Köln – Die Geburtsstunde des Kinos lässt sich recht gut bestimmen. Sie fällt entweder auf den Tag, an dem die Gebrüder Lumière erstmals an der Kurbel ihres Kinematographen drehten, oder mit dem ersten Auftritt eines boxenden Kängurus auf der Leinwand des Berliner Wintergarten-Varietés zusammen.
Doch wann setzten eigentlich die Wehen ein: mit den Kaiserpanoramen des 19. Jahrhunderts, den magischen Laternen des Barock, den feuerbeschienenen Höhlenmalereien oder gar mit dem unbewegten Beweger, der das Universum schuf, indem er es um sich selber kreisen ließ?
Werner Nekes besaß mehr als 25.000 optische Objekte
Ganz so weit reicht selbst die legendäre Kinosammlung von Werner Nekes nicht zurück. Der 2017 verstorbene Filmemacher hatte in seinem Haus in Mühlheim an der Ruhr weit über 25.000 optische Geräte aus der Früh- und Vorgeschichte des Kinos zusammengetragen, lauter Beweisstücke dafür, dass die Sehnsucht nach bewegten und in der Bewegung lebendig gewordenen Bildern schon Jahrhunderte existierte, bevor diese dann tatsächlich laufen lernten.
Ein schöner Batzen davon lagert im Theaterwissenschaftlichen Institut der Universität zu Köln – und eine kleine Auswahl ist jetzt gemeinsam mit barocken Gemälden im Kölner Wallraf-Richartz-Museum zu sehen.
Gerade das Barock kultivierte und demokratisierte die Lust an der Illusion. Sie ließ sich, angetrieben durch die optischen Wissenschaften, auf höfischen Festen ebenso ausleben wie in Bühnenbauten, in den Augentäuschereien der Malerei oder in den Jahrmarktsattraktionen der Gaukler. Ein solcher hat sich für die „Sensation des Sehens“ getaufte Ausstellung einen Guckkasten umgeschnallt, wie man ihn ganz ähnlich auch in der Nekes-Sammlung findet.
Blickt man im Wallraf etwa durch die Linse eines Trapezguckkastens, schaut einem aus unbestimmter Ferne ein Zyklopenauge an; und im Engelbrechtschen Perspektivtheater sind die einzelnen Miniaturkulissen so hintereinander angeordnet, dass sich der Raum wie auf einer echten Theaterbühne in die Tiefe zieht.
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Auch die Ausstellungsarchitektur zitiert die Illusionsliebe des Barock. Die optischen Objekte sind in einem Rundbau mit schmalen Schlitzen arrangiert, einer sehr großen Wundertrommel, die hier freilich keine Bewegungsillusion erzeugt, sondern diese nur zur Schau stellt. In ihrem Inneren finden sich neben allerlei Guckkästen vor allem Papierlaternen und von Hand kolorierte Kupferstiche. Sie werden belebt, indem man etwa hinter einer perforierten Ansicht von Venedig buchstäblich das nächtliche Licht anknipst; im Barock mit einer Kerze, im Wallraf mit einem Lichtschalter. Ein Tischfeuerwerk wird ebenfalls geboten: Auf einem französischen Karton sieht man einen Drachen aus seinen vielen Rachen ebenso viele Feuer speien.
„Sturz des Phaeton“ von Frans Francken II gehört zu den neuen Stars der Sammlung
Gebändigt wird das Ungeheuer durch einige Bilder aus der Barocksammlung des Wallraf. An erster Stelle ist der neu angeschaffte „Sturz des Phaeton“ zu nennen, auf dem Frans Francken II den Unfall des göttlichen Sonnenwagens in ein spektakuläres Licht taucht; Anthonie Leemans und Cornelis Norbertus Gijsbrechts steuern hyperrealistische Augentäuschereien bei und Leonaert Bramer, der „Leonardo der Nacht“, eine dramatisch aus der Düsternis gehobene Bibelszene. Hier soll das eingefrorene Bild lebendig werden, indem man es mit malerischen Mitteln, den Gegensätzen von Hell und Dunkel, scheinbar in Bewegung versetzt.
Im nächsten Jahr wandert die „Sensation des Sehens“ in die Mittelalterabteilung des Wallraf – mit neuem optischen Spielzeug und neuen Gemälden. Man darf gespannt sein, wie sich der ferne Traum des Kinos in diesen Zeiten niederschlug.
„Sensation des Sehens“, Wallraf-Richartz-Museum, Obernmarspforten, Köln, Di.-So. 10-18 Uhr, bis 23. April 2023. Katalogheft: 2 Euro.