Der deutsche Top-Star trat in der Kölner Arena auf und zerlegte Büromöbel. Unsere Kritik.
Lanxess-ArenaIn Köln hat Alligatoah seine Rap-Karriere beendet, jetzt kehrt er als Schwermetaller zurück
Als Alligatoah im November 2023 in der Kölner Arena auftrat, endete er mit dem „Trauerfeier Lied“, dann fiel ein Banner mit Holzkreuz: „Gern geschehen, 1989 – 2023“. Zeitgleich löschte er alle Einträge seines Instagramkanal. Es sah so aus, als wollte Lukas Strobel seine Kunstfigur beerdigen. Seit 2006 war er als „Schauspielrapper“ aufgetreten. Dass Hip-Hop nicht sein ganzes Leben sei, hatte er dabei oft genug betont. Der junge Lukas verstand sich als Punk, hörte Nu Metal und drehte Videos. Seine Reime sind Rollenprosa, fernab privater Befindlichkeiten triefen sie vor Ironie.
Keine 14 Tage nach dem vermeintlichen Karriereende veröffentlichte Alligatoah bereits eine neue Single. „So raus“ überraschte durch ein Metal-Arrangement, inklusive einer Rap-Einlage des Limp-Bizkit-Sängers Fred Durst. Eine Neuerfindung? Erfüllung eines Jugendtraums? Oder geschicktes Sound-Update? Den gängigen Nostalgie-Zyklen zufolge war der einst von Kritikern verachtete Nu-Metal überreif für eine Neubewertung.
Mit jedem neuen Song wird in der Lanxess-Arena ein noch größerer Moshkreis gebildet
Immerhin war es Strobel ernst: Im März 2004 erschien sein siebtes Album „off“ und darauf growlt der Künstler sich zu tiefer gestimmten Gitarren und Blast-Beats die Kehle wund. Bei Alligatoahs Rückkehr in die Arena zeigt sich sogleich, dass die neue Härte seiner Bühnenshow unerhörte Dynamik verleiht, mit jedem Song wird ein noch größerer Moshkreis gebildet. Keine Angst, die wollen nur spielen, selten wurde man derart liebevoll angerempelt.
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Am Anfang stürzt der Künstler auf einem gigantischen Handydisplay vom Himmel herab zur Bühne. Die besteht aus einer Bürolandschaft, Scheinwerfer teilen sich Regalfächer mit Leitz-Ordnern, und auch die exzentrisch besetzte Band – Keyboard, Gitarre, Drums, Hype-Man und Klarinettist – hat sich in graue Businessanzüge geworfen.
„Ihr habt Strg+Alt+Entf gedrückt und hier bin ich“, ruft Alligatoah in seiner gewagten Kombination aus rotem Trainingsanzug und langer Kunstpelzjacke, dann greift die selbst ernannte IT-Fachkraft zum Baseballschläger oder leckt einen Monitor ab, bevor er ihn zu Boden krachen lässt. Er sei gekommen, um die Bildschirmzeit zu reduzieren. Na, wenn das nicht Metal ist.
Am besten ist Alligatoah, wenn er sich als Hypochonder zu Hardrockgitarren die Seele aus dem Leib schreit
Ebenso die Songs. In „Niemand“ grölt der Noch-Rapper gegen Glaubenssysteme an („Du sagst: Was glaubst du, wer du bist?/Ich sag': Wer bist du, dass du glaubst?“), in „Weiße Zähne“ gegen allzu glatt gefilterte Zeitgenossen („Junge, du nervst mich/Weil an dir nur dein Portfolio divers ist“), Rap-Kollege Bausa schaut in Köln persönlich vorbei, um seine Gaststrophe abzuliefern.
Am schönsten geht das neue Konzept im heaviesten Song auf: In „Es kratzt“ brüllt Alligatoah seine imaginären Krankheiten heraus („Es kratzt im Hals/Ich glaube wohl, das war's/Es kratzt im Hals/Ich kauf' mir einen Sarg“) und fängt damit sowohl das innere Leiden des Hypochonders wie dessen belächelte Außenwirkung ein.
Am schlechtesten funktioniert es in „Daylight“, einer Coverversion des No-Angels-Songs, zu der Alligatoah ein Tour-T-Shirt der Casting-Band trägt: Einen kitschigen Popsong aus der Kindheit seiner Fans mit Metal-Gitarre aufzupimpen, ist ähnlich lustig wie Heino, der „Junge“ von Die Ärzte verschlagert, nämlich gar nicht.
Der Rest macht umso größeren Spaß, die Akustikversion des Klassikers „Musik ist keine Lösung“ („Du machst ein Lied gegen die gemeine Welt/Und in China hat gerade jemand Reis bestellt“), die angerockte Version seines Hits „Willst Du“, und all die zur Schau gestellte Gewalt, von der verpuffenden Panzerfaust bis zum im Bud-Spencer-Stil verprügelten Fan.
Eigentlich ist Alligatoah viel zu reflektiert für unverfälscht metalmäßige Aggressionen, doch zum Sprung von der Metaebene ins Moshpit taugen sie allemal.