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Konzert in KölnWarum Mitski von jungen Frauen so kultisch verehrt wird

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Mitski im Carlswerk Victoria

Köln – Auf Spotify findet man eine Playlist namens „Mitski-Songs in der Rangfolge ihrer Traurigkeit“. Mehr als 100 000 User haben sie abonniert. Es sind 65 Lieder, das traurigste zuerst, als könnte man sich langsam in Richtung Hoffnung durchhören.

Vor vier Jahren spielt die japanisch-amerikanische Sängerin Mitski Miyawaki zuletzt in Köln, im Gebäude 9. Sie hatte sich mit ihrem vierten Album „Be the Cowboy“ von ihren Indie-Rock-Wurzeln befreit und ihre Musik tauchte zum ersten Mal in den Billboard-Charts auf.

Doch die frenetische Aufmerksamkeit, die ihr nun entgegenschlug, gab ihr das Gefühl, nur ein konsumierbares Produkt zu sein und ließ sie ihre Berufswahl noch einmal gründlich überdenken. Am Ende der Tour verkündete eine erschöpfte Mitski ihren Abschied vom Musikgeschäft und schloss auch ihre Konten in den sozialen Medien.

Der Streisand-Effekt

Was die Anzahl und Intensität ihrer Fans exponentiell vergrößerte. Ob das nur der gefürchtete Streisand-Effekt ist, demzufolge der Versuch eine Information zu unterdrücken, das Interesse des Internets potenziert? Immer noch weiß man nichts Persönlicheres über sie, als dass sie zwei Katzen besitzt und vor einiger von New York nach Nashville gezogen ist.

Als Mitski Miyawaki Anfang des Jahres mit „Laurel Hell“ zähneknirschend ans Licht der Öffentlichkeit zurückkehrte, landete das Album auf dem ersten Platz der Charts. Über ihre Musikkarriere singt sie darin: „Ich dachte immer, es wäre meine Entscheidung/ Und ich hatte recht, aber ich habe mich falsch entschieden.“

Liebesbekundungen im Mülheimer Carlswerk

Im schon lange ausverkauften Kölner Carlswerk Victoria konnte man am Sonntagabend staunend miterleben, welch hohe Wellen der Mitski-Kult inzwischen schlägt. Das zum größten Teil junge und weibliche Publikum sang wirklich jede einzelne Textzeile mit – kaum, dass man noch die Stimme der Sängerin aus den Chören heraushören konnte –, kommentierte jede der streng choreografierten, Butoh-artigen Gesten der Musikerin mit ekstatischem Geschrei und füllte die tote Luft zwischen den einzelnen, als kleine Kammerkunststücke präsentierten Songs mit umso inbrünstigeren Liebesbekundungen.

Das ist schon seltsam: Die Künstlerin betont nach Kräften die Künstlichkeit der Showsituation, ihre Fans aber nehmen genau das als Authentizität wahr und fühlen sich umso persönlicher angesprochen.

Bohren bis zum Kern der Verzweiflung

Mitskis Stücke sind kurz, aber voller unerwarteter Akkordfolgen, musikalischer und lyrischer Wendungen, sie sind Präzisionswerkzeuge für emotionale Tiefenbohrungen, immer weiter, bis zum Kern der Verzweiflung: „Venus, Planet der Liebe/ Wurde durch globale Erwärmung zerstört“, singt sie etwa in „Nobody“, fragt dann: „Wollten ihre Bewohner auch zu viel?“

Niemand begehre sie, klagt sie im Pre-Chorus und dieser Nobody wird zum discoiden, beinahe triumphalen Refrain, die Scheinwerfer funkeln in maximaler Wattstärke, doch langsam gleitet die Sängerin zu Boden und lässt ihre Nobodys einfach so austrudeln, ohne dass sich eine Moral von der Geschicht’ oder ein aufmunternder Kalenderspruch anschlösse.

Gerade dieser melancholische Rigorismus aber macht Mitski zur idealen Projektionsfläche: Mit einfachen Lösungen und Lebensweisheiten wird man als junger Mensch ja zu Genüge belästigt. Mit anderen, nicht mehr ganz so jungen Menschen, die in jede Kamera grinsen und dabei doch nur sich selbst verkaufen, auch.

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Mitski dagegen lässt den Schmerz zu seinem Recht kommen und auch die Eigensinnigkeit: Wenn sie auf „Laurel Hell“ Anleihen bei 1980er-Jahre-Balladen und dem weißen Funk von Hall & Oates nimmt, dann nur deshalb, weil ihre Wahrheiten angetrieben von solchen Keyboard-lastigen Wirtschaftswunderklängen noch erschütternder einschlagen.

Hall & Oates haben in „Maneater“ mit dem damals üblichen misogynen Einschlag vor einer Femme fatale gewarnt, Mitski dagegen klagt sich in „The Only Heartbreaker“ selbst als die zerstörerische Hälfte einer Beziehung an. Im Video zum Song geht alles, was sie berührt, in Flammen auf. Ein Blatt, ein Baum, der Wald, bis schließlich der ganze Planet im Feuer zerbirst.

In einem der raren Momente, in denen sich Mitski direkt an ihr Publikum wendet, ermahnt sie es mit mütterlicher Strenge, Sorge um die jeweils Nächste zu tragen: „In meinen Konzerten verletzt sich niemand!“ Zuvor hatte sie in die Runde gefragt, für wen das heute Abend das erste Konzert sei? Rund ein Viertel der Hände waren hochgeschnellt. War es ihre erstes Mitski-Show (nicht verwunderlich, wenn die letzte vier Jahre zurückliegt) oder das erste Live-Musik-Erlebnis überhaupt?

Egal. Zu beidem kann man nur gratulieren.