Kölner Schauspiel-Chef Stefan Bachmann„Als Jugendlicher neigte ich zum Vandalismus“
Stefan Bachmann, Intendant des Schauspiel Köln, ist mit seiner Baseler Inszenierung von Max Frischs „Graf Öderland“ zum Berliner Theatertreffen eingeladen, das an diesem Donnerstag beginnt. Die Produktion ist ab dem 15. Mai ist sie in der ZDF Mediathek zu sehen, 3sat strahlt die Aufzeichnung am 22. Mai, 20.15 Uhr aus. Wir sprechen mit Stefan Bachmann über seine Arbeit, das Verzweifeln an der Wohlanständigkeit der Schweiz, das er mit Max Frisch teilt. Und darüber, warum ein Regisseur große Hindernisse braucht.
Herr Bachmann, Ihre Baseler Inszenierung von Max Frischs „Graf Öderland“ ist zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Schon als sie selbst in Basel Schauspieldirektor waren, suchten Sie sich gerne unspielbare Stücke aus. Wie kamen sie auf den „Öderland“?
Stefan Bachmann: Andreas Beck, der Intendant, hatte mich gefragt, ob ich Frisch oder Dürrenmatt machen will? Da dachte ich, na dann auf jeden Fall Dürrenmatt. Doch dann bin ich bei „Öderland“ hängen geblieben, genau aus dem Grund, den Sie benannt haben: Das Stück gilt als gescheitert, das ist eine Herausforderung.
Warum?
Als ich es las, habe ich bei den ersten drei, vier Szenen wirklich gedacht, dass es ein gutes Stück ist. Aber dann wird es immer konfuser und schlechter, zerfasert sich. Frisch hat über die Jahre drei ziemlich unterschiedliche Fassungen geschrieben. Er hat etwas versucht, was er gar nicht kann. Ich glaube, Frisch hat sich auf der Spur einer neuen Sinnlichkeit gesehen, so einer Wedekind’schen Anarchie.
Die Enge der Schweiz
Die sucht man sonst vergeblich bei ihm.
Ja, bei „Biedermann und die Brandstifter“ oder „Andorra“ begegnet man Max Frisch als perfektem Formalisten, der seinem Stoff absolut gewachsen ist. Das Motiv des Cholerikers findet man häufiger bei Frisch. Zur Axt gegriffen wird ja auch bei „Die große Wut des Philipp Hotz“. Ich kenne dieses Moment, dass man die Enge, die Sterilität, diese Wohlanständigkeit der Schweiz nur überwinden kann, wenn man etwas kaputtmacht. Ich neigte als Jugendlicher auch zum Vandalismus. Frisch hat sich bei seinen Landsleuten immer wieder unbeliebt gemacht, durch Äußerungen wie: Man müsste eigentlich die ganze Schweiz zubetonieren. Dabei hat er in seinem Häuschen im Tessin ein typisches Schweizer Leben gelebt. Sieht man seine Handschrift, ist die unglaublich akkurat und sauber. Natürlich ist er selbst der Staatsanwalt aus „Graf Öderland“, der mal mehr schmieren, mal mit einem gröberen Pinsel malen möchte.
Für welche Fassung haben Sie sich denn letztlich entschieden?
Das ist eine starke Bearbeitung aller Fassungen. An der habe ich mit der Dramaturgin Barbara Sommer monatelang gesessen. Es sollte allgemeingültiger, archetypischer, märchenhafter werden, sich nach der Logik des Traumes richten. Ist das Stück der Traum eines sich eingeengt fühlenden Staatsanwalts? Oder wird die Figur von ihrer Umwelt geträumt?
Irgendwann wissen die Schauspieler selbst nicht mehr, was Spiel, was Ernst ist und reden sich mit richtigen Namen an …
Die Ebene gibt es dann eben auch noch dazu. Diese ziemlich steile Röhre, die Olaf Altmann als Bühnenbild gebaut hat, wirkt ja so, als würde jemand immer wieder in ein neues Setting hineingeboren werden …
Also wie ein Geburtskanal?
Georg Seeßlen spricht in seinem Buch über David Lynch von dem nicht zu Ende geborenen Mann als der Figur von Lynch. So kam mir Frischs Staatsanwalt auch vor. Der gebiert sich immer wieder in einen neuen Kontext hinein, der ihn aber nie so ganz ins Leben oder in die Freiheit entlässt. So dass er das immer wieder wiederholen muss. Bis er am Schluss in seinem Traum, oder in seinem eigenen Sehnsuchtslabyrinth hängen bleibt. Es gibt dann kein Entrinnen mehr.
