Engelke, Böttinger, DomianDiese Bücher empfehlen Kölner Prominente
Köln – 2021 war kein gutes Jahr zum Ausgehen, aber ein gutes Jahr für die Literatur. Selbst gestresste Medienmenschen hatten Zeit zum Lesen - hier verraten Sie uns, welche Bücher sie berührt, begeistert und bereichert haben.
Anke Engelke empfiehlt: „Oreo“ von Fran Ross
Was war ich beeindruckt und überwältigt als ich "Oreo" zum ersten Mal fertig gelesen habe! Während der ersten 20 Seiten hatte ich zwar wie ein Doofie ständig zum Anfang zurückblättern müssen: Welche Hautfarbe hatte Christine nochmal, die 16-jährige Protagonistin aus Philadelphia? (in ihrer„blackness-Skala" gibt sie sich selber eine 7: „dark-brown skinned"). Und wer war jetzt nochmal Christines Mutter? (Helen, ebenfalls schwarz, aber abwesend, deshalb wächst das Mädchen bei der schlauen frechen Oma auf). Und ihr Vater?! (Sprecher von Beruf, jüdisch und weiß, aber auch futsch, irgendwo in New York).
„Man liest wie im Rausch“
Aber ich gab nicht auf, weil ich so eine faszinierende Heldin vorher noch nie erlebt hatte: Fährt alleine von Philadelphia nach New York um ihren Vater zu finden, rasselt von einem Abenteuer ins nächste, begegnet tollen bekloppten Menschen, besiegt ein Sexmonster (ACHTUNG obszön und nicht jugendfrei!), ballert Sprachen und Dialekte raus (Jiddisch, zum Beispiel und Südstaaten-Slang, Französisch, Deutsch), löst Rätsel, serviert immer wieder ihre wahnwitzigen Listen, puppenlustigen Wortspiele und mysteriösen schlauen Formeln - man liest wie im Rausch!
Ein „Schelmenroman“ war das damals 1974, weil die clevere Christine aus jedem Schlamassel rauskommt, und heute - fast 50 Jahre nach Erscheinen von "Oreo" - erkennt man, dass das nicht nur ein Feminismus-Hammer, sondern auch ein total modernes black-power-Buch ist! Und die Autorin Fran Ross? „Oreo“ war ihr einziger Roman, sie war später Comedy-Autorin für den stand-upper Richard Pryor und ist 1985 mit nur 50 Jahren gestorben.
Fran Ross: „Oreo“, 288 Seiten, dtv, 22 Euro, E-Book 9,99 Euro.
Anke Engelke ist Schauspielerin, Komikerin, Moderatorin, Synchronsprecherin und begeisterte Leserin.
Christine Westermann empfiehlt „Barbara stirbt nicht“ von Alina Bronsky
Goldene Hochzeit, das sind schon mal 50 Jahre Ehe. Alina Bronsky erzählt von einem Paar, das sogar schon ein bisschen länger verheiratet ist, 52 Jahre. Zu Beginn scheint es die übliche wir-haben-uns-auseinander-gelebt-aber-das-ist-jetzt-auch-egal-Geschichte zu werden. Es kommt aber verblüffend anders.
Im Mittelpunkt steht Herr Schmidt, kein Sympathiebolzen, eher ein Mann der alten Schule, ein „Bestimmer“ also. Verheiratet mit Barbara, die sich klaglos unterordnet. Wenn eine Frau aber klug ist, und Herrn Schmidts Frau Barbara ist klug, dann kennt sie die kleinen Fluchten, findet in 52 Jahren, unbemerkt vom Gatten, ihren ganz eigenen Weg. Herr Schmidt hingegen trottet wortkarg und besserwisserisch durchs Leben, bis er schließlich das Rentenalter erreicht, ohne zu wissen, wie man Kaffee kocht.
„Ein literarisches Glanzstück“
Eines Morgens ändert sich der seit Jahrzehnten penibel getaktete Tagesablauf des Ehepaars von einer Minute auf die andere. Barbara steht nicht mehr auf. Herr Schmidt ist fortan auf sich allein gestellt. Muss sich am Ende ihres gemeinsamen Lebens neu erfinden. Als Pflegekraft, als Hausmann. Als fürsorglicher Partner, der er in 52 Jahren nie gewesen ist.
Der Autorin Alina Bronsky gelingt perfekt, Herrn Schmidts allmähliche Verwandlung zu beschreiben. Worte zu finden für einen, der tief im Herzen ein ganz anderer ist. Das liest sich kein bisschen rührselig, im Gegenteil. Oft ist es bitterböse, hat eine unglaublich schräge Situationskomik.
Obwohl federleicht erzählt, spürt man doch immer wieder die Seelenlast, die Herr Schmidt schon so lange mit sich herumträgt. Die absonderlichen Szenen einer Ehe mit solch feinem Gespür fürs Aberwitzige, fürs Absurde zu beschreiben, ist ein literarisches Glanzstück.
Alina Bronsky: „Barbara stirbt nicht“, Kiepenheuer & Witsch, 256 Seiten, 20 Euro, E-Book: 14,99 Euro.
Christine Westermann gibt als Moderatorin in Hörfunk und TV regelmäßig Buchtipps und hat auch selbst schon einige Bücher geschrieben.
Bettina Böttinger empfiehlt „Allein“ von Daniel Schreiber
„Allein“ ist sehr klug und gut geschrieben – aber vielleicht ist es auch deshalb ein Bestseller geworden, weil es das Buch zur Zeit ist. In der Corona-Pandemie fühlen sich ja sehr viele Menschen allein und allein gelassen.
