Der junge Weltstar aus den USA wird in der ausverkauften Lanxess-Arena vor allem von jungen Frauen gefeiert. Unsere Kritik.
Konzert in KölnWie Olivia Rodrigo die weibliche Wut ihrer Fans aufweckt
Den nächsten Song, sagt Olivia Rodrigo, habe sie am Tag vor ihrem 19. Geburtstag geschrieben. Damals hätte sie Angst vorm Aufwachsen gehabt, Angst vor der Zukunft. „Jetzt bin ich 21, wo ich herkomme, ist dies das ‚drinking age‘, eine große Sache also, und würde mir den Rat geben: Mach‘ Dir nicht so viele Sorgen, so viele wunderbare Dinge stehen direkt vor Tür.“ Dann singt sie die Ballade vom „Teenage Dream“, wiederholt mantraartig, mithilfe ihrer beiden Background-Sängerinnen, die Nöte ihres jüngeren Selbst: „Alle sagen, es wird besser, es wird besser, aber was, wenn ich es nicht werde?“
Das können hier, in der Kölner Arena, die allermeisten nachvollziehen. Das Publikum ist überwiegend weiblich und hat nicht nur das „drinking age“, sondern auch noch die 19 vor sich. Wie gut es tut, jemanden zu haben, der all das in jüngster Vergangenheit durchgemacht hat und zu artikulieren weiß. Auch die weibliche Wut, denn dass sie ins falsche System hineingeboren wurde, merkt frau ja schnell. „I'm so sick of 17, where's my fucking teenage dream?“, hatte Rodrigo, noch angstlos, gleich im ersten Song ihres Debütalbums „Sour“ forsch gefragt. Das war 2021, in grauer Vorzeit.
Olivia Rodrigo singt vom Drama des begabten Kindes
Die aufmüpfige Olivia aber hatte damals bereits eine Karriere als Disney-Prinzessin hinter sich, mit Hauptrollen in der Sitcom „Bizaardvark“ – den Titelsong hatte sie mitkomponiert – und in der mit voraus greifender Ironie betitelten Franchise-Serie „High School Musical: The Musical: The Series“. Weshalb es im Song „Teenage Dream“ auch vor allem um die Angst geht, den eigenen hohen Ansprüchen und der vom erwachsenen Umfeld unterstellten Brillanz nicht genügen zu können: Es ist das Drama des begabten Kindes.
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Während sie am Kopfende des linken Steges kniet und sich umrundet von ihren Fans fragt, wann wohl jemand ihren Bluff aufdecken wird, laufen auf der bühnenbreiten LED-Wand alte Amateurfilme von Olivia im Grundschulalter, stets mit einem Mikrofon in der Hand, stets performend. Sie ist gar nicht wie wir. Dass sie dennoch als Avatar unserer Wachstumsschmerzen auftritt, ist ihr größter Bluff.
Man kann es auch Talent nennen. Bei ihrem Label Geffen Records hat die Kalifornierin vor allem deshalb unterzeichnet, weil dessen CEO nicht ihr Starpotenzial, sondern ihr Songwriting lobte. Und das erreicht wirklich erstaunliche Höhen. Schon das Auftaktstück des Abends, „Bad Idea Right?“, ist ein einziger Poprock-Zuckerrausch, mit einer Prise Salz: Die schlechte Idee ist ein nächtlicher Besuch beim Ex und Rodrigo singt ihn im kurzen Glitzerfaltenrock und mit weit aufgerissenen Augen als atemlosen Monolog einer hormonell Verblendeten: „Fuck it, it‘s fine.“
Ihre – wie schon beim ersten Kölner Konzert vor zwei Jahren rein weibliche besetzte – Band reißt die Saiten so roh und lärmig an, wie das im Rahmen eines Girly-Pop-Konzertes, um Rodrigos T-Shirt am Ende desselben zu zitieren, eben noch möglich ist.
Zu „Ballad of a Homeschooled Girl“ droht der arenastarke Chor textsicherer Fans dann schon die Performerin zu übertönen, aber was soll man auch anderes tun als mitsingen, wenn die Sängerin einem aus der Seele spricht?
„Vampire“ singt Olivia Rodrigo vorm Werwolf-Mond
An dritter Stelle hat Rodrigo schon „Vampire“ gesetzt, sie schmettert es in ein Standmikrofon, hinter ihr leuchtet ein Werwolf-Mond. Das ist großes Musiktheater. Falls Sie den Song nicht kennen, bitte ich Sie inständig, ihn sich jetzt anzuhören. Wenn das gerade nicht geht: Stellen Sie sich einfach vor, Meat Loaf hätte zusammen mit Freddie Mercury eine feministische Powerballade geschrieben, einen mächtigen Abwehrzauber gegen männliche Blutsauger.
Mit „Traitor“ folgt gleich die nächste schneidende Anklage, Olivia Rodrigos Ex-Beziehungen schmoren in derselben Hölle wie die von Taylor Swift, dann verschwindet die Künstlerin kurz und taucht an den Tasten eines von Bodennebel umflorten Flügels wieder auf. „Drivers Licence“, die Pianoballade einer verflossenen Vorstadtliebe, war ihr kommerzieller Durchbruch, jetzt hat sie die Bridge zu einem Chorus von Queen’schen Dimensionen ausgebaut.
Es rächt sich ein wenig, dass sie ihr Set mit so vielen Hits frontbeladen hat, die Mitte muss sie mit Showeffekten auffuttern, die Tänzerinnen haben jetzt mehr zu tun, Rodrigos Outfits werden knapper, sie wälzt sich auf einer Plexiglasplatte im Bühnenboden und wird dabei von unten gefilmt, wie die Tennisspieler in „Challengers“. Schließlich fallen Sterne vom Hallenhimmel und die Sängerin lässt sich auf einer beleuchteten Mondsichel festschnallen, auf der sie sogleich in die Höhe steigt. Olivias Mondfahrt währt zwei Lieder lang, es ist eine große Arena und jede Konzertbesucherin will gegrüßt werden.
Konzerte für junges Publikum haben oft etwas Kathartisches, auf die Generation, die Olivia Rodrigo während der Pandemie als ihre Stimme entdeckt hat, trifft das gleich doppelt zu, man erlebt sich als Masse, man teilt den Schmerz. Zu „All-American Bitch“ fordert sie ihre Fans auf, an etwas zu denken, was sie in letzter Zeit so richtig angepisst hat und dann so laut zu brüllen, wie sie nur können. Die Musik setzt kurz aus, dann bricht ein Orkan los, der einem das Hemd vom Körper blasen könnte: Urschrei-Therapie als Breitensport, oder, besser, „female rage“ waffenfähig gemacht.
Man darf aber, auf Aufforderung der Performerin, neben der besten Freundin auch Papa oder Mama umarmen, je nachdem, wer mitgekommen ist. Die Kamera fängt es im Großbild ein. Den Altvorderen dürfte der Konzertbesuch verhältnismäßig leichtfallen, denn künstlerisch ist Rodrigo durchaus Traditionalistin. Wenn sie mit ihrer Gitarristin Daisy zwei akustische Stücke im Schneidersitz zum Besten gibt, oder den schweren „Brutal“-Riff zum Stoner Rock verlangsamt, dann verstehen das auch ältere Generationen. Nebenbei hat Rodrigo durch offensive Schwärmerei im Alleingang den aus der Mode gekommenen „Piano Man“ Billy Joel zum Comeback bewegt.
Aber die Zeit für Klavierballaden ist jetzt abgelaufen. Zur Zugabe gibt es mit „Good 4 U“ und „Get Him Back“ noch zwei mitreißende und äußerst mitsingbare Pop-Punk-Hymnen, die Sängerin schwenkt dazu ein rotes Plastikmegafon. Anschließend verschwindet Olivia Rodrigo im Fallboden und wollte man den jungen Weltstar in einer Geste fassen, dann in ihrem letzten Hüpfer, mit dem sie auf dem Weg nach unten noch einmal ihr glücklich aufgelöstes Publikum grüßt.