AboAbonnieren

Kölner KolumbaWarum die neue Ausstellung einen Besuch wert ist

Lesezeit 5 Minuten
Neuer Inhalt

Der heilige Martin zu Pferd (aber ohne Kopf), dahinter die „Bürgerliche Tragödie“ von Jannis Kounellis.

  1. Das Kölner Museum Kolumba widmet sich mit „1919, 49, 69ff.“ den Aufbrüchen und Katastrophen des 20. Jahrhunderts.
  2. Wie ist die Ausstellung gelungen? Ein Besuch.

Köln – Auf dem Sterbebett wird jeder Sünder fromm, sagt man, und für sündhafte Städte wie Köln gilt wohl, was Heinrich Böll bei seiner Heimkehr aus dem Krieg notierte: „Das zerstörte Köln hatte, was das unzerstörte nie gehabt hatte: Größe und Ernst.“

In den Trümmern überlebte zudem eine Madonna, die, stumm, ernst und vergebend, zum Symbol für die Wiederauferstehung der in Schutt und Asche versunkenen Stadt erkoren wurde. Drei Jahre später war Kölle wieder heilig: Anlässlich der 700-Jahr-Feier der Dom-Grundsteinlegung zogen neun Reliquienschreine unter den Augen ausländischer Ehrengäste durch die Stadt.

Vielleicht hat Kolumba, das Kunstmuseum des Erzbistums Köln, all die Jahre auf diesen Tag gewartet. Seit seiner Eröffnung zählte es stur und unbelehrbar das eigene Haus und die „eingekellerte“ Madonna in den Trümmern zu den jährlich wechselnden Ausstellungsstücken, so, als wäre tatsächlich daran zu denken, Haus und Kapelle nach Ausstellungsende ins Regal zu stellen. Jetzt, mit seiner den Aufbrüchen von 1919, 1949 und 1969 gewidmeten Schau, rückt die Stadtheilige der Nachkriegsjahre wieder ins Zentrum von Kolumba – und mit ihr das Fortleben der Religion in der von zwei verheerenden Weltkriegen doch eigentlich endgültig entzauberten Moderne.

Am besten betritt man Kolumba also über den Seiteneingang der kölschen Muttergottes. Aber auch wer den profanen Weg nimmt, versteht rasch, warum die religiösen Heilsversprechen nicht nur nicht totzukriegen sind, sondern in düsteren Zeiten besonders hell zu strahlen scheinen. An den Anfang der chronologisch geordneten Ausstellung haben die vier Kolumba-Kuratoren Bilder von Carlo Mense, Conrad Felixmüller und Franz Wilhelm Seiwert gehängt, allesamt ausgewiesene Vertreter der Moderne und als solche nicht unbedingt der Frömmelei verdächtig.

Das könnte Sie auch interessieren:

Aber auch sie flüchteten sich in den Jahren des Ersten Weltkriegs in die katholische Bilderseligkeit und zeigten Heilige, eine Messe oder Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht auf Himmelfahrt. Eigentlich kein Wunder: Auf Bilder des Leids und der Erlösung besaß die Kirche ein Jahrhunderte altes Quasi-Monopol, wie das gleich nebenan abgehaltene „Jüngste Gericht“ des mittelalterlichen Meisters der Ursula-Legende eindrucksvoll beweist. Selbst ein Progressiver wie Seiwert kam nicht um die Einsicht herum, dass kein Mensch so schön leidet wie Jesus am Kreuz – und dass mit diesem Leid die konkrete Utopie einer besseren Welt verbunden ist. Wobei die utopische Hoffnung bei den Modernen weniger aufs Jenseits zielte als auf die aus den Fugen geratene Wirklichkeit. So changiert eine „Dorfkirche“ Walther Opheys auf fantastische Weise zwischen Untergang und Neuanfang; die Sonne steht als schwarzes Auge Gottes über einer blutroten Landschaft.

Ein ähnlicher „Rückfall“ ins Bewährte findet sich auch in der Zeitenwende von 1949. Am Anfang steht der rekonstruierte Alabastertorso einer im Weltkrieg zerstörten Muttergottes von Jeremias Geisselbrunn, ihnen folgen versehrte Körper wie Gerhard Altenbourgs ergreifender „Ecce homo“ auf angefressenem Packpapier und ein Kruzifix von Ewald Mataré. Sogar die Revolution von 68/69 sagte sich nicht vom Glauben los, sondern deutete die alten christlichen Motive einfach neu. Bei Michael Buthe sind die aus Abfällen zusammengesetzten Heiligen Drei Könige zugleich Abgesandte der Arte povera und Propheten einer Kirche für die Armen.

Stefan Kraus, Leiter von Kolumba, entschuldigte sich beinahe dafür, dass die neue Jahresausstellung einen derart starken Anker in der Geschichte hat – und eine beinahe unüberschaubare Fülle an Kunstwerken und Materialien zeigt. Insbesondere die den Zeitenwenden von 1919 und 1949 gewidmeten Räume scheinen dem besenreinen kontemplativen Geist von Kolumba zu spotten. Doch war dies wohl schon immer teilweise ein Missverständnis. Jedenfalls betonte Kraus, dass sein Haus vor allem Unruhe stiften wolle, und zwar in der Gesellschaft wie auch in der Kunstgeschichte.

Tatsächlich scheint unsere dem Gefühl nach katastrophale Gegenwart nach einem neuen Aufbruch zu verlangen – wobei das Neue (was in Kolumba zu beweisen war) durchaus die Züge des Alten tragen darf. In dieser Perspektive sind christliche Motive nicht klerikal, sondern eine Weise, sich dem Menschen, seinem Leid, seinen Hoffnungen und seinen Möglichkeiten, ohne Vorbehalte zuzuwenden. Man kann die erstaunliche Langlebigkeit der religiösen Kunst auch so deuten, dass sie schon immer eine Moderne avant la lettre war.

Als Unruhestifter hat sich Kolumba von Anfang an verstanden. Die Kuratoren beharren nicht nur auf der Nähe von moderner Kunst und Religion (was man durchaus skandalös finden kann), sie heben zudem mit Vorliebe moderne Künstler aufs Podest, die in staatlichen Kunstmuseen ein Dasein als Außenseiter fristen (was oftmals der weitaus größere Skandal ist). So macht sich Barbara von Flüe einen Spaß daraus, die Geschichte des 1919 gegründeten Bauhauses „aus der Froschperspektive“, nämlich vornehmlich mit Werken Andor Weiningers zu erzählen, es gibt ein Riesenformat von Norbert Prangenberg zu bestaunen und vom selben Künstler einen Schwarm hingetupfter Schmetterlinge, der „naive“ Erich Bödeker schickte 1969 ein Trio seiner betörenden Betonmenschen auf Mondmission, und sogar das legendäre Klaus-Peter-Schnüttger-Webs-Museum des verstorbenen Fotografen Ulrich Tillmann erlebt eine Art Wiederauferstehung.

So feiert das Kolumba auch einen Aufbruch zu sich selbst: als Institution, die keine kunsthistorischen Gewissheiten gelten lässt und sich nicht scheut, einen Sessel aus dem Bonner Bundeshaus neben den Schrein des heiligen Albinus zu stellen – oder das erstaunliche Werk eines sechsjährigen Knaben an die Wand zu hängen. Derart viele gute Gründe, fromm zu werden, findet man jedenfalls nicht oft am selben Ort.

„1919, 49, 69 ff. Aufbrüche“,

Kolumba, Kolumbastr. 4, Köln, Mi.-Mo. 12-17 Uhr, bis 17. August 2020