AboAbonnieren

„Minderheit ist ein Scheißwort“Gianni Jovanovic über sein Leben als schwuler Roma

Lesezeit 5 Minuten
Neuer Inhalt (5)

Gianni Jovanovic und Oyindamola Alashe  

Köln – Lustig, charmant, wütend, reflektiert, gelassen, derb und empfindsam. Gianni Jovanovic ist das alles auf einmal – und wahrscheinlich noch viel mehr. Ziemlich viel für einen einzigen Menschen, aber das ist auch kein Wunder, denn in seinem Leben ist auch sehr viel in sehr kurzer Zeit passiert.

Mit 14 Jahren wurde der Sohn einer Roma-Familie verheiratet, mit 17 war er schon zweifacher Vater. Als er Anfang 20 war, outete er sich schließlich als homosexuell und trennte sich von seiner Ehefrau. Es schreibt sich so leicht hin, in zwei Sätzen. Aber für Gianni Jovanovic war es alles andere als leicht.

Eigentlich erstaunlich, dass das Buch, in dem er jetzt seine Geschichte erzählt, nur 224 Seiten lang ist. Er hat es zusammen mit einer guten Freundin geschrieben, der Journalistin Oyindamola Alashe. Es heißt „Ich, ein Kind der kleinen Mehrheit“ – ein merkwürdiger Titel, der erst am Schluss aufgelöst wird: „Minderheit ist ein Scheißwort. Ich spreche schon lange nur noch von kleinen Mehrheiten. Das ist (m)ein kleiner Akt der Selbstermächtigung“ heißt es da.

Jovanovic will nicht die Opfer-Karte ziehen

Gianni Jovanovic will sich nicht als Angehöriger einer „Minderheit“ fühlen müssen und er will auch nicht die „Opfer-Karte ziehen“, wie er sagt. Selbstmitleid ist nicht sein Stil. Natürlich fühlt man als Leser und Leserin trotzdem mit dem Jungen, der er einmal war. Ist erschrocken und beschämt bei den Schilderungen von rassistischen Angriffen und der oft menschenunwürdigen Wohnsituation seiner Familie. Aber die Erzählhaltung des Buchs ist immer selbstbewusst: „Mal mit Humor, mal mit Tränen, mal mit Ernsthaftigkeit“. Und genau so hat Oyindamola Alashe die Geschichte ihres Freundes auch aufgeschrieben.

„Solange ich sie schon kenne, habe ich immer gesagt: Oyindamola – ich möchte gerne mit dir ein Buch schreiben!“, erzählt er. Aber erst nach der Kritik an der WDR-Sendung „Die letzte Instanz“ war da plötzlich die große öffentliche Aufmerksamkeit für ein Thema wie Antiziganismus. Eine rein weiß besetzte Prominentenrunde hatte dort ohne jede Sachkenntnis unter anderem über Rassismus diskutiert.

Lesung in Ehrenfeld

Am Freitag, 8. April, um 20 Uhr (Einlass 19 Uhr) lesen Gianni Jovanovic und Oyindamola Alashe aus „Ich, ein Kind der kleinen Mehrheit.“ (Blumenbar Verlag) im Bürgerzentrum Ehrenfeld, die Tickets kosten ab acht Euro.

Als Reaktion darauf entstand „Die beste Instanz“ – Gianni Jovanovic war einer der Gäste dieser alternativen Talk-Runde, die mit dem Grimme-Online Award 2021 ausgezeichnet wurde. Medien und Verlage wurden auf ihn und seine Geschichte aufmerksam. „Plötzlich hatten wir die freie Wahl“, sagt er.

Dass er das Buch mit seiner Freundin zusammen machen würde, war für ihn gar keine Frage: „Diese Geschichte hätte ich niemand anders erzählen können außer ihr“. Sie mieteten sich für eine Wohnung in Berlin. „Und dann haben wir wirklich nichts anderes gemacht als miteinander zu sprechen. Manchmal haben wir bis vier Uhr morgens zusammen auf einer großen Couch gelegen und geredet.“

Über Rassismus-Erfahrungen ausgetauscht

Dabei, erzählt die Journalistin, habe sie „nochmal einen ganz anderen Gianni kennengelernt“. Das war für beide nicht immer leicht: „Weil wir über so persönliche, familiäre traumatische Erlebnisse gesprochen haben - von den Rassismus-Erfahrungen ganz zu schweigen.“

Heute ist Gianni Jovanovic ein erfolgreicher und eloquenter Unternehmer mit strahlendem Lächeln (er hat Dentalhygiene studiert und ein eigenes Bleaching-Studio). Selbstbewusst steht er auf Bühnen, als Performer und Aktivist für die Rechte von Romnja und Sintizze. Und seit 15 Jahren ist er glücklich mit seinem Ehemann zusammen. Dieser Mann soll wirklich der Junge aus dem Buch sein? Der Teenager-Vater, der in die Förderschule abgeschoben worden war?

Kein Umfeld, in dem Kinder leben sollten

Bei ihrer Recherche für das Buch schaute sich Oyindamola Alashe unter anderem alte Nachrichten-Sendungen an. „Und da hab ich meinen Gianni als Kind gesehen – und das konnte ich nicht fassen. Dass er in einer Umgebung groß geworden ist, wo ich als Mutter und als Freundin sagen würde: Das ist kein Umfeld, in dem Menschen leben sollten, in dem Kinder leben sollten. Und zwar mitten in Deutschland, in einer Zeit, in der ich hier auch groß geworden bin.“

Diese Bilder waren auch für sie schwer mit dem Gianni Jovanovic von heute in Einklang zu bringen.“ Ich komme aus der Hölle und hab’ sie ertragen und hab’ sie überwunden. Deshalb ist jetzt ein zufriedenes und schönes Leben eigentlich ein Klacks für mich“, sagt der dazu: „Ein gutes Leben ist der eigentliche Widerstand!“

Das könnte Sie auch interessieren:

Seine Geschichte ist ungewöhnlich. Und ungewöhnlich ist auch, wie er sich herausgekämpft hat, aus seinen Lebensumständen und psychischen Krisen. Aber – so außergewöhnlich ihr Freund sein mag, Oyindamola Alashe geht es auch darum, „zu zeigen, dass seine Geschichte eingebettet ist in die Geschichte einer Community. Und viele Dinge, die er erlebt hat, sind eben doch repräsentativ für die Gemeinschaft der Sinti*zze und Rom*nja.“

„Ein großer matschiger Platz, auf dem die Wohnwagen (...) parkten. Es gab eine Wasserstelle für alle und keine sanitären Anlagen. (...) Die meisten Kinder waren sehr krank“. So erinnert sich Gianni Jovanovic im Buch an die Zustände in Köln am Butzweilerhof, wo seine Familie Mitte der 1980er zeitweise mit anderen Sintizze und Romnja wohnte.

„Die Frage, ob Köln die tolerante liberale Stadt ist, als die sie sich gerne bezeichnet, können wir beide nur mit Ausrufungszeichen mit Nein beantworten“, sagt Oyindamola Alashe. „Auf politischer Ebene sind in dieser Stadt immer wieder Entscheidungen getroffen worden, die weder tolerant noch liberal sind. Hier gibt es genauso rassistische Strukturen, wie man sie aus ganz Deutschland kennt. Auch hier haben die Leute ihre Waffen aus dem Schrank geholt, wenn sie gehört haben, Rom*nja und Sinti*zze kommen vielleicht in die Nähe. Vieles, was ich bei meinen Recherchen für das Buch erfahren habe, hat mich sehr entsetzt.“