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TV-Serie„The Crown“ künftig nur noch mit Warnhinweisen?

Lesezeit 4 Minuten

Diana und Charles frisch vermählt am 21. Juli 1981

Köln – „Ich will in dem Zimmer sein, in dem es geschieht“, erklärt Aaron Burr in seiner großen Solonummer im Erfolgsmusical „Hamilton“. Womit der ewige Konkurrent und Neider des amerikanischen Gründervaters Alexander Hamilton, stellvertretend für das Publikum, ziemlich genau das Versprechen formuliert, das hinter jeder historischen Fiktion steht: Den Menschen, die vor der verschlossenen Tür zur Macht stehen – also mehr oder weniger uns allen – einen Einblick darin zu geben, wie das Spiel gespielt und die Wurst gemacht wird, um noch einmal „Hamilton“ zu zitieren.

Einen solchen gewährt auch die Netflix-Serie „The Crown“ mit großem Erfolg. „The Crown“ erzählt die Geschichte des britischen Königshauses unter der Regentschaft Elisabeth II. Gerade ist die vierte Staffel angelaufen, in der die 1980er Jahre abgehandelt werden, in denen Margaret Thatcher Premierministerin war und Lady Diana Spencer die Klatschblätter beschäftigte.

Ihren erzählerischen Reiz bezieht die Serie nicht zuletzt aus dem Graben, der zwischen der ungeheuren medialen Präsenz der Windsors und ihrem sorgsam abgeschotteten Privatleben klafft. Diesen möchte der britische Kulturminister Oliver Dowden am liebsten zugeschüttet wissen. Er verlangt von Netflix, eine Art Warnhinweis vor jeder Folge von „The Crown“ zu platzieren: „Vorsicht Fiktion“.

Schutz der Jugend

Sonst, fürchtet der Kulturminister, könnte eine Generation von Zuschauern, die erst nach den dort dargestellten Ereignissen geboren wurde, die Fiktion mit den Fakten verwechseln. Wie immer, wenn von höherer Stelle zensierend eingegriffen werden soll, wird der Schutz der Jugend vorgeschoben.

Tatsächlich weicht die neue Staffel von „The Crown“ in mehreren Fällen von den historisch verbürgten Fakten ab: Ja, die Queen war verärgert über Margaret Thatchers Weigerung, sich gemeinsam mit den anderen Ländern des Commonwealth an Sanktionen gegen das südafrikanische Apartheid-Regime zu beteiligen. Nein, sie hat ihren Frust nicht über ihren Pressesekretär an die Medien durchstechen lassen, nur um ihn nachher als Sündenbock für die Indiskretion zu feuern.

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Die meisten Fake-News-Vorwürfe (aber es sind ja keine News!) betreffen allerdings die skandalerschütterte Beziehung zwischen Prinz Charles und Prinzessin Diana. Weder habe der Earl Louis Mountbatten einen Tag vor seinem Tod durch ein IRA-Attentat seinen Großneffen in einem Brief ermahnt, auf eine Affäre mit der verheirateten Camilla Parker Bowles zu verzichten und sich stattdessen ein unschuldiges Mädchen ohne Vergangenheit zu suchen, monierten die Kritiker von „The Crown“, noch habe die Königliche Familie der von Charles auserwählten Diana protokollarische Fallen bei ihrem ersten Besuch in der schottischen Sommerresidenz Schloss Balmoral gestellt.

Charles habe auch nicht in den ersten Jahren seiner Ehe täglich mit Camilla telefoniert, und ebenso wenig habe Diana mit einem Wutanfall während des Australienbesuchs des frisch vermählten Paares eine Änderung des Reiseplans erzwungen. Und so weiter, bis hin zu Nickeligkeiten, wie der, dass Prinz Charles eine Angelrute falsch auswerfe und die Queen zur alljährlichen Militärparade anlässlich ihres Geburtstags falsch angezogen sei.

Fehler unterlaufen

Letztere gehören zu den Fehlern, die wohl mehr oder weniger jeder historischen Fiktion unterlaufen werden. Erstere jedoch ergeben sich schlicht aus der Tatsache, dass jeder Einblick in verschlossene Zimmer erzwungenermaßen fiktional ist.

Egal, wie viele Zeitzeugen man befragt oder wie viele Quellen man auswertet: Der Blick durchs Schlüsselloch zeigt die Geschehnisse zwangsläufig in verzerrter Perspektive. Diese lässt sich nur vermeiden, wenn man die Tür zum Zimmer, wo es geschieht, aufreißt, in dem man es zum fiktionalen Raum erklärt.

Sich mit anderen Worten die Freiheit nimmt, aus der Fülle der Ereignisse und ihrer nachträglichen Interpretationen eine Erzählung mit Anfang, Mitte und Ende zu formen. Inwieweit die jeweilige Erzählung dann gelungen und ihrem Gegenstand angemessen ist, steht auf einem anderen Blatt. Doch an der Unterscheidung von Geschichtsschreibung und historischer Fiktion hat sich seit Homers „Ilias“ nichts Wesentliches verändert, und es gibt keinen Grund, anzunehmen, dass die Menschen von heute größere Probleme haben, beide auseinanderzuhalten, als ihre Vorfahren.

Eine Fiktion? Shocking!

Dementsprechend machten sich einige Historiker über den konservativen Kulturminister lustig: Eine TV-Serie mit Schauspielern sei Fiktion? Shocking!

Selbstredend ist es töricht, historische Fiktionen mit Warnhinweise wie vor der Tabakwerbung zu versehen. Doch für den Respekt, welchen Oliver Dowden der Macht der Fiktion zumindest implizit bezeugt, gibt es triftige Gründe: Wenn Shakespeare im Königsdrama Richard III. für alle Ewigkeit einen Buckel andichten kann – und zahlreiche Morde, die dieser nachweislich nicht begangen hat –, welchen Einfluss wird dann das wenig schmeichelhafte Porträt des Prinzen von Wales in „The Crown“ auf das Image eines zukünftigen König Charles III. haben?

Selbst wenn jeder Zuschauer versteht, dass es sich bei „The Crown“ um keine Dokumentation handelt, wird die Serie doch das öffentliche Bild der Windsors auf Jahre hin prägen. Gerade weil sie ihren fiktionalen Raum so plausibel ausfüllt.

Auch im eingangs erwähnten „Hamilton“ ist vieles verkürzt, erfunden oder unterschlagen. Anderseits thematisiert das Musical im Gegensatz zu „The Crown“ auch die Macht der eigenen Erzählung: „Du hast keine Kontrolle darüber“, singt dort George Washington, „wer deine Geschichte erzählt.“