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Lange Heimkehr zum späten GlückAuftakt des Kölner Shalom Festivals mit Maria Herz

Lesezeit 5 Minuten
Musiker stehen auf einer Bühne, im Vordergrund spielt jemand Cembalo

Michael Hell und das Ensemble Art House 17 bei der Eröffnung des Shalom Musik Festivals in der Kölner Flora.

Zur Eröffnung des Festivals mit jüdischer Musik gab es eine späte Welturaufführung und Schlager der Weimarer Republik.

Ach, das Jahr 1932 muss in Deutschland heiter und unbeschwert gewesen sein. Die Frauen hießen Jou-Jou, arbeiteten als menschliches Wurfgeschoss im Wanderzirkus und träumten von einer Karriere in Amerika. Ganz nebenbei brachten sie die Welt von Männern, die alle auf den Namen Willy hörten, auf herrliche Weise durcheinander. Die Melodie dazu schrieb Werner Richard Heymann: „Irgendwo auf der Welt, gibt's ein kleines bisschen Glück“, trällerte Lilian Harvey in der Ufa-Komödie „Ein blonder Traum“, „wenn ich wüsst', wo das ist, ging ich in die Welt hinein.“ Am Ende sparte sich Jou-Jou den Weg nach Amerika und fand das Glück im Nächstliegenden: in Willys Armen.

Als Werner Richard Heymann sein Sehnsuchtslied komponierte, war noch nicht abzusehen, dass er 1933 seine deutsche Heimat verlassen würde, um nach Amerika ins Exil zu gehen. Die Ufa hatte ihrem jüdischen Hauskomponisten gekündigt, und Heymann flüchtete vor den Nazis, um in Hollywood unter anderem die Musik für die Filme Ernst Lubitschs zu schreiben. Sein großes bisschen Glück war, dass er wusste, wohin er gehen konnte – genau wie Walter Reisch und Robert Gilbert, die jüdischen Texter seines Liedes, übrigens.

Gewidmet war die Festivaleröffnung einer Komponistin, die ebenfalls vor den Nazis fliehen musste: Maria Herz

„Irgendwo auf der Welt“ war das heimliche Motto der Eröffnung von Shalom Musik Köln, dem „Festival mit jüdischer Musik“. Thomas Höft, der gemeinsam mit Sharon Brauner durch den Abend in der Kölner Flora führte, hatte das Lied im Programmheft zur Hoffnungsmelodie einer fernen Welt ohne Hass erklärt, und als es den Musikabend beschloss, wollte man beinahe daran glauben, dass sich diese Hoffnung wenigstens am Ort und während der Dauer dieses Konzerts erfüllt hatte.

Gewidmet war die Festivaleröffnung einer Komponistin, die ebenfalls vor den Nazis aus Deutschland fliehen musste: Maria Herz, geboren 1878 in Köln, gestorben 1950 in New York. In den 1920er Jahren hatte sie einigen Erfolg in ihrer Heimat: Ihre „Vier kleinen Orchestersätze“ wurden 1928 im Kölner Gürzenich uraufgeführt, sie war bekannt und verkehrte in den besten Kreisen der Musikwelt. Nach ihrem Tod im letzten Exil, New York, geriet ihr musikalisches Erbe in Vergessenheit – in Köln, in Deutschland, sogar in der eigenen Familie. Erst 2015 vermachte ein Enkel ihre Handschriften der Zentralbibliothek in Zürich und ermöglichte so die Wiederentdeckung. In der Flora wurde Herz' letzte Komposition gespielt, ein Konzert für Cembalo und kleines Orchester, das sie 1934 in Köln begonnen und 1935 im Londoner Exil vollendet hatte. Danach verstummte sie als Komponistin. Über die Gründe schwieg sie sich aus.

Ein Mann und eine Frau schauen in die Kamera.

