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lit.Cologne 2025„Ablenkungsmanöver“ – Was Schriftstellerin Helene Hegemann an MMA fasziniert

Lesezeit 2 Minuten
Schriftstellerin Helene Hegemann las bei der lit.Cologne im Comedia-Theater aus ihrem Buch „Striker“ vor.

Schriftstellerin Helene Hegemann las bei der lit.Cologne im Comedia-Theater aus ihrem Buch „Striker“ vor.

In der Lesung zu ihrem neuen Roman „Striker“ spricht Helene Hegemann über Kampfsport, Klassenkampf und die Kontrolle über den eigenen Körper.  

Sparringpartner aus der Nahdistanz verdreschen, in die Fresse hauen, Medizinball in die Bauchdecke schmeißen. Was für andere martialisch klingt, ist für Helene Hegemann Faszination – Kampfsport im Allgemeinen und MMA-Kämpfe (Mixed Martial Arts) im Speziellen. Das gleiche fast schon romantischen Begegnungen, erzählt die Schriftstellerin bei der lit.Cologne.

„Es ist der einzige Bereich im menschlichen Leben, wo zwei Menschen komplett und zu 100 Prozent aufeinander losgehen, mit aller Kraft. Und dann ertönt ein Gong und die umarmen sich“, beschreibt sie den Reiz der Sportart, die die Grundlage ihres vierten Romans „Striker“ bildet. „Dass das überhaupt möglich ist, finde ich als Kulturtechnik extrem irre.“

Roman „Striker“: MMA-Fight ist keine Metapher für den Überlebenskampf

Anders, als es manche Kritiken über ihr neuestes Buch nahelegen, sei das Motiv ein anderes, als „der Mythos des seit Jahrzehnten existenten Boxfights als Metapher für den Überlebenskampf“, so Hegemann im Gespräch mit Moderatorin Maria-Christina Piwowarski. Vielmehr gehe es um ein Ablenkungsmanöver, gerade für kämpfende Frauen, wie ihre namenlose Protagonistin, die nur den Buchstaben „N“ trägt: Wenn man politisch und gesellschaftlich nichts mehr kontrollieren könne, bleibe nur die Kontrolle über den eigenen Körper. 

Hegemanns Berlin-Roman, genauso wie ihre Lesung im nicht ganz gefüllten Comedia-Theater, drehen sich aber um viel mehr, als um die Deutung kampfsporttreibender Frauen. Ein weiteres entscheidendes Element, erzählt die 33-jährige Autorin, die 2010 mit „Axolotl Roadkill“ debütierte, sei das Schwimmen zwischen den Klassen. N, ihre Hauptfigur, lebt zwischen Problembezirk und Villenviertel, hat einerseits eine Affäre mit einer reichen Politikerin und andererseits eine aufwühlende, angsteinflößende Verbindung zu der obdachlosen Ivy, die in ihrem Hausflur nächtigt. „N. versucht im Laufe des Buches dahinterzukommen, was die gemeinsame Schnittstelle zwischen Arm und Reich ist“, so Hegemann.

Aufgeschrieben und vorgelesen klingt das fast schon abgeklärt, gleichzeitig atemraubend, so beschreibt es Moderatorin Piwowarski. Trotz der gesellschaftlichen Schieflage, die Hegemann beschreibt, wolle sie nicht belehrend wirken. Im Gegenteil: Die Literatur sei doch gerade dafür da, die Felder zu bearbeiten, die nicht klar und eindeutig zu benennen seien. 

Davon gibt es in ihrem Roman noch einige mehr: Schlaflosigkeit, Existenzängste, ein Doppelgänger-Narrativ, Bilder und Symbole, genauso wie den titelgebenden Graffiti-Sprayer „Striker“. Was es mit ihm auf sich hat, bleibt sie dem lit.Cologne-Publikum, genauso wie ihren Leserinnen und Lesern nämlich schuldig – ganz bewusst, so scheint es.