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Letzte Köln-Premiere des Ballet of DifferenceAm Ende fehlt die Hoffnung

Lesezeit 3 Minuten
Die letzte Premiere des Ballet of Difference in Köln: „The People United“

Die letzte Premiere des Ballet of Difference in Köln: „The People United“

Richard Siegals Kompanie feiert mit „The People United“ einen Abschied aus Köln, der durch Detailfülle überfordert, ohne je ans Gefühl zu appellieren.

Es muss schwer sein, als Kompanie noch einmal die Energie aufzubringen, gemeinsam ein letztes Stück zu kreieren, wenn der Abschied so gar nicht gewollt ist. Es ist nun wahr geworden: Das Ballet of Difference hat an diesem Wochenende seine letzte Köln-Premiere, seine letzten Vorstellungen gezeigt. Nicht einmal im Bewerbungsverfahren für eine ab der Spielzeit 2025/26 geplante städtische Tanzkompanie sind Richard Siegal und das BoD noch dabei. Im März wurde ihnen eine Absage erteilt. Gleich acht andere Kandidaten wären besser für Köln geeignet?

Dabei hatte sich das BoD in seinen fünf Jahren künstlerisch sich zur echten Marke entwickelt. Auch das nicht immer leicht zu erobernde Kölner Publikum feierte ‚seine‘ Kompanie, egal wie sperrig einzelne Projekte waren. Denn Siegals Stücke zielen nie auf die platte Überwältigung. Immer dominiert der intellektuell-unterkühlte Zugriff. Kein Künstler fürs Herz, sondern einer fürs Hirn - und okay, auch das: für den erotisch-ästhetischen Genuss.

Zusammenarbeit mit Igor Levit

Doch für diese Lust an der Verführung fehlte vielleicht bei der letzten Produktion die Hoffnung - trotz des schön utopischen Titels „The People United“, die Kurzform einer legendären Komposition von 1975: „The People United Will Never Be Defeated!“ des US-amerikanischen Avantgarde-Komponisten Frederic Rzewski. 36 Klavier-Variationen über das chilenische Widerstandslied „El pueblo unido“ gegen Pinochets Militärdiktatur.

Starpianist Igor Levit hatte Rzewskis Komposition 2015 gemeinsam mit Bachs „Goldberg Variationen“ und Beethovens „Diabelli Variationen“ eingespielt und ihm auch wegen der gewagten Rahmung zu neuem Kultstatus verholfen. Levit war es dann auch, der diese Musik für das gemeinsame Projekt mit Siegal vorschlug. Er selbst spielte allerdings nur bei der Uraufführung des Stücks in Bregenz. Nach Köln schickte er seinen Meisterschüler Mert Yalniz.

Das Ballet of Difference feiert noch einmal die Diversität

Der 21-jährige Pianist setzt sich nun so unbekümmert ans Klavier als gelte es nur ein paar simple Etüden zu spielen und nicht ein legendär schweres „Monsterwerk“. Immerhin scheint dann der häufige Einsatz eines Schweißtuches - schneeweiß leuchtend wie eine Friedensfahne - zu signalisieren: Ganz so leicht ist es sich dann doch nicht. Und während Yalniz sich mit jugendlichem Enthusiasmus durch Rzewskis wilde Zerfledderungen des Protestliedes kämpft, feiern Siegal und das BoD noch einmal die Gründungsidee der Kompanie: die Diversität - stilistisch, ideell, identitätspolitisch.

Der fantastische Tänzer Sean Lammer eröffnet mit zeitgenössischer Tanz-Ästhetik in der Siegal-typischen eleganten Rasanz. Dann gibt es Urban Grooves in Hoodies, Tango-Beinschlenker, orientalische Armschnörkel, pathos-bebende Gruppenauftritte wie bei Martha Graham, „Pedestrian Moves “aus der Postmoderne. Ein Tanz durch Kulturen, Zeiten, soziale Kodizes. Wirklich „united“, wie der Titel verheißt, wird der Pluralismus allerdings nicht - so idealistisch kann ein Richard Siegal wohl nicht auf die Welt blicken. Oftmals „clashen“ die Ästhetiken, stören sich auch schon mal. Andererseits treiben die Stubser, die sich die elf Tänzerinnen und Tänzer oft geben, die Dynamik auch an.

Individualismus ist anstrengend. Er kann eine Gemeinschaft inspirieren - er kann sie zerstören. So kommt die Choreografie kaum zur Ruhe, überfordert durch eine Detailfülle, ohne je mal ans Gefühl zu appellieren. Keine Freude, auch keine Wut. Nur ganz am Ende stürmt Sean Lammer doch einmal auf das Publikum zu, hebt das Bein, stampft auf, reißt die Arme hoch: „Tut etwas für diese Welt! Steht auf, geht los!“ Die letzte Botschaft des Ballet of Difference.