Ich hatte vorher schon alles von Daniel Schreiber gelesen. Nachdem er vor einigen Jahren die erste Susan-Sontag-Biographie geschrieben hatte, hat er drei Essays in Buchform veröffentlicht: „Nüchtern“, „Zuhause“ und jetzt eben ein Essay über das Leben allein – also alles sehr existenzielle Themen.
Abgesehen vom vergangenen Corona-Sommer mache ich in der Schweiz immer ein literarisches Wochenende „QueerLesen“, wo ich mit queeren Autor*innen deren Bücher bespreche. Und so habe ich Daniel Schreiber damals kennen gelernt, als er gerade „Nüchtern“ veröffentlicht hatte. Darin geht es tatsächlich um Alkohol und darum, dass er nicht mehr trinkt. Und damit ein Außenseiter in dieser Gesellschaft ist, wo das Trinken von Alkohol ja schon fast als Kulturgut gilt.
„Klug und berührend“
Seine drei schmalen Essay-Bände haben mich deshalb so berührt, weil er immer auch von eigenem Erleben ausgeht. Aber es schafft, dass er vom eigenen Empfinden ausgehend in das Allgemein-Gesellschaftliche und Menschliche geht. Und deshalb sind diese Bücher so klug und so berührend für jeden - weil man seine Gedanken gut nachvollziehen kann, auch wenn man in einer ganz anderen Lebenssituation ist.
Wir haben im Grunde genommen zwei Glücksphantasien, schreibt er: Wohlstand und das Liebesglück. Aber die Tatsache, dass in diesem Land 17 Millionen Menschen als Single leben macht klar, dass Alleinsein ein gesellschaftliches Phänomen ist, mit dem wir umgehen müssen. Es ist eben nicht mehr so, dass die allermeisten Menschen in einer Paarbeziehung leben, sondern dass wir uns viele andere Wege suchen, um durchs Leben zu gehen – Freundschaften zum Beispiel.
Wir folgen Daniel Schreiber an verschiedene Orte, die er sehr mag: schöne Gärten oder auch in seine eigene Kindheit. Und er nimmt uns dabei mit, weil es eine sehr ehrliche Beschreibung ist, bei der wir uns fragen können: Was wollen wir selbst, wie gehen wir selbst damit um?
Daniel Schreiber: „Allein“, 160 Seiten, Hanser Berlin, 20 Euro, E-Book 15,99 Euro.
Bettina Böttinger ist Produzentin, TV-Moderatorin (unter anderem „Kölner Treff“), Podcasterin („Wohnung 17“) und Literatur-Liebhaberin.
Jürgen Domian empfiehlt „Das Tor des Zen“ von Koun Yamada
Ein wichtiges Werk der Zen-Literatur hatte ich bisher noch nicht gelesen. Anfang des Jahres dann war es soweit. „Das Tor des Zen - Grundlagen und Praxis“ von Koun Yamada wurde für mich zu einem wichtigen Lesebegleiter in der Pandemie-Zeit.
Seit vielen Jahren beschäftige ich mich mit Zen. Wie kam es dazu? Weil der christliche Glaube mir zu eng geworden war, letztendlich zu märchenhaft. Weil das atheistische Weltbild mit seiner Fokussierung auf die Ratio mir zu mangelhaft erschien. Und weil ich, von Jahr zu Jahr, immer mehr zu einem Suchenden wurde.
„Die Religion jenseits der Religionen“
So kam ich mit dem Zen-Buddhismus in Kontakt. Der Religion jenseits der Religionen. Zen hat mit dem folkloristischen Buddhismus, wie wir ihn im Westen kennen, wenig gemein. Was aber ist Zen? Radikal! Bar jeder Logik! Ohne Dogmen und Hierarchien! Alle Autorität kommt aus dem eigenen Inneren. Es existieren keine Gottesvorstellungen und keine Aussagen über ein Jenseits. Ein junger Mönch fragte seinen Zen-Meister: „Meister, gibt es ein Leben nach dem Tod?“ Darauf der Meister: „Ich war noch nicht tot!“
Zen zwingt uns, unser rationales Denken zu verlassen. Denn mit Ratio und Logik kommen wir nicht weit, wenn es um die letzten Dinge geht. Mit der Beschränktheit der Sprache lassen sich die Mysterien unserer Existenz und des Seins nicht erfassen.
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Deshalb hat der historische Buddha auch nie darüber „gesprochen“, was ihm während seiner Erleuchtung widerfahren ist. Er hat geschwiegen. „Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen“, sagt der Philosoph Ludwig Wittgenstein. Und so spottet Zen jeder Begrifflichkeit. Es gibt keine Abstraktionen, keine Dialektik, keine intellektuellen Überlegung.
Was aber kann man sagen? Die tragenden Säulen des Zen sind das Mitgefühl, der Respekt allen Kreaturen gegenüber, die radikale Konzentration auf die Gegenwart und der Gedanke, dass unser Ich keine feste Konstante unserer Persönlichkeit ist, sondern letztendlich nur einer Illusion gleicht. All das bringt uns Koun Yamada in seinem Buch näher. Es ist ein Wegweiser. Um neu zu denken, neu zu fühlen, neu zu verstehen. Ganz im Sinne dessen, was im Diamant-Sutra beschrieben wird:
„Alle Dinge sind wie Träume, Phantome, Blasen, Schatten; wie Tau sind sie, wie das Aufleuchten eines Blitzes. Als nichts anderes soll man sie verstehen."
Koun Yamada: „Das Tor des Zen - Grundlagen und Praxis“, edition steinrich, 328 Seiten, 24,90 Euro.
Jürgen Domian ist Moderator für Hörfunk und Fernsehen und hat auch selbst schon mehrere Bücher geschrieben.