Nach 13 Jahren endlich wieder in Köln: Janet Jackson trat am Sonntagabend in der Lanxess-Arena auf. Unsere Kritik.
Konzert in der Lanxess-ArenaWie sich Janet Jackson in Köln die Kontrolle über ihre Karriere zurückholt
Wo waren Sie mit sieben? Zweite Klasse Grundschule? Abends ab ins Bett, spätestens nachdem der Zeichentrickhund Wum „Thöööölke“ gerufen hatte? Janet Jackson stand auf der Bühne des neu eröffneten MGM Grand Hotels in Las Vegas, ein kleines Mädchen, das jüngste von zehn Kindern, vor angetrunkenem Casino-Publikum. „51 Jahre im Showbusiness“ stellt Jacksons Stimme in der Kölner Arena fest. Sie kommt vom Band und es ist schwer zu sagen, ob sie Stolz vermitteln oder Mitleid erheischen will.
In der vierteiligen Dokumentation über ihr Leben, die vor zwei Jahren erschienen ist, erinnert sich Janet Jackson: „In Las Vegas waren wir die Jüngsten, außer uns gab es keine Kinder, die dort auftraten.“ Und auch in der Doku erfährt man nie so richtig, ob das jetzt ein großes Geschenk war, oder schlicht Kindesmissbrauch. Bekannt ist, dass die jugendliche Janet Jackson eigentlich Betriebswirtschaft studieren wollte, aber ins Familiengeschäft gezwungen wurde.
Janet Jackson Musik ist zum Zerreißen gespannt – und swingt trotzdem
Wer sein ganzes Leben im Licht der Öffentlichkeit verbringt, lernt früh, Informationen zurückzuhalten. Weshalb die Sängerin vom Band zu uns spricht, in knappen, bis zur Leblosigkeit redigierten Sätzen, obwohl sie doch live und wahrhaftig vor uns steht, mit offenem Mikrofon. Gesungen wird zum Glück größtenteils live, Jacksons Stimme ist ein Flöten aus der hintersten Ecke, das schüchterne Kind, das seinen ganzen Mut zusammenfasst, um endlich einmal aufzuzeigen. Aber dann wundert man sich, was dieses Kind zu sagen hat und mit welcher Bestimmtheit: „Als ich siebzehn war“, intoniert die heute 58-Jährige und lässt ihre eng geflochtenen Rastazöpfe baumeln, „tat ich, wie mir geheißen wurde. Ich tat, was mein Vater sagte, und ließ mich von meiner Mutter formen.“ Aber das, fährt sie fort, sei schon lange her, jetzt werde sie die Dinge auf ihre Weise tun.
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Als sie diese Zeilen zum ersten Mal sang, war sie gerade mal 19 Jahre alt, hatte ihren Mut zusammengenommen, ihren übermächtigen, mit der Peitsche regierenden Vater als Manager gefeuert und mit Jimmy Jam und Terry Lewis zwei kongeniale künstlerische Partner gefunden. Die fünfköpfige Band, die Jackson in Köln begleitet, klingt wirklich genauso, wie die Musik, die Jam und Lewis damals produzierten, bis zum Zerreißen gespannt, beinahe schon robotisch, und trotzdem swingend. „Denn es geht nur um Kontrolle“, singt Jackson, „und davon habe ich jede Menge.“ „Control“, das Album zum Befreiungsschlag, gilt bis heute als Blaupause für junge, willensstarke Frauen im Popbusiness.
Ihre Tour, man kann sie durchaus ein Comeback nennen, hat sie unter das Motto „Together Again“ gestellt, nach der alles umarmenden Disco-House-Hymne von ihrem sechsten Album „The Velvet Rope“, der offensten, verletzlichsten Veröffentlichung ihrer Karriere. Aber „Control“ wäre der passendere Titel gewesen. Nicht nur die Band ist tight, auch die Setlist ist so eng geschnürt, dass einem ab und an die Luft wegbleiben kann: fast 40 Songs singt Janet Jackson in knapp zwei Stunden, da können etliche nur angetippt werden, eine Strophe, ein Refrain, schon geht es weiter: „Got ‘til It’s Gone“, der im gemächlichen Hip-Hop-Tempo schunkelnde Song mit dem Joni-Mitchell-Sample, ist dann wirklich bereits vorbei, kaum, dass man sich über ihn gefreut hat.
Und wer hätte nicht gerne noch ein paar Minuten mehr von „Scream“ gehört, dem Duett mit ihrem noch etwas berühmteren Bruder Michael, eine erstaunlich unverblümte Abrechnung mit den Kehrseiten des Ruhms? Die bekam die kleine Schwester erst nach der Super-Bowl-Show im Jahr 2004 in voller Härte zu spüren, es war die späte Rache der Sexisten an der allzu selbstbestimmten Sängerin. Ihre Karriere hat sich vom berüchtigten Busenblitzer im Live-Fernsehen und dem darauf folgenden bigotten Gezeter nie wieder richtig erholt.
Und dann greift Janet Jackson zum Baseballschläger
Die Songdichte ist insofern beeindruckend, als Jackson sagenhaft viele Hits hatte, weniger in Deutschland, wo es nur „Together Again“ bis zum zweiten Platz schaffte, als in ihrer Heimat, wo sie zehnmal an der Spitze der Single-Charts stand, die erfolgreichste Frau im Geschäft hinter Madonna und Mariah Carey. In Köln haben sich jetzt immerhin rund 10.000 Fans eingefunden, aber die Oberränge sind abgehangen und der Innenraum ist bestuhlt.
Aber so ein endloses Medley kann früher oder später auch ermüdend wirken. Während die unvermeidbaren Umbau- und Kostümwechselpausen – vom Working Girl zur Glamour-Schottin, von weiß-durchschimmernder Luftigkeit zu schwarzem Fetisch-Lack – bei den meisten Arenashows die Spannungskurve sinken lassen, freut man sich hier, einmal durchatmen zu können, zudem die Band umso freier aufspielt, je länger es dauert.
Später, in der Erinnerung, kann man die einzelnen Stücke dann noch einmal für sich Revue passieren lassen – und entdeckt lauter Preziosen: „That’s the Way Love Goes“, die 1993er-Single auf der Janet Jackson plötzlich so sinnlich klang wie Madonna zu „Erotica“-Zeiten, erfährt im Remix ein gerüttelt Maß an Triebzufuhr; „Son of a Gun (I Betcha Think This Song Is About You)“, die 2001 gefloppte Neuinterpretation von Carly Simons „You’re So Vain“, ist ein unerwarteter Höhepunkt, Jackson und ihre vier Tänzer schwingen dazu Baseballschläger; „Escapade“, die dritte der fünf Top-Five-Singles vom „Rhythm Nation“-Album, klingt in der Rückschau wie die perfekte Legierung aus Martha& the Vandellas und Prince.
Erst zur Zugabe führt uns Jackson hinter die Kulissen. Die Kamera zeigt sie backstage vorm Schminkspiegel. Bevor es zurück auf die Bühne geht, muss sie sich noch einmal kurz schnäuzen. Dann lächelt sie in den Spiegel. Wetten, dass selbst der Griff zum Taschentuch geplant war? Wer einmal die Kontrolle erlangt hat, gibt sie so schnell nicht aus der Hand.