Für zwei Abende spielt Madonna in Köln, am Mittwoch ließ sie das Publikum erstmal lange ausharren. Dann folgte eine herrliche Überforderung.
Shows in der Lanxess-ArenaWarum es an diesem Abend in Köln für Madonna um alles ging
Zunächst einmal heißt es warten. Halb neun, neun, halb zehn ziehen vorbei. Das LED-Band der Kölner Arena informiert zum Lokführerstreik. Allgemeines Aufstöhnen. Was die Deutsche Bahn kann, kann Madonna schon lange. Zehn Uhr. Es ist das erste Deutschland-Konzert ihre Celebration-Tour und die Diva hat einen Ruf zu verteidigen. Vor 40 Jahren hat sie ihr Debütalbum veröffentlicht. Die Popwelt verändert. Ach was, die Welt. Wenn andere sie seitdem überholt haben, in der Publikumsgunst, vielleicht auch in der Relevanz, spazieren sie über Pfade, die Madonna ausgetreten hat.
22.04 Uhr: Endlich! Bob the Drag Queen, Gewinnerin der achten Staffel von RuPaul’s Drag Race, bahnt sich scherzend ihren Weg durch die Menge. Sie trägt eine Variante des Marie-Antoinette-Outfits, in dem Madonna auf den 1990er-MTV-Awards „Vogue“ gesungen hat. Fast alle ikonischen Outfits aus Madonnas Karriere werden in den folgenden zwei Stunden vorgeführt, auf den Leinwänden, oder an den Körpern der Tänzerschar, vom brustfreien Gaultier-Hosenanzug bis zum Baseball-Kleid aus dem Film „Eine Klasse für sich“. Denn heute Nacht geht es um alles. Um das Lebenswerk.
Superstar in Köln: In dieser Nacht geht es für Madonna um alles, um das Lebenswerk
Lange Zeit hatte sie sich dem Status der Elder Stateswoman des Pop verweigert. Eine neue Show hieß auch ein neues Album, eine neue Idee davon, wer das aktuell sein könnte: Madonna. Jetzt blickt sie erstmals zurück und spielt ihre größten Hits. Zu denen aber auch die Kostüme gehören, und die Videos, die Skandale, das ganze Paket. „1978, New York“, raunt Dragqueen Bob und da ist sie endlich, die lang Erwartete. Kreist im schwarzen Kimono mit silbernem Heiligenschein auf einer Drehbühne, als lebendes Ausstellungsstück. Das gelockte Haar glänzt so hell wie zu ihren „Blond Ambition“-Zeiten. „Liebe ist alles, was wir brauchen“, beschwört sie, „alles, was ich dir gebe, kommt zu mir zurück.“ Ihre Stimme wird nur langsam sicherer, aber sie trägt. Immerhin: Es ist live.
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Die flache Scheibe hebt sich zur mehrstöckigen Hochzeits-Torte, eine Anspielung auf ihren ersten, legendären MTV-Auftritt 1984. Aber so weit sind wir noch nicht. Jetzt hat sich die Popkönigin aus ihrer Umhüllung geschält, singt „Everybody“ im Bustier, wir befinden uns in der New Yorker U-Bahn, und in der Logik dieser Das-war-ihr-Leben-Schau ist sie das noch: eine Jederfrau, die vom Ruhm träumt. Die weit in den Innenraum ragenden Laufstege bilden ein Großstadtlabyrinth. Das spukt Madonna im East Village aus, vor dem legendären Punk-Club CBGBs.
Madonna in Köln: „Ich bin seltsam, ihr seid seltsam. Deswegen sind wir jetzt hier zusammen“
Sie trinkt aus der Flasche – ist das etwa Kölsch? –, stimmt zusammen mit dem Publikum eine A-Capella-Version von „Causing a Commotion“ an, greift zur E-Gitarre und verkündet, dass sie schon den ganzen Tag über in verquerer Laune sei. Sie ist 65, sie muss ihrem Publikum nichts mehr vorspielen: „Ich bin seltsam, ihr seid seltsam. Deswegen sind wir jetzt hier zusammen.“ Spricht's und rotzt einen herrlich unauthentischen Rock-Remix von „Burning Up“ heraus. Das eigene Leben als Musiktheater.
Dann wechselt die Szenerie. Erst wird Madonna als breitbeinige Stripperin auf einem Stuhl von Männerporträts im Stil der Neuen Sachlichkeit begafft, dann steht sie mit einem Doppelgänger ihres damaligen Boyfriends Jean-Michel Basquiat in der Schlange vorm Club, kommt zuerst nicht am Türsteher vorbei. Singt schließlich „Holiday“ unter einer riesigen Discokugel. Fröhlich und unbedarft. Nur: Seit wann trägt man auf der Tanzfläche schwarze Umhänge? Das sieht ein wenig nach Hogwarts-Ballett aus, aber es ist der Tod in Gestalt des HI-Virus, der durch Manhattan zieht.
