AboAbonnieren

Vor den Kölner KonzertenWie Madonna die Popwelt für immer verändert hat

Lesezeit 4 Minuten
Madonna als Susan, rauchend im Bett, während sie ein Buch liest.

Madonna 1985 im Film „Susan, verzweifelt gesucht“

Am 15. und 16. 11. gastiert Madonna mit ihrer Celebration-Tour in der Kölner Lanxess-Arena.

Im Januar 1984 tritt Madonna in der TV-Show „American Bandstand“ auf und performt, umringt von tanzenden Teenagern, ihre Single „Holiday“. „It's time to have a good time“, verkündet sie, die Exzess-Dekade in einer utopischen Zeile zusammenfassend. Anschließend tritt Dick Clark, seit 1956 Moderator der Sendung, auf die 25-Jährige mit dem Zahnlückenlächeln zu und fragt sie nach ihren Träumen. Madonna zögert keine Sekunde: „Die Welt zu beherrschen.“

Was sich als durchaus korrekte Beschreibung von dem, was folgen sollte, erwiesen hat. Am 15. und 16. November gastiert Madonna mit ihrer Celebration-Tour in der Kölner Lanxess-Arena. Es ist das erste Mal, dass die inzwischen 65-jährige Sängerin kein Album zu bewerben hat, stattdessen eine Werkschau aus fünf Jahrzehnten präsentiert. Man könnte Greatest-Hits-Show dazu sagen, doch das wird ihrer künstlerischen Bedeutung nicht gerecht.

Es gibt eine Welt vor und nach Madonna, eine Welt, in der das Wort „Ikone“ ein Heiligenbild in den Kirchen des byzantinischen Ritus bezeichnet, und eine, in der die Ikone zur Popikone säkularisiert wurde. Madonna Louise Ciccone — das hat der kanadische Semiotikprofessor Marcel Danesi recherchiert – ist tatsächlich die erste Person, die jemals als solche beschrieben wurde.

Wo wir gerade bei Akademikern sind: Das Forschungsgebiet der „Madonna Studies“ existiert bereits seit den späten 1980ern. Aber zurück zum Ikonischen: In den 1960ern hatte Andy Warhol schillernde Persönlichkeiten aus seinem Umfeld abgefilmt und zu Superstars erklärt, als könne man allein für die Behauptung, berühmt zu sein, berühmt werden.

Wie Madonna Andy Warhols Traum von selbstgemachten Superstars erfüllte

Ein smarter Akt der Wunscherfüllung, der gemeinhin als Big Bang der heutigen Celebrity-Kultur gilt. Doch Warhol'sche Superstars wie Baby Jane Holzer, Edie Sedgwick oder Viva blieben Szenegrößen, die außerhalb von Manhattan niemand erkannte. Ihnen fehlte der „blonde Ehrgeiz“, den Madonna, von Natur aus keine Blondine, sich selbst zuschrieb. Der Pop-Art-Meister selbst zeigte sich denn auch von Madonna begeistert, man kann es in seinen Tagebüchern nachlesen. Sie war gewissermaßen die Apotheose seines Konzepts.

Und Marilyn Monroe, die Warhol mit einer im Jahr ihres Ablebens begonnen Bilderserie zur Ikone erhoben hatte? Galt vor allem als von der Hollywood-Maschine zu Tode gehetztes Opfer, bis Madonna sie im Marilyn-Cosplay-Video zu „Material Girl“ als strahlendes Symbol selbstbestimmter Sexualität neu definierte. Madonna, schrieb Diedrich Diederichsen, Deutschlands Pop-Theoretiker Nummer-Eins, habe sich von Männern und ihren Magazinen mehr Mist anhören müssen als Marilyn, Marlene und Mae West zusammen.

Mit dem Coffeetable-Buch „Sex“ begann der große Madonna-Backlash

Das war 1990, noch bevor sie ihr umstrittenes Coffeetable-Buch „Sex“ herausgebracht hatte, nach dem der Madonna-Backlash seinen Höhepunkt erreichte. Eine Frau, die es wagt, die Blicke der Männer als ihren eigenen Machtanspruch zurückzuspiegeln? Das durfte nicht sein. Madonna unterwanderte nicht den Mainstream — es geht immer noch um Erfolg im Kapitalismus —, aber sie diktierte ihm ihre Bedingungen.

Ihre Wurzeln in der New Yorker No-Wave- und der schwulen Club-Szene der Spätsiebziger und Frühachtziger – einer Art Wiedergeburt der Warhol-Jahre — hat Madonna nie verleugnet, ganz im Gegenteil. In den Reagan-Jahren war sie eine der ersten Stars, die sich mit der schwulen Community solidarisierten und im Kampf gegen Aids engagierten.

Der ersten Auflage ihres 1989er-Albums „Like a Prayer“ ließ sie eine Aufklärungsbroschüre zu Safe-Sex-Praktiken beilegen, und wenn sie auf ihrer aktuellen Tour ihre Ballade „Live to Tell“ singt, zeigen Bildschirme Porträts von Freunden und Zeitgenossen aus den frühen Jahren, die an den Folgen von AIDS gestorben sind, von Keith Haring bis Arthur Russel.

Als Sonic Youth 1988 ein Album unter dem Namen Ciccone Youth veröffentlichten, mit einem Madonna-Porträtfoto auf dem Cover, hielten das viele für eine ironische Geste: authentischer Indie- und Avantgarde-Rock gegen oberflächlichen Massenpop. Jahre später korrigierte Gitarrist Thurston Moore diese Lesart in einem „Guardian“-Interview, zählt einige der No-Wave-Bands auf, denen Madonna vor ihrer Solokarriere angehörte und erklärte: „Wir wollten die Barrieren einreißen, die zwischen dem Underground und den Leuten, die in den Mainstream aufgestiegen waren, errichtet worden waren. Wir haben uns Madonnas Lebensfreude zu eigen gemacht.“