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Schauspiel KölnSo war die letzte Premiere vor dem Lockdown

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Stefko Hanushevsky

  1. Stefko Hanushevsky hat bereits in der letzten Premiere des Schauspiel Köln vor dem Lockdown im März gespielt.
  2. Jetzt erwischt es den Österreicher wieder: Nach seinem Solo im großen Depot 1 muss die Kölner Bühne ihre Tore schließen.
  3. Wie der Abend war, lesen Sie hier.

Köln – Ganz allein und verloren steht Stefko Hanushevsky im Dunkel der großen, leeren Fabrikhalle. Ihm gegenüber, in einiger Entfernung, sitzt zwischen schwarz abgedeckten Plätzen das, was vom Publikum übrig geblieben ist. Seit März, erzählt Hanushevsky, habe er nicht mehr auf einer Bühne spielen können. Jetzt freue er sich unbändig.

In den Applaus mischt sich Mitleid. Für den Schauspieler ist es bereits die zweite Premiere im Schauspiel Köln, die unmittelbar vor einem Lockdown stattfindet. Was er gleich zeigt, wird er lange nicht mehr zeigen können.

Es ist zunächst gar nicht viel. Von seinem Leben wolle er erzählen, sagt Hanushevsky, doch schon nach ein paar Sätzen gerät er ins Stocken, kramt Fotos hervor, die eh niemand erkennen kann. Eine Minute dreißig. Reicht das jetzt? Ach, ein altes Foto, das ihn als Tourguide für US-Touristen zeigt, habe er in der Garderobe vergessen, müsse es unbedingt holen. Spricht’s, verschwindet seitwärts hinter den Kulissen und kehrt umwendend am Steuer eines krachenden, rauchenden Reisebusses zurück.

Dorfdisco und Broadway

Der sich in den nächsten anderthalb Stunden unter anderem in einen Friseursalon, eine Dorfdisco und eine Broadway-Garderobe verwandeln und von Hanushevsky auf alle nur erdenklichen Arten erkraxelt, betanzt und zum Wippen gebracht wird.

Der verdruckste Anfang war ein Täuschungsmanöver. Wenn es einen Darsteller im Kölner Ensemble gibt, der selbst im Alleingang die Riesenbühne des Depot 1 als zu mickrig für seine fantastischen Erzählungen erscheinen lässt, dann ist das der gebürtige Österreicher, der am selben Ort bereits als Cyrano de Bergerac und Don Quijote mit ungebremster Fabulierlust Ammenmärchen verbreitet hat.

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Er sei kein Method, sondern ein Massive Actor, sagt Hanushevsky über sich selbst. Und obwohl er in Nebenrollen mit Ernst und Zurückhaltung glänzen kann, entfaltet er erst sein volles Potenzial, wenn er auf der Bühne ein Feuerwerk abfackeln darf.

Vor rund zehn Jahren hat Hausregisseur Rafael Sanchez zusammen mit dem Autor Petschinka das monologische Format entwickelt, in dem sich die Lebensgeschichte eines Schauspielers mittels erhellender Übertreibungen mit einem Filmklassiker durchmischt, vor vier Jahren filterte etwa Mohamed Achour am Offenbachplatz seine Biografie durch „Casablanca“, auch das ein herausragender Abend.

Kleiner Mann unter Nazis

Hanushevsky hat sich nun Charlie Chaplins Hitler-Satire „Der große Diktator“ ausgesucht, die just 80 Jahre alt geworden ist und sich als roter Faden durch sein Leben zieht: Ein kleiner Mann, der sich mit Geschick und Übermut zwischen Anfeindungen und ungewollten Umarmungen von rechts hindurchlaviert. Etwa, wenn er den Orden sammelnden Göring-Fan in seinem oberösterreichischen Heimatkaff balbieren muss (im perfekten Re-Enactment der Chaplin-Pantomime zu Brahms’ Ungarischen Tänzen). Oder wenn er reichen Ami-Rentnern bei der Busfahrt zu Nazi-Pilgerstätten im Berchtesgadener Land üppige Trinkgelder entlockt. Oder ihn strammrechte Kameraden im Bundesheer mit den Fäusten von ihren Ansichten zu überzeugen versuchen.

Manches Mal steigert sich sein Übermut dann zum diktatorischen Größenwahn, und er geigt selbst einer Schauspielgröße wie James Gandolfini gewaltig die Meinung (die Begegnung fand statt, nur die unterhaltsame Art, in der sie aus dem Ruder läuft, ist frei erfunden).

Dem Affen Crack gegeben

Jedenfalls gibt Hanushevsky dem Affen mächtig Zucker. Oder wohl eher Crack: Er rappt, singt, turnt, er frisiert einem Heuballen die „Rachel“, den beliebten Jennifer-Aniston-Stufenschnitt der späten 90er. Zwischendrin verzweifelt er an sich selbst, schimpft sich narzisstisch und skrupellos, aber wenigstens nie langweilig. Und lockt endlich den kleinen Nazi in uns allen hervor, hält die berühmte Hassrede („Schtonk!“) aus dem Chaplin-Film. So viel konnte man erwarten, wie nahe Hanushevsky an die übergroße Vorlage heranreicht, erstaunt und beglückt dann aber doch.

Der sagenhaft unterhaltsame Abend endet mit Ovationen. Ein Mensch, der mit Haut und Haaren erzählt, ein paar Menschen mehr, die sich von ihm mitreißen lassen: Gutes Theater kann so einfach sein. Und darauf sollen wir schon wieder verzichten?

Termine: ab Dezember (unter Vorbehalt) im Depot 1, 90 Minuten