Im ergreifendsten Teil des Abends erinnert Madonna an Weggefährten, die an Aids gestorben sind
Nun folgt der ergreifendste Teil des Abends. Madonna schwebt in einer Art Ausstellungsvitrine hoch über den Köpfen der Fans. Während sie ihre Ballade „Live to Tell“ singt – deren tieferes Register ihrer gealterten Stimme sehr entgegenkommt – werden Porträts der von Aids dahingerafften Freunde und Weggefährten auf Leinwände projiziert. Martin Burgyone, der junge Künstler, der ihre erste Club-Tour organisierte, Keith Haring, Herb Ritts. Es werden immer mehr, immer kleinere Bilder, in immer schnellerer Abfolge. Eine Epidemie. Damals war Madonna einer der ersten Stars, der offen über die Krankheit und ihre Folgen sprach.
Aber sie hat noch eine lange Strecke ihrer Künstlerbiografie zu erzählen. Sie hat überlebt, zuletzt landete sie mit einer bakteriellen Infektion auf der Intensivstation, musste den Tourstart verschieben, jetzt singt sie trotzig Gloria Gaynors „I Will Survive“ zur Akustikgitarre und die Arena singt mit. Die Bilder überschlagen sich: Muskelgestählte Möchtegern-Erlöser, die zu „Like a Prayer“ in einem Plexiglas-Karussell rotieren. Madonna im Box-Ring. Auf rotem Brokat-Bett. Inmitten einer lustvoll sich windenden Masse aus Körpern. Zu „Hung Up“, ihrem späten Disco-Erfolg, knutscht sie mit einer oberkörperfreien Tänzerin und erntet den größten Applaus.
Die unberechenbare, Geschmacksgrenzen überschreitende Madonna geht im Museum ihrer selbst ein wenig verloren. Später macht sie kurz eine anzügliche Bemerkung, aber nur, um gleich anschließend über den Segen der Mutterschaft zu sprechen. Vier ihrer sechs Kinder hat sie mitgebracht, sie spielen auch die einzigen Live-Instrumente, die man in Köln auf der Bühne sieht. Ihre Tochter Mercy begleitet sie am Flügel, die elfjährigen Zwillinge Stella und Estere tanzen und DJ-en in einem improvisierten Vogue-Ball und bekommen Bestnoten von Mama Ciccone. Ihr Sohn David spielt Gitarre zu „Mother and Father“, einem Song über das Kindheitstrauma der Künstlerin, den frühen Tod ihrer eigenen Mutter. In einem wütenden Rap-Part erzählt sie, wie sie damals geweint und sich geschworen habe, sich nie mehr auf einen anderen Menschen zu verlassen.
Im Laufe des Abends werden die Bühnen-Verwandlungen zunehmend unberechenbarer, folgt auf eine orientalistische Kabbala-Kabale ein Hexensabbat zum James-Bond-Hit „Die Another Day“. Und während noch ein Laser ein Pentagramm zeichnet, mutieren die Hexen zu Cowboys und -girls und Madonna singt „Don’t Tell Me“ zur Originalchoreografie des Videos.
Es gibt schon einen guten Grund, warum sich in den 1990er Jahren etliche Akademiker Kurse in „Madonna Studies“ anboten. Sie ist ein reicher Text. Warum sie sich im Cybergirl-Anzug auf einem LED-Würfel windet, warum sie zu „La Isla Bonita“ Bilder toter Helden und Heldinnen – unter anderem Frida Kahlo, David Bowie, James Baldwin, Sinéad O’Connor – zeigt und denen dann „Don’t Cry for Me Argentina“ nachruft, darüber kann man lange rätseln. Und was sollte das ausführliche Zwischenspiel, das die junge Künstlerin im Schattenriss mit Michael Jackson tanzend zeigt? Bereits zuvor hatte sie Jacksons Bild in eine Galerie ihrer Ex-Lover eingereiht. Die Montage endete bedeutungsschwer am Grab ihrer Mutter.
Am Ende feiert sie sich ein letztes Mal auf der Tortenbühne, im Kreis ihrer illustren Tänzer. Verkündet stolz: „Bitch, I’m Madonna!“ Das Zitat des Abends aber kommt vom Band: „Das Kontroverseste, was ich jemals getan habe, war einfach dazubleiben.“