeden Einzelnen. Unter diesen Gegebenheiten optimistisch in die Zukunft zu blicken, kann überwältigend sein. Manch einer neigt vielleicht sogar zu Eskapismus. Sich der Realität zu entziehen, darf natürlich keine Dauerlösung sein.
Temporär kann das aber einen kathartischen Effekt haben. Slowdive haben am Donnerstagabend (18. Januar) bei einem Konzert in der ausverkauften Kölner Live Music Hall über 1000 Menschen ermöglicht, für zwei Stunden der Realität zu entfliehen.
Slowdive in Köln: Träumerischer Shoegaze aus den 1990ern
Eine gewaltige „Wall of Sound“ ist dabei das tragende Element. Schon beim allerersten Song bieten Slowdive dem Publikum an zu träumen. „Shanty“, gleichzeitig auch der erste Titel des im vergangenen Jahr erschienen Albums „Everything Is Alive“, wird mit einem nach und nach immer mehr durchdringenden Synthesizer eingeleitet, der an Depeche Mode erinnert. Gitarren, ertränkt in Reverb, Delay und vielen weiteren Effekten, setzen atmosphärische Akzente. Genauso wie die sanften Stimmen von Rachel Goswell und Gitarrist Neil Halstead. Bass und Schlagzeug sorgen für Stabilität und halten die weiträumigen Klänge zusammen.
Das steht beispielhaft für die musikalische Formel von Slowdive. Sie wird auch Shoegaze genannt, ein Subgenre des Indie-Rocks. Es beschreibt wortwörtlich das, was gemacht werden muss, um es zu spielen: Richtung Boden, auf die eigenen Schuhe starren, damit in den richtigen Momenten haufenweise Gitarren-Effekte an- oder ausgeschaltet werden.
Slowdive gelten als Ikonen des Shoegaze. Schon eine ganze Weile. Die Band formierte sich 1989 in Reading, doch schon 1995 kam es zum Bruch. Die Alben, die in der Zeit entstanden, allem voran das 1993 erschienene „Souvlaki“, gelten als musikalische Meilensteine. Doch der Erfolg blieb seinerzeit aus, erst 2014 kamen die Briten wieder zusammen, um dort weiterzumachen, wo man Jahre zuvor aufgehört hat.
Slowdive-Sängerin Rachel Goswell freut sich über Kölner Schneemänner
In Köln geht das Konzept völlig auf. Slowdives Sound, eine Mischung aus teilweise drei gleichzeitig spielenden Gitarren, elektronischen Samples und Synthesizern, Bass und Drums, ist zwar überragend und vor allem laut, jedoch nicht ohrenbetäubend. Das Publikum, das entweder sehr jung oder schon seit den 1990er-Jahren dem Shoegaze verfallen ist, wird in seinen Bann gezogen, beinahe wie in Ekstase. Dennoch mit Zurückhaltung. Mehr als Schunkeln oder rhythmisches Kopfnicken ist nicht drin.
Natürlich wird gejubelt und applaudiert, auch mal lauter, wie bei dem phänomenalen „When The Sun Hits“ vom eben erwähnten „Souvlaki“. Wirklich mehr als ein knappes „thank you“ gibt es von der Band nicht. Rachel Goswell wirft zum Ende nur kurz ein, dass sie sich freut, dass so viele Menschen trotz des Schnees erschienen sind. Und dass sie sehr viele Schneemänner im Umfeld der Live Music Hall entdecken konnte.
Doch es geht primär um die Musik und ihren beruhigenden Effekt. Slowdive machen ein Angebot, ohne aufdringlich zu sein. Ein Soundtrack aus 16 Songs, mit passender Lichtshow, liefert die perfekte Basis, um all den Weltschmerz zu vergessen und von einer besseren Welt zu träumen. Viele nehmen das in Köln dankend in Anspruch und geben sich dem Eskapismus hin. Eine kollektive, spürbare Ruhe ist das Resultat. Zumindest zwei Stunden lang.