Die Kölner Komponistin Maria Herz mit ihrem Ehemann Albert Herz

Eine erste „Uraufführung“ des Stücks gab es 2020 in Zürich, damals allerdings mit einem Klavier anstelle des vorgesehenen Cembalos. Für die nun auf dem Shalom Festival nachgeholte „echte“ Welturaufführung leitete Michael Hell das Ensemble Art House 17 und übernahm selbst den Solopart am Cembalo. Nach jedem Satz wurde das Konzert jeweils durch Gesangseinlagen unterbrochen und Lieder von Maria Herz mit Schlagern von Friedrich Hollaender, Robert Stolz und Werner Richard Heymann aus den frühen 1930er Jahren kombiniert.

An diese unorthodoxe Programmierung gewöhnte man sich schnell, zumal Thomas Höft und Sharon Brauner in den Übergängen höchst charmant (und dabei angemessen ernst) in Leben und Werk der Komponisten einführten. Wer das Konzert dagegen noch in der Pianofassung im Ohr hatte, konnte das Cembalo für einen etwas schwachbrüstigen Irrtum der Musikgeschichte halten. Oder wenigstens für eine ungewöhnliche Wahl, denn Maria Herz war eine spätromantische, der Moderne gegenüber aufgeschlossene Komponistin. Schönberg lag ihr aber wohl doch ferner als etwa Johannes Brahms: Sie komponierte Musik, die gefallen sollte – und dies auch am Kölner Eröffnungsabend tat.

Michael Hell hatte die Herz-Lieder und die Schlager ebenfalls für Cembalo (und teilweise Akkordeon) arrangiert

Im Grunde war Herz mit ihrem Konzert spät dran: Der deutsche Cembalo-Boom war schon einige Jahre alt und ging mit der „Wiederentdeckung“ der Barockmusik einher. So erklären sich wohl auch die deutlichen Bach-Anklänge in der Herz’schen Komposition. Vielleicht sollte es ein Abschied von Deutschland, der feindseligen Heimat, sein. Vielleicht wollte sie aber auch das musikalische Erbe dieser Heimat noch einmal für sich reklamieren – und es symbolisch vor dem Würgegriff der Nazis retten. Sprachlich hatte sie den Abschied bereits vollzogen. Herz notierte auf dem ersten Notenblatt: „Concerto for Harpsichord and String Orchestra with Flute“.

Michael Hell hat die Herz-Lieder und die Schlager ebenfalls für Cembalo (und teilweise Akkordeon) arrangiert, was etwa bei Hollaenders Untreue-Klassiker „Ich weiß nicht, zu wem ich gehöre“ (gesungen von der Mezzosopranistin Iris Vermillion) zu hübschen Verfremdungseffekten führte. Am besten funktionierte der Brückenschlag über die Jahrhunderte hinweg bei „Frag nicht, warum ich gehe“, einem Filmschlager des Grazer Operettenkönigs Robert Stolz. Die Sopranistin Hila Baggio legte sich mächtig ins Zeug, und dank Hells virtuosem Spiel glaubte man, eine Mischung aus Bach-Sound und Weimarer Spelunkenmusik zu hören.

Dank solcher Effekte konnte man leichter darüber hinweghören, dass Schlager zu verkunstliedern nicht viel besser ist als Klassik zu verpoppen. Und wer wollte von Baggio und Vermillion verlangen, dass sie unter ihrem stimmlichen Niveau singen? So richtig passte die Kombination aus Herz' Liedern und der leichten Muse selbstredend nicht – es lagen etwa Welten zwischen der dramatisch aufwallenden Schicksalsmusik von „Junges Mädchen in den Bergen“ und „Auch Du wirst mich einmal betrügen“ von Robert Stolz. Inhaltlich und biografisch ging hier hingegen vieles Hand in Hand: Auch Stolz, ein strikter Nazi-Gegner, musste 1938 vor den Nazis fliehen und emigrierte nach Hollywood.

In der Moderation klang das Generalthema des Abends immer wieder an: Die Nazis konnten die jüdischen Stimmen nicht dauerhaft zum Schweigen bringen. Auch die spät wiederentdeckte Musik von Maria Herz bleibt hoffentlich noch lange in Erinnerung. Und was vielleicht noch wichtiger ist: Sie gehört wieder zur deutschen Gegenwart.


Shalom Musik Köln, bis 25 August.