Ein Querdenker
Hätten Sie dem Stück einen aktuellen Anstrich gegeben, wäre der Staatsanwalt ein typischer Querdenker, ein Mann aus der Mitte, der zur Axt greift. Das wollten sie aber vermeiden?
Ja, weil das immer mit dem Stück versucht wurde, es aktuell zu fassen. Den Wutbürger können sie da natürlich leicht reininterpretieren. Ich finde so eine Eins-zu-eins-Einordnung schwierig. Man erfährt ja nie, was diese Bewegung „im Zeichen der Axt“, die der Staatsanwalt anführt, wirklich vorhat. Im Traum dagegen ist sie Ausdruck eines Unbehagens. Gerade die Tatsache, dass der Text nie so konkret wird, macht ihn innerhalb der Traumlogik so wahrhaftig. Erzählte man das Stück realistisch, würde es in sich zusammenbrechen.
War Ihnen von Anfang an klar, wie wichtig die Musik für den Abend werden würde?
Insofern, als mein Komponist Sven Kaiser gleich gesagt hat, er würde das gerne mit drei Musikern zusammen machen. Aber wir wussten noch nicht, was für eine Musik es wird, da ist Sven Kaiser ähnlich improvisations- und intuitionsfreudig wie ich.
Eigentlich müssten Sie mehr Musiktheater inszenieren!
Warten Sie mal auf die Premiere von Rainald Goetz„ „Reich des Todes“, das wird noch opernhafter! Am Ende bei „Graf Öderland“ ist es eher ein Spiel mit den Opernkonventionen, da zitiere ich zum Beispiel augenzwinkernd die klassische Opernchorregie. Aber Sie haben schon recht, mein Weg geht gerade stark dahin, mit Texten musikalischer umzugehen.
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Das war ja schon in Ihrem Baseler „Wilhelm Tell“ so. Basel tut Ihnen als Regisseur immer gut, nicht wahr?
Das habe ich mir auch gedacht. Es wäre natürlich auch mal schön, eine Einladung zum Theatertreffen für Köln zu bekommen. Aber in Basel komme ich eben nicht gerade aus einer Sitzung, wenn ich auf die Probe gehe, und renne nicht danach gleich wieder zur nächsten Sitzung. Diese zusätzliche Denkzeit macht sich schon bemerkbar, ich habe wahnsinnig viel recherchiert und gelesen. Man ist „im Stoff“, wie man so schön sagt. Und speziell zu Basel: Andreas Beck hat da ein wahnsinnig gutes Ensemble aufgebaut, mit dem er jetzt ans Münchner Residenztheater gegangen ist. Und Thiemo Strutzenberger, der den Staatsanwalt spielt, ist auch sehr besonders.
Wie viel Konzept haben Sie dem Ensemble an die Hand gegeben?
Auf der Konzeptionsprobe von „Öderland“ gab es nur die bereits erwähnte Textfassung. Anhand der haben aber einige der Schauspieler schon einen Sinn dafür bekommen, dass das Stück eine absurde Komik entwickeln kann. Wir haben viel gelacht, haben selbst so einen absurden Humor entwickelt. In einer bestimmten Ausgestelltheit fängt der Text an, Spaß zu machen. Als wir dann die ersten körperlichen Versuche in diesem Bühnenbild machten, mussten wir schauen, was da überhaupt möglich ist. Bei der ersten Probe saßen alle auf dem Hosenboden. Es hat ein Weilchen gedauert, bis die überhaupt aufgestanden sind. Dadurch, dass diese Röhre sich konisch erweitert, entsteht eine Schräge in alle Richtungen. Wir haben eine Art expressionistisches Körpervokabular entwickelt, große Gesten, die sich am Stummfilm orientieren.
Schafft Olaf Altmanns Bühnenbild also ein Hindernis, das es erst zu überwinden gilt?
Das ist bei den Bühnenbildern von Olaf Altmann immer die Frage: Wie stellt man sich in einen Raum, der eine totale Kraft hat, aber gleichzeitig völlig abstrakt ist? Deswegen arbeite ich ja so gerne mit ihm zusammen, weil er genau kapiert hat, dass Einschränkungen das Schönste für einen Regisseur sind. Wenn der Regisseur alles kriegt, ist er verloren.
Das Gespräch führte Christian Bos