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Science-Fiction-SerieWarum „The Expanse“ leider eine Blaupause für unsere Zukunft ist

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An Bord des Raumschiffs „Rocinante“ 

Irgendwo im Sonnensystem – Das Leben im All, hieß es am Anfang von Alfonso Cuaróns Film „Gravity“, ist unmöglich. Die Science-Fiction-Serie „The Expanse“ hat sechs Staffeln lang gezeigt, dass es sehr wohl möglich ist. Nur unbeschreiblich hart. Gerade hat Amazon Prime Video die finale Folge der Weltraum-Saga veröffentlicht.

Das Ende war schon lange so angekündigt, Entzugserscheinungen bleiben deshalb nicht aus. Seit Ronald D. Moores Neuinterpretation von „Battlestar Galactica“ in den Nuller Jahren hat man keine derart überzeugende Zukunftswelt mehr gesehen.

Anders als etwa im Fall von „Game of Thrones“ ist die Romanreihe, auf der „The Expanse“ beruht, abgeschlossen – und es sind noch nicht alle Bücher des Autoren-Duos, das unter dem Namen James S. A. Corey publiziert, verfilmt worden. Nun bleiben einige Fragen offen. Allerdings springt die Romanhandlung noch einmal 30 Jahre nach vorne, man hätte also so oder so das Ensemble ersetzen müssen.

Die Menschheit kolonisiert das Sonnensystem

„The Expanse“ extrapoliert rund drei Jahrhunderte in die Zukunft. Die Menschheit hat weite Teile des Sonnensystems kolonisiert. Die Erde wird von den Vereinten Nationen regiert. Der Mars ist eine unabhängige Republik. Im Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter werden Rohstoffe abgebaut. Auf dem Jupitermond Ganymed wird Landwirtschaft betrieben.

Das klingt wie eine Utopie aus hoffnungsfrohen Space-Age-Tagen. Doch die Ausweitung in den Raum hat nicht zu Friede, Freude und Schwerelosigkeit geführt.

Im Gegenteil. Selten zuvor hat das Genre so unbarmherzig gezeigt, wie Menschen von den physikalischen und sozialen Verhältnissen im Weltraum an die Wand gedrückt werden. Hier holen sich Raumpiloten bei der Schubumkehr blaue Flecken. Die Beschleunigung ist überhaupt nur durch Drogenzufuhr auszuhalten; das Pendeln zwischen Planeten, Raumstationen und ausgehöhlten Asteroiden ist eine geisttötende Mixtur aus Fernfahren und Bildschirmarbeit.

Das Hartz IV der Zukunft

Die befriedete Erde ist ökologisch tot, eine kleine Elite bestimmt ihre Geschicke, für den Großteil der Bewohner gibt es keine Arbeit, sie werden mit dem Science-Fiction-Äquivalent von Hartz IV abgespeist. Mit dem Mars befindet man sich im Kalten Krieg.

Einig sind sich der dritte und der vierte Planet nur in der gemeinsamen Ausbeutung der „Belter“, der Minenarbeiter im Asteroidengürtel. Arbeit gibt es hier genug, Lebensmittel, Wasser und Mitgefühl sind dagegen knapp. Die Belters haben, als Verdammte dieses Sonnensystems, ihre eigene Kultur und Physiognomie entwickelt. Ihr Hass auf die Inners – die Bewohner der inneren Planeten – ist nicht schwer nachzuvollziehen.

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Später wagt sich „The Expanse“ noch viel weiter vor in den Raum, auch haben wir noch nicht das extraterrestrische „Protomolekül“ erwähnt, oder die „Free Navy“. Und vor allem nicht die kleine Crew der „Rocinante“, die sich aus Erdlingen, Marsianern und Beltern gleichermaßen zusammensetzt und einen quichotischen Kampf zwischen allen Fronten ausficht.

Was diese Serie indes zum Stolz ihres Genres macht, ist die Dichte, mit der sie die verschiedenen sozialen Systeme im Sonnensystem beschreibt. Linguisten analysieren die Kreolsprache der Belter, Physiker loben die astronomische Akkuratesse, mit der Himmelskörper und Schiffe hier den Raum durchmessen, und in den Cultural Studies zeigt man sich begeistert von der gelebten Diversität der Verfilmung; wenigstens eine Sache, die sich in der Zukunft zum Besseren wendet.

Nobelpreisträger Paul Krugman als Fan

Der Wirtschafts-Nobelpreisträger Paul Krugman outete sich in der „New York Times“ als Fan und schrieb einen Leitartikel über die makroökonomischen Strukturen der „Expanse“-Welt. Und ausgerechnet Jeff Bezos – einem der beiden Hyperkapitalisten, die aktiv an der Ausweitung der Menschheit ins Sonnensystem arbeiten – haben wir es zu verdanken, dass es die Serie überhaupt auf sechs Staffeln gebracht hat.

Der US-Sender Syfy hatte sie nach der dritten Staffel abgesetzt, Bezos sprang ein und ließ seinen Streamingdienst drei weitere Seasons in Auftrag geben. „Der Grund, warum wir ins All fliegen müssen, ist die Rettung der Erde“, erklärte Bezos, als er vor drei Jahren die Mondlandefähre seiner Weltraumfirma Blue Origin vorstellte. Früher oder später, so der Amazon-Gründer, werde der Erde die Energie ausgehen, das sei reine Arithmetik.

Allein im Asteroidengürtel, schätzen Physiker, warten Trillionenwerte darauf, abgebaut zu werden. Die Paketboten von heute sind die Belter von morgen. So gesehen ist „The Expanse“ weniger Science-Fiction als Blaupause.

Die sechs Staffeln von „The Expanse“ sind auf Amazon Prime zu sehen