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Kultur daheimAcht Tipps für die Zeit in der Quarantäne

Lesezeit 5 Minuten

Überleben in Zeiten der Pest: John William Waterhouses Gemälde „Eine Geschichte aus dem Decamerone“ (1916) 

  1. Das Kölner Kulturleben ist zum Erliegen gekommen. Wir zeigen Ihnen, wie Sie sich über diesen Frühling hinweghelfen können.
  2. Wir empfehlen Bücher für Außenseiterkünstler, David-Bowie-Liebhaber, ein Köln-Glossar, den unbekannten Beethoven auf CD und Filme für das Arthouse-Kino daheim.
  3. Alles nach dem Vorbild der berühmten Novellensammlung Decamerone über das Leben in Zeiten der Pest.

Köln – Lediglich zehn Tage mussten die vor der Pest geflüchteten Frauen und Männer in Giovanni Boccaccios berühmten „Decamerone“ überstehen – und füllten die Zeit in Quarantäne mit Erzählungen aus 99 und einer Nacht. Ähnliches haben auch wir vor, wobei selbstredend noch nicht abzusehen ist, wie lange die Schließung des Kölner Kulturlebens andauern wird. In jedem Fall wollen wir Sie in den nächsten Tagen oder Wochen immer mal wieder und frei nach dem Motto „Was wir immer schon mal (wieder) lesen/ gucken/hören wollten“ mit Empfehlungen versorgen. Zum Auftakt fassen wir uns kurz.

Kunst für Außenseiter

1 Können Sie sich noch an Köln erinnern, diese lebendige, etwas liederliche, chaotische und auf seltsame Weise in Kunst vernarrte Stadt? Als Gedächtnisstütze an Vor-Corona-Zeiten sei Ihnen Andreas Rossmanns Glossar „Das kann nur Köln sein“ (Verlag der Buchhandlung Walther König, 18 Euro) ans Herz gelegt, in dem der langjährige „FAZ“-Korrespondent die Hochs und Tiefs des kölschen Kulturlebens gelegentlich begeistert, aber meist angemessen mürrisch kommentiert. Er ist halt ein Imi mit Niveau.

2 Jetzt wäre vielleicht die passende Gelegenheit, verrückt zu werden oder wenigstens zu testen, ob ein Außenseiterkünstler in uns steckt. Eine akademische Ausbildung braucht es dafür nicht, dafür aber ausreichend Besessenheit für irgendetwas und sehr viel Zeit, um sich in Kritzel- oder Basteleien zu verlieren. Inspiration liefert Kasper Königs Ausstellungskatalog „Der Schatten der Avantgarde“ (Hatje Cantz, 9,95 Euro) mit zahlreichen Abbildungen von begnadeten Außenseiterkünstlern wie Séraphine, Bill Traylor oder Erich Bödeker.

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Pest und Beethoven

3 Im Jahre 1348 flüchteten zehn hochmögende Damen und Herren vor der Pest in Florenz auf ein nahe gelegenes Landgut, um dort der lebensbedrohlichen Ansteckung zu entgehen. Kommt Ihnen die Situaton – die Rahmenkonstellation in Giovanni Boccaccios Novellenzyklus „Decamerone“ – bekannt vor? Ja, ein ähnlicher wenn nicht Kriegs-, so doch Belagerungszustand, der die amtliche Aufforderung mit sich bringt, die Wochen (Monate?) der Infektionsgefahr in der Festung der eigenen vier Wände zu überstehen, herrscht auch in den Zeiten Coronas. Besagte Damen und Herren erzählten damals einander Geschichten. Suspendierung von Zeit, Erzählen gegen den Tod – ein weltliterarisches Modell narrativer Praxis war geboren, oft nachgeahmt, selten mehr in Boccaccios Qualität erreicht. Wenn Sie einander keine Geschichten erzählen können, dann lesen Sie in diesen Tagen das „Decamerone“ – es ist geeignet, über den Frühling unseres Missvergnügens hinwegzuhelfen und zu trösten.

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Eine Beethoven-Münze

4 Soeben ist beim Label Berlin Classics eine schöne, hörenswerte CD mit unbekannten Klavierwerken Ludwig van Beethovens erschienen. Matthias Kirschnereit spielt darauf zahlreiche kleinere Kompositionen der Bonner wie der Wiener Zeit. Beethoven unknown? So ganz stimmt das nicht – vieles, was hier erklingt, ist vielmehr bis zum Überdruss bekannt: zum Beispiel die Sonatine F-Dur, mit der gequält wurde, wer je einmal kindheitlichen Klavierunterricht empfing. Im Abstand der Jahrzehnte mag sich der Überdruss freilich längst in ein melancholisches Vergnügen darüber verwandelt haben, was man in diesem Leben schon so alles durchgestanden hat. Letztlich gewährt die CD – jedenfalls dem, den es betrifft – eine Begegnung mit der Vergangenheit, also mit sich selbst im Zustand einer Andersheit. Und wenn man im Zuge von Corona schon keine anderen Leute mehr treffen darf – die Selbsterfahrung lässt sich so einigermaßen interessant gestalten. Zumal man sich dabei auch nicht anstecken kann.

Pop und Bowies Bücher

5 Wann, wenn nicht jetzt, ist die ideale Zeit, um in das Werk zweier früh verstorbener Musiker reinzuhören, die Zeit ihres Lebens in keine Schublade passen wollten? Peter Ivers hat schon Anfang der 1970er Jahre in Los Angeles New-Wave-Musik produziert, als das Label noch nicht erfunden war. „Becoming Peter Ivers“ versammelt veröffentlichte Aufnahmen und Demos, so zickig wie zärtlich. Der Cellist Arthur Russell fühlte sich in der New Yorker Disco-Szene ebenso wohl wie in der Avantgarde, doch „Iowa Dream“, die neueste posthume Veröffentlichung, zeigt ihn als rührenden Singer-Songwriter.

6 Die Seite bowiebookclub.com arbeitet sich an David Bowies Liste seiner Hundert Lieblingsbüchern ab, lädt ein zum Mitlesen und -hören: die Früchte der Lektüre werden zu Podcastfolgen verarbeitet. Bowie-Fan muss man dazu nicht sein, der Meister hatte einfach einen eklektischen, aber höchst stilsicheren Geschmack. Mein Lieblingsbowiebuch: Julian Jaynes „Der Ursprung des Bewusstseins durch den Zusammenbruch der bikameralen Psyche“, worin der Autor nachzuweisen versucht, dass sich das menschliche Bewusstsein erst zur Zeit der griechischen Hochkultur entwickelt hat.

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Aus Roy Anderssons „Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach“

Kino vom Sofa aus

7 Corona schlägt auch im Kino zu, deswegen wurde Roy Anderssons neuer Film „Über die Unendlichkeit“ auf einen Starttermin im September verschoben. Auf die wunderbar lyrisch-malerischen Filme des Schweden muss man trotzdem nicht verzichten. Gleich drei Filme gibt es in einer DVD-Box: Die Roy-Andersson-Collection versammelt „Songs from the Second Floor“, „Das jüngste Gewitter“ und den Venedig-Gewinner „Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach“. Letzteres lässt sich auch sehr gut vom Sofa aus bewerkstelligen.

8 Es ist eine der erstaunlichsten Karrieren, die ein Kinofilm in der letzten Zeit hingelegt hat. Aus Südkorea kommen normalerweise Filme zu uns, die, wenn sie es überhaupt auf eine europäische oder gar nordamerikanische Leinwand schaffen, im Arthaus laufen. Mit „Parasite“ aber gelang Bong Joon-ho das kaum für möglich Gehaltene: Er gewann beim Oscar nicht allein die Trophäe für den besten nicht-englischsprachigen Film, sondern den Hauptpreis für den besten Film überhaupt. Bei Amazon Prime ist diese Preziose auch zuhause zu empfangen – falls Sie nicht doch außerhalb Kölns ins Kino gehen, da läuft er angesichts des großen Erfolgs nämlich auch noch.