Edward II.-SerieWarum das Schauspiel Köln jetzt im Netflix-Geschäft mitmischt
Köln – Das Exil sieht verdächtig nach Chorweiler aus. Hier harrt Justus Maier als Gaveston, aus England verbannter Liebhaber des jungen Prinzen Edward, in einer Plattenbau-Parzelle aus, verdingt sich als Hilfsarbeiter auf dem Bau, träumt an der Bushaltestelle von vergangenen Zärtlichkeiten. Bis ihn ein verschnörkelt beschrifteter Brief zurückholt: Der alte König ist tot, der junge Liebhaber König. Und Gaveston wieder gefragt am englischen Hof.
Der wiederum nicht von ungefähr an das Excelsior Hotel Ernst erinnert. Womit sich eine filmgeschichtliche Klammer schließt: Vor fast 100 Jahren diente die Luxusherberge schon einmal als Filmkulisse: für den Stummfilm „Der Bettler vom Kölner Dom“.
Während der Pandemie haben Theater deutschlandweit ihre Aktivitäten ins Netz verlegt, zeigen historische Aufzeichnungen, livestreamen Premieren vor leerem Haus. Oder entwickeln neue, interaktive Formate.
Stückbrief
Regie: Pınar Karabulut
Video: Leon Landsberg
Bühne: Bettina Pommer
Kostüme: Teresa Vergho
Musik: Daniel Murena
Mit: Birgit Walter, Nicolas Lehni, Justus Maier, Kristin Steffen, Alexander Angeletta,
Nicola Gründel, Jörg Ratjen
Ab dem 12. 2., 19.30 Uhr erscheint jeden Freitag eine neue Folge. Anschließend sind die Folgen dauerhaft bis Ende Juni abrufbar.
Die Regisseurin Pınar Karabulut hätte am Schauspiel Köln eigentlich Friedrich Schillers „Jungfrau von Orleans“ inszenieren sollen. Die Jungfrau ist fürs Erste auf Eis gelegt, stattdessen hat sich Karabulut für Ewald Palmetshofers Nachdichtung von Christopher Marlowes frühneuzeitlichem Drama „Edward II.“ entschieden – und für ein Format, über das Dramaturgen schon seit Jahren klagen, dass es dem klassischen Stück den Rang abgelaufen hat, gerade auch, wenn es darum geht, die Entwicklung komplexer Charaktere nachzuzeichnen: die Serie.
Ab dem 12. Februar erscheint nun jeden Freitagabend eine neue Folge des Sechsteilers „Edward II. – Die Liebe bin ich“. In der ersten Episode zieht der geschasste Gaveston wieder ein in die höfische Welt, unter den missbilligenden Blicken der Peers und des jungen Edwards Ehefrau, Königin Isabella, gespielt von Nicola Gründel.
Teresa Verghos Kostüme erinnern an Jeff Koons’ Rokoko-Porno-Kitsch, und Alexander Angelettas Edward II. erscheint mit seinem orangen Tüllrock, freien Oberkörper, pink gefärbten Haar und madonnenhaften Strahlenkranz eher als Dragqueen von heute, denn als Monarch des späten Mittelalters.
Gleichwohl ist er sich seiner Macht bewusst: „Ich will“, wiederholt er, das muss als Begründung genügen. Eine erste Auseinandersetzung mit Nicolas Lehnis Bischof (später wird er als „superrich und eine Superbitch“ beschrieben) filmt Karabulut aus extremer Untersicht: Hier geraten zwei Säulen des Staates aneinander, und sogleich fällt das Wort vom Hochverrat.
Der Dialog zwischen den Liebenden wird dagegen aus dem Off geflüstert, und eine lange Schwarzblende stellt Palmetshofers zupackend kraftvolle und zugleich wie Schweißperlen jede intime Faltung füllende Sprache aus. In einer der nächsten Folgen drängt der schwelende Konflikt zwischen Liebe und Herrschaft an die Oberfläche, wenn Edward in einem grandiosen Monolog ausführt, dass er, der Herr über alle ist, sich selbst nach einem Herren sehnt: Nicht Gott will er sich beugen, sondern allein der Liebe: „Sie fährt in mich / mit harter Hand / ganz wie ein Gott/ zu ihren Füßen bin geworfen ich in Staub und Dreck.“
Aus der Perspektive von Isabella wiederum erscheinen Edward und Gaveston als lächerliche Jungs: Einmal sieht sie ihnen durch einen Türspalt beim Tennisspiel in der Hotelsuite zu, kurz darauf erscheint ihr der Gatte als Geist im Spiegel und empfiehlt ihr giftig, sich fortzuscheren. Noch versuchen die Peers vergeblich, sie zum Staatsstreich zu überreden. Wir wollen uns, auch wenn der Stoff knapp 430 Jahre alt ist, an die Gesetze der Serienkritik halten und auf weitere Spoiler verzichten.
Karabulut schwankt als Regisseurin selbst zwischen dem hohen Pathos der Liebe und ihren hohlen Klischees. Wenn Edward vor seinem Geliebten Aktmodell steht, parodiert sie genüsslich die bekannte Szene aus James Camerons „Titanic“:
„I want you to draw me like one of your french girls, Gaveston“, haucht Angeletta. Die anschließende Sexszene ist wiederum so ungekünstelt, dass das Schauspiel Köln eine Altersempfehlung ab 16 ausgegeben hat. Nicht weil es hier irgendetwas Explizites zu sehen gäbe, eher weil Nähe vor der Kamera viel überzeugender wirkt als auf der Bühne.
Allein der Versuch, die Auftaktfolge mit Hilfe von Split Screens und einem peitschenden Elektroclash-Stück (Musik: Daniel Murena) auf ihren Höhepunkt zuzutreiben, wirkt wenig überzeugend. Cliffhanger sind eben weder bei Marlowe noch bei Palmetshofer vorgesehen.