Kresiah Mukwazhi zeigt im Kölner Museum Ludwig eine monumentale Wandarbeit über Kolonialismus, Sex und weibliche Solidarität.
Kölner Museum LudwigEin Kunstwerk aus BHs als kleine Rache an Europa
In Afrika gibt es zwar keine europäischen Kolonien mehr, aber die ehemaligen Herrscherländer finden weiterhin Wege, ihrem „verlorenen“ Kontinent zu schaden – selbst, wenn sie es nicht wollen. Seit Jahren flutet die EU die afrikanischen Märkte mit billigen Altkleidern, die dort zwar teilweise dankbar wiederverwendet werden. Abertausende Tonnen landen aber auf Müllbergen. Und selbstredend treibt die zu Schleuderpreisen importierte Ware die heimischen Textilindustrien in den Ruin.
Kresiah Mukwazhi verwebt koloniale Geschichten in abstrakte Kunst
Dieser Teil des kolonialen Erbes gehört zu den Geschichten, die Kresiah Mukwazhi für das Kölner Museum Ludwig unsichtbar in einen riesigen Wandteppich verwoben hat. Mukwazhi stammt aus Zimbabwe und hat sich, obwohl erst 32 Jahre alt, mit Arbeiten zum Leben von Sexarbeiterinnen bereits einen Namen in der internationalen Kunstwelt gemacht. 2022 vertrat sie ihre Heimat im Länderpavillon auf der Biennale von Venedig, in diesem Jahr war ein ähnliches (und ähnlich großes) Werk wie in Köln auf der Art Basel Unlimited ausgestellt. Allerdings, betont Mukwazhi, sei die Auftragsarbeit des Ludwigs die erste ihrer Art. Basel stand lediglich früher im Kalender.
Jetzt hängt das 13 Meter breite Werk für zwei Jahre im Treppenhaus des Kölner Museums (als Fortsetzung eines Bernard Schultze und seiner Frau Ursula gewidmeten Projekts). Auf den ersten Blick scheint es eine schwere, schwarze Fläche mit kleinen farbigen Einsprengseln zu sein – ein blickdichter Vorhang vor einer weißen Wand. Geht man näher heran, sieht man, dass der schwarze Stoff aus unendlich vielen Textilstreifen mit Plastikhaken besteht. Frauen kommen eher hinter das Geheimnis dieses Materials als Männer: Mukwazhis Werk ist eine Collage aus Tausenden Verschlussbändern von Büstenhaltern.
Textilien waren schon immer das bevorzugte Material der Künstlerin. In zwei Ausstellungen der Kölner Galerie Jan Kaps waren große Stoffcollagen aus Altkleidern zu sehen, auf die Mukwazhi Frauen oder Teile von Frauen, etwa ihre gespreizten Beine, malte. Diese objektifizierende Darstellung war ein Zitat mit Widerhaken. Mukwazhi suchte nach einem Weg, den Alltag von Sexarbeiterinnen zu zeigen, ohne in die illusionistische Falle zu tappen. Also reduzierte sie die Ware Mensch auf das Wesentliche ihrer Schauwerte: Sexualisierte Posen und billiger Kleiderfummel.
Mukwazhis Mischung aus Malerei und Textilcollagen hatte stets eine Tendenz zur Abstraktion. In ihrer neuen, durch das Museum Ludwig angeregten Werkserie kommt diese Tendenz nun deutlich heraus. „Ich wollte die Kraft der kollektiven Weiblichkeit darstellen“, sagt Mukwazhi, „und ungezählte Stimmen zusammenführen.“ BHs schienen ihr das perfekte Medium dafür zu sein: als Insigne der Weiblichkeit und als materialästhetisches Symbol für Zusammenhalt.
Die Ware geht an den Absender zurück, aber mit einem Mehrwert versehen
So wird der abstrakte Vorhang zum Träger von Geschichten. Er erzählt auf seine Weise von der Fetischisierung von Frauen, von Geschlechtergegensätzen, vom männlichen „Modediktat“, von weiblicher Solidarität und vom kolonialen Erbe, das sich als Textilexport nach Afrika fortsetzt. Sämtliche Büstenhalter, so Mukwazhi, sind Altkleider aus der EU, wurden von einem achtköpfigen Team in ihre Einzelteile zerschnitten und die Träger- und Verschlussbänder schließlich vernäht
Mit ihrer kleinen Textilwerkstatt simuliert Mukwazhi den Warenkreislauf der Altkleider (im Westen aussortiert, im Süden recycelt), nur um ihn zu erweitern. Sie sieht eine schöne Ironie darin, die BHs als Kunst veredelt zurück nach Europa zu bringen. Die Ware geht an den Absender zurück, aber mit einem Mehrwert versehen – und der wird in Harare, Mukwazhis Heimatstadt, abgeschöpft.
Auch die Farbe der Büstenhalter ist selbstredend nicht zufällig gewählt. Mit den schwarzen Streifen kommen wie von selbst die Themen Hautfarbe und Rassismus in den Blick, weil schwarze BHs besser zu Afrika zu passen scheinen als weiße oder „hautfarbene“, was in Europa ein Synonym für beigefarbene Unterwäsche ist. Selbst die vereinzelt sichtbaren Markennamen erzählen eine Geschichte – vom Warenfetischismus, der sich sanft über den Körperfetischismus legt.
„Schultze Projects #4: Kresiah Mukwazhi“, Museum Ludwig am Dom, Köln, Di.-So. 10-18 Uhr, bis 14. Juni 2026.
Am Dienstag, 24. September, um 18 Uhr spricht die Künstlerin über ihr Werk mit donna Kukama, Professorin an der Kunsthochschule für Medien in Köln. Der „Artist Talk“ ist eine Kooperation der Museumsfreunde und des Afrika Film Festivals. Ort: Filmforum im Museum Ludwig, Eintritt: 4 Euro, ermäßigt 2 Euro.