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„Intellektuelle Frauen sind scheiße”Maren Kroymann über männliche Vorurteile

Lesezeit 9 Minuten
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Maren Kroymann

Frau Kroymann, Sie spielen in „Mutter kündigt“ eine Mutter, die ihren Kindern kündigt, die ihre Mutterrolle ablegen will. Viele Rollenbilder haben sich in den vergangenen Jahrzehnten sehr gewandelt, aber das Mutterbild hat sich nicht sehr verändert, oder?Maren Kroymann: Das stimmt. Ich empfinde es als großes Tabu, dass eine Mutter ihren Kindern kündigt. Das hat mich auch sofort überzeugt, diese Rolle anzunehmen. Ich fand es einfach großartig als Ausgangslage, weil es das noch nie gegeben hat. Es gibt die Kinder, die ihre Eltern peinlich finden und bloß weg von ihnen wollen. Das ist bekannt. Aber dass eine Mutter mal sagt: „Ich liebe euch, aber ich mag euch nicht“, das spricht ganz bestimmt vielen Müttern aus der Seele, die das aber nicht zugeben würden, beziehungsweise sich nicht trauen, den Schritt zu machen. Dass es ausgesprochen wird, finde ich großartig. Carla, die Mutter im Film, hat ihre Rolle mehr als 30 Jahre pflichtgerecht ausgefüllt, aber jetzt sagt sie: Ich bin mal dran. Die Kinder sind groß, die sind nicht mehr bedürftig. Aber es schockiert dennoch, wenn eine Mutter das tut.

Die Kinder haben sich für Carlas Leben nie interessiert, werfen ihr nun aber Egoismus vor. Ist das nicht ungerecht?

Die Rollenverteilung im klassischen Sinne ist ja so, dass Eltern für ihre Kinder immer und zu jeder Zeit da sind und viele Kinder erst, wenn sie selber erwachsen sind, realisieren, dass auch die Eltern Bedürfnisse haben. Hier in dem Film ist es natürlich sehr überspitzt, dennoch realistisch gezeichnet. Die Kinder haben Carlas Bedürfnisse einfach übersehen. Ihr eigener Egoismus steht an erster Stelle, sie nehmen alles in Anspruch von ihrer Mutter, aber die Minimalforderung in dieser Beziehung: Dank und Würdigung und zu sehen, wer ihre Mutter ist, wird schlicht nicht gesehen.

Sie haben mal in einem Interview gesagt, dass Sie nie heiraten wollten. Wann war Ihnen denn klar, dass dieses klassische Modell „Heirat, Kinder, Haus“, wie es Carla im Film lebt, nicht Ihr Weg ist?

Ich habe früh gesagt, dass ich nicht heirate. Es war mir klar, dass ich dieses Rollenmodell nicht wollte. Das hat mir meine Mutter eingepflanzt, die 1937 mitten in der Nazizeit promoviert hat. Sie hat meine Begabungen gefördert, gesehen, dass ich musikalisch bin, dass ich tanzen kann. Auch wenn sie unsicher war, ob das mein Beruf werden sollte. Es ist auch interessant, dass sie mich zu einer emanzipierten Frau erzogen hat, ihre Söhne aber doch eher zu traditionellen Männern. Sie merkte nicht, dass es eine politische Bewegung sein muss, die beide Geschlechter einschließt. Dass es nicht im Individuellen bleiben kann.

War Ihnen deshalb schon immer klar, dass Sie Feministin sein müssen?

Ich habe mich immer als Feministin bezeichnet. Ich fand die Frauen doof, die neben mir in Talkshows saßen und sagten: Ich bin ja keine Feministin, aber…“ Jeglicher Fortschritt für Frauen ist durch Feministinnen zustande gekommen. Dass Gesetze geändert wurden, dass Frauen keine Erlaubnis des Ehemanns mehr brauchten, um zu arbeiten, dass Vergewaltigung in der Ehe ein Straftatbestand ist. Frauen haben sich viel zu lange ins Bockshorn jagen lassen von konservativen Männern - und auch anderen Frauen -, für die „Feministin“ ein Zerrbild war.

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Sie wollten sich diesen Schuh nicht anziehen?

Ich entscheide selbst, wie ich als Feministin bin. Ich lasse mich doch nicht davon abschrecken, dass gewisse Männer sagen, Feministinnen sind blöde, unerotische Kühe. Ich weiß, dass ich nicht unerotisch bin. Wenn ich mich von anderen Feministinnen abgrenze, tue ich denen einen Gefallen und erkenne sie als die meinungsgebende Macht an. Deshalb habe ich das immer durchgefochten. Aber ich wurde schon schräg angeguckt, und bestimmte führende Menschen in den Sendern haben mich nicht gemocht. Feministin, lesbisch, etwas intellektuell, das war mindestens eins zu viel.

Was davon war denn am schlimmsten?

Am schlimmsten war es, intellektuell zu sein. Lesbe geht, wenn man es nicht sagt. Dann kann man denen über den Kopf streicheln und sagen: Mädel, du bist ja ganz in Ordnung, wir verraten es keinem. Feministin geht, weil man sich inzwischen dran gewöhnt hat, dass auch die Töchter emanzipiert sind. Aber intellektuelle Frauen sind scheiße, das Feld wollen die Männer allein haben. Und Intellektuelle heißt eben für viele Männer, diese Frauen sind nicht sexy, nicht erotisch. Ich finde intellektuelle Frauen hoch erotisch, ich finde Geistreichtum wunderbar, das ist eine sehr anziehende Eigenschaft. Ich schaue bei Frauen auf die ganze Persönlichkeit. Aber die Männer meiner Generation konnten das nicht akzeptieren. Sie hatten das Frauenbild nahtlos übernommen aus der Nazizeit. Ihre Frauen sollten zuerst sexuell anziehend sein und später dann mütterlich, sich kümmern. Dass Frauen auch schlau sein dürfen, finden Männer oft erst, wenn es um ihre Tochter geht – da sind ja die eigenen Gene drin.

Kompetenz wurde ihnen abgesprochen?

Ja, sei es in der Politik, beim Fußball oder der Unterhaltung. Warum ist Anke Engelke so fertig gemacht worden, als sie die Sendung von Harald Schmidt übernahm? Fußball ist heute immer noch ein Tabu, und in der Politik gibt es auch immer einen Mann, der es besser weiß. Warum sind Quizmaster fast immer Männer? Wir sind eine besserwisserische Nation. Der Chefbesserwisser muss in Deutschland ein Mann sein. Dabei kommt es doch nicht auf das Geschlecht an, sondern auch das Individuum.

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Carla hat ihren Kindern als Mutter gekündigt. Die sind davon völlig überrascht, empört und entsetzt. Von links: Rita (Ulrike C. Tscharre), Doro (Jördis Triebel), Carla (Maren Kroymann) und Phillipp Michelsen (Stefan Konarske).

Ein feministisches Thema, das gerade für hitzige Diskussionen sorgt, ist gendergerechte Sprache. Wie stehen Sie dazu?

Sprache verändert sich laufend. Und in anderen Bereichen machen wir es mit, weil es sinnvoll ist. Es ist sinnvoll von „Herausforderungen“ zu sprechen und nicht von „Schwierigkeiten“, wie das früher der Fall war. Es ist sinnvoll, dass wir zu unverheirateten Frauen nicht mehr Fräulein sagen, sondern Frau. Und so ist es auch sinnvoll, dass wir die Frauen in den grammatischen Formen auch vorkommen lassen. Es ist nicht der einzige Punkt, den wir erkämpfen wollen, es ist einer von vielen. Er wird von den Konservativen hochgespielt mit absurden Beispielen. Aber Lehrerinnen zu sagen ist nun kein Wortungetüm. Und auch Lehrer*innen zu sagen ist nicht so schwierig. Man kann Wörter aussprechen wie evidenzbasiert und Impfpriorisierung, aber Schauspieler*innen zu sagen, soll schwierig sein? Ich bitte Sie.

Wann war für Sie klar, dass Sie auf die Bühne wollen?

Ich konnte immer gut Lehrer*innen nachmachen, konnte gut parodieren. Ich habe gedacht, was Beatrice Richter bei Rudi Carrell gemacht hat, das würde ich auch gerne machen. Aber ich komme nