Schauspiel KölnWie das Erfolgsstück „Vögel“ digital das Fliegen lernt
Köln – Das Split-Screen-Verfahren, bei dem der Bildschirm in zwei, drei, viele Einzelbilder unterteilt wird, verbindet man vor allem mit der Darstellung gruppendynamischer Prozesse: John Frankenheimer zeigte in seinem Film „Grand Prix“ (1966) einen Formel-1-Start im Split Screen: Nicht nur die Nervosität der Fahrer fingen die multiperspektivischen Bilder ein, auch die vielen Einzelprozesse, die auf das eine, umwälzende Ereignis zulaufen.
Norman Jewison setzte den Split Screen in „Thomas Crown ist nicht zu fassen“ (1968) ein, um das komplexe Interagieren mehrerer Protagonisten einzufangen. Etwa bei einem minuziös geplanten Bankraub oder einem Polospiel.
Mit ebendiesem Verfahren hat der Kameramann Andreas Deinert – bekannt für seine Live-Steadicam in Castorf-Produktionen – nun Stefan Bachmann 2019er Inszenierung von Wajdi Mouawads Nahost-Drama „Vögel“ ins Bild gesetzt.
Wie soll man Theater filmen?
Hält man eine Theaterarbeit auf Film fest, hat man zwei Möglichkeiten: Die Totale lässt dem Zuschauer die Wahl des Blicks, beraubt ihn aber der Nähe, die doch erst Interesse schafft. Weshalb sich die meisten Aufzeichnungen eine eigene Bildregie leisten, mit mehreren Kameras und vielen Close-ups. Hier fühlt sich der Zuschauer freilich schnell gegängelt. Hätte er nicht ganz woanders hingeguckt?
Insofern macht der Split Screen als Theater-Experiment Sinn. Mit dem Wagnis, dass die Technik nun endgültig vom Inhalt ablenkt. Hollywood hat das Verfahren nach den 60ern nur noch sporadisch eingesetzt.
Doch am Schauspiel Köln gerät dieses Experiment, man kann es nicht kleiner sagen, zu einem Triumph.
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Zum einen bietet Mouawads Stück fernsehgerechte Spannung: Der Biogenetiker Eitan, Sohn eines deutsch-israelischen Ehepaars, lernt in New York Wahida, die Tochter emigrierter Araber, kennen. Bei einem Essen erzählt er seinen Eltern von seiner Liebe. Sein strenggläubiger Vater fühlt sich persönlich angegriffen, es kommt zum Eklat. Als Eitan aus Rache das Besteck vom Tisch nimmt und es einem Speicheltest unterzieht, stößt er auf ein Familiengeheimnis: Das Romeo-und-Julia-Update verwandelt sich in eine antike Tragödie.
Zum anderen hatte Stefan Bachmann die Vorlage bereits auf der Bühne so feinmechanisch-nüchtern und filmisch umgesetzt, dass sie eine ideale Vorlage für das digitale Format bildet. Auch mit die Mehrsprachigkeit des Dramas – die Schauspieler streiten auf Deutsch, Englisch, Hebräisch und Arabisch – scheint wie gemacht für eine internationale Netflix-Auswertung.
Der Sog des Streamings
Das alles erklärt jedoch nicht völlig den starken Sog, den diese Streaming-Fassung verströmt. Für den sind Deinerts Splitter-Bilder verantwortlich, dank derer der Betrachter den handelnden Personen, ihren jeweiligen Sichtweisen und der Gruppendynamik, die dieses gemeinsam entwickeln, intuitiv folgen kann.
Die freie Wahl des Blicks kann auch diese Version nicht wiederherstellen, stattdessen schaffen Bildauswahl und Rahmung einen erzählerischen Flow, vergleichbar einem gut gestalteten Comicbuch: Erregt sich Bruno Cathomas als Vater David, splittert sich sein Bild fünfzehnfach auf. Als er schließlich alle Gewissheiten verliert, sehen wir in allein einem hohen, schmalen Rahmen. Familie und Vergangenheit sind hinter dem weißen Passepartout verschwunden.
„Vögel“ streamt am 28.2. (16 Uhr), 6. (19.30), 14. (16) und 20.3. (19.30) unter www.schauspiel.koeln