Laurenz Berges zeigt in der Photographischen Sammlung seine Serie „Das Becherhaus in Mudersbach“. Sie ist eine Lektion in Geisterfotografie.
Der Fotograf Laurenz Berges in KölnAuch Wohnen ist Schicksal, nur eben in vier Wände gepresst
Auch Künstler haben Träume. Den einen ziehen sie in die Südsee, den anderen in den Drogenrausch und Laurenz Berges in die Geisterhäuser unserer Nachbarschaft. Für den Düsseldorfer Fotografen scheint es nichts Schöneres zu geben, als „sich ungestört über einen langen Zeitraum mit einem vollständig eingerichteten, aber ungenutzten Wohnhaus“ beschäftigen zu können.
Sicher gibt es auch dort viel zu entdecken: biografische Spuren, Familiengeschichten, historische Sedimente der Möbelindustrie, das Vergehen der Zeit. Auch Wohnen ist Schicksal, nur eben in vier Wände und ein Dach gepresst. Aber große Träume sehen doch anders aus. Berges zieht es an Orte, aus denen andere fliehen, ohne wirklich von ihnen loszukommen: kleine Häuser in kleinen Städten. Erst ging der liebe Gott, dann gingen die Menschen – so sieht die deutsche Provinz in Berges‘ Büchern über Cloppenburg, Etzweiler und Duisburg aus. Seine Kunst liegt darin, die Leere mit Ahnungen zu füllen, ohne sie zu erklären.
Die Banalität des verwohnten Lebens ist Laurenz Berges geradezu heilig
Die Banalität des verwohnten Lebens ist Berges geradezu heilig, weshalb sein neues Buch (und die gleichnamige Ausstellung in der Photographischen Sammlung Köln) ein bisschen Gottesdienst und ein bisschen Denkmalpflege ist. Für die Serie „Das Becherhaus in Mudersbach“ besuchte er ein altes Fachwerkhaus, das über drei Generationen der Familie seines Lehrers Bernd Becher gehörte – auch Becher selbst hatte dort lange ein Gästezimmer, das Berges beinahe ehrfurchtsvoll betritt. Die Tür steht offen, aber das Geheimnis dahinter bleibt gewahrt.
Gemeinsam mit seiner Ehefrau Hilla erfand Bernd Becher die Fotografie in den 1970er Jahren noch einmal neu und suchte in Reihenaufnahmen von Fachwerkhäusern und Industrieanlagen das Individuelle im Genormten. Aus der neusachlichen Becher-Schule stammt auch Berges, der die Serienfixierung seiner Lehrer aber freier interpretiert als etwa Candida Höfer oder Thomas Struth. Dafür ist er ihnen in anderer Hinsicht umso treuer: Die Sehnsucht, etwas Unwiederbringliches zu bewahren, treibt auch Berges an. Allerdings bleibt er nicht draußen vor der Tür. Ihn interessieren weniger die Fassaden, als das Leben, dem sie eine Fassung gaben.
Das enge „Becherhaus“ ist so etwas wie das Phantasialand im Berges-Kosmos. Hier lebte Bechers Großvater, ein Dekorationsmalermeister, bevor er mit seiner Familie nach Siegen zog. Anschließend gehörte es Bechers Tanten, zwei offenbar sehr fromme „alte Jungfern“. Zuletzt bewohnte es Bechers Schwiegermutter, diese ließ die Schwesternzimmer aber weitgehend unberührt. Seit Bernd Bechers Tod hüten die Erben das Gemäuer mitsamt Innenleben wie einen familiären Erinnerungsschatz. So blieb der Geist der verschiedenen Zeiten im Haus erhalten.
Das erste Bild der Kölner Ausstellung zeigt einen Fensterblick auf Mudersbach: wenig Landschaft und noch weniger Stadt. Das einfache Leben setzt sich im Inneren fort, mit kargen Holzstiegen, Heiligen an kahlen Wänden oder einem Wählscheibentelefon im warmen Licht der weiten Welt. Berges ist ein Meister farblicher Nuancen, der jedes Bild so lange „durcharbeitet“, bis es die gewünschte Stimmung annimmt. Man fragt sich, wie er das schafft: Die Zeit scheint in diesen Räumen seit langem stillzustehen, und doch scheinen die Betten noch warm zu sein.
Wie ein geübter Einbrecher weiß Berges, wo er suchen muss – und ihm entgeht nichts. In einer Schublade findet er einen Schlüssel und einen Knopf auf gemustertem Papier, im Spiegel sieht man einen Spazierstock an der Wand, und auf einem Regal steht eine Heiligenfigur zwischen Honiggläsern und Küchenutensilien. An anderer Stelle nehmen Becher-Bilder den Platz des religiösen Nippes ein: eine Zeitungsseite mit „anonymen Skulpturen“, eine vergilbte Einladungskarte neben einem alten Hochzeitsfoto. Der Kreis aus Leben und Werk schließt sich mit der Aufnahme „Hans-Bernd“, das ein Porträt des kleinen Bernd neben einem Gruppenfoto vor Siegerländer Fachwerk zeigt. Etwas besonders ist dieses Bild aber auch wegen der subtilen Lichtsetzung: Ein blasses Orange schwebt über einem zarten Himmelblau.
Im Grunde könnte das „Becherhaus“ jedes Haus sein. Aber vielleicht erschien Berges der Moment, in dem eine Präsenz noch spürbar ist, bevor sie sich verflüchtigt, hier noch etwas kostbarer als sonst. Das Licht, das sich immer wieder in Gardinen und Vorhängen verfängt, hat jedenfalls etwas Sakrales. Und die Aufnahme einer weißen Lampe vor weißer Wand ist Geisterfotografie zum Niederknien.
„Laurenz Berges – Das Becherhaus in Mudersbach“, Photographische Sammlung, Im Mediapark 7, Köln, Do.-Di. 14-19 Uhr, bis 21. Januar 2024. Das Buch zur Ausstellung kostet 38 Euro.