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Alice Hasters auf der lit.popWie es nach dem Ende unserer Geschichte weiter geht

Lesezeit 4 Minuten
Alice Hasters

Im Kölner Stadtgarten erklärte Alice Hasters, warum unsere Selbsterzählung nicht mehr auf geht. (Archivbild)

Im Stadtgarten wird die Kölner Autorin existenziell. Dabei nimmt sie mit ihrer „Identitätskrise“ der AfD den Wind aus den Segeln.

Alice Hasters beginnt mit dem Ende und endet mit dem Anfang der Geschichte. Im Konzertsaal des Stadtgartens eröffnet die Autorin am späten Samstagnachmittag den zweiten Tag der lit.pop. „Die coole kleine Schwester der lit.cologne“, wie sie es nennt. Heute ist das Programm doppelt so groß wie gestern, der Klub Jaki öffnet als dritte Location die Türen für mitreißende Gespräche. Doch die größere Auswahl der Events schmälert nicht deren Qualität.

lit.pop in Köln: Alice Hasters spricht über unsere „Identitätskrise“

Hasters stellt ihr Buch „Identitätskrise“ vor. Ein existenzialistischer Crashkurs für eine von der Realität eingeholten westlichen Welt. „Identität ist eine Geschichte, die man sich über sich selbst erzählt“, definiert sie zunächst: „Eine Identitätskrise ist die Erkenntnis, dass diese Geschichte nicht mehr aufgeht.“

Identität hängt von dem Kontext ab, in dem wir uns bewegen: „Hier“, zeigt Hasters auf die Bühne, „bin ich Autorin. Gerade eben war ich Zuhause. Da bin ich die jüngste Tochter, Schwester.“ Die Kölnerin wurde durch ihr Debütbuch „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten“ bekannt, das vielen während der Black Lives Matter-Proteste Orientierung gab. Mehr als ein Jahr lang war es ein Spiegel-Bestseller.

Erklärungsversuch für „Genervte“ und „selbstgefällige“ Millennials

In einem Versuch, ihre Generation von „genervten“ und „selbstgefälligen“ Millennials zu erklären, erzählt Hasters von der Geschichte des sogenannten „Westens“ à la Francis Fukuyama. Der „Westen“, das sind die neoliberalen Demokratien, die groß „Menschenrechte“ auf ihre Fahnen schreiben.

„Die Geschichte, die wir uns erzählten, ging nicht mehr auf.“
Alice Hasters, Autorin

Nach dem Mauerfall und dem Kalten Krieg war für Hasters klar: „Es war das Ende der Geschichte. Jetzt gibt es eigentlich nichts mehr zu bekämpfen und zu holen. Wir haben das beste System und die ganze Welt wird es irgendwann adaptieren. Dann gibt es Weltfrieden.“ Hasters blickte damals euphorisch in die Zukunft.

Spätestens am 11. September zerbrach diese Illusion, analysiert sie. Der „Westen“ bemerkte, dass doch nicht jeder sein System will. Es folgten „Glitches“ wie der Irakkrieg, Finanzkrisen und Klimakrise. Plötzlich war die Zukunft nicht mehr rosig, sondern etwas, worum man sich Sorgen machen musste. „Die Geschichte, die wir uns erzählten, ging nicht mehr auf.“

AfD-Wählern über die „harte Tatsache des Wandels“

Mit dieser Herleitung schafft es Hasters, rechter Identitätspolitik den Wind aus den Segeln zu nehmen: „Der beliebteste Talking point der AfD ist der Verlust der Identität. Wenn du uns wählst, weißt du, was du bist. Sie haben ja sonst eigentlich keine politischen Lösungen.“

Mit Wählerinnen und Wähern der AfD würde Hasters daher nicht über Identität, sondern die „harte Tatsache des Wandels“ reden: Im Klimawandel trocknen besiedelte Regionen aus, sodass Menschen migrieren, in einem kapitalistischen Weltsystem gehen Arbeitsplätze verloren und obendrauf kommen neue Technologien wie Künstliche Intelligenz.

„Die Dinge werden nicht so bleiben wie sie sind. Es ist vorbei“, stellt Hasters mit Vehemenz, aber auch mit Einfühlungsvermögen fest: „Das kann Angst machen und es geht so schnell, wie nie zuvor. Es geht mit vielen negativen Gefühlen einher. Aber es gibt die Option nicht zu sagen: Es geht zu schnell, deshalb darf es nicht zu schnell gehen.‘“

Identität muss resilient und wandelbar sein

Die Kölner Autorin zeichnet ein Identitätskonzept vor, das ihrer eigenen Identität voller Widersprüche gleich kommt. Als Schwarze Deutsche und Westlerin ist sie – wie sie selbst schreibt – „Opfer und Täterin“, „Besiegte und Siegerin“, „Versklavte und Unterdrückerin“ zugleich. Unsere neue Identität muss resilient und wandelbar sein. Erst dann können wir das Ende der Geschichte hinter uns lassen und eine neue anfangen lassen.

Die Veranstalter der lit.pop würden einen Fehler machen, die nächste Ausgabe des Festivals im Festival in eine größere Location zu verlegen. Größere Räume mit mehr Platz würden die intime Atmosphäre aufs Spiel setzen, die die Gespräche bereichern. Auch, wenn es bereits kaum möglich war, Tickets zu ergattern. Die sollten bitte nicht noch teurer werden (45 Euro am Samstag). Das Programm war mit klugen Stimmen besetzt, die nicht nur junge Generationen ansprechen. Doch die Events sollten zeitgleich beginnen und enden, um Lärm und unnötige Störungen von rotierenden Zuschauern zu vermeiden.


Alice Hasters: „Identitätskrise“, Hanserblau, 240 Seiten, 20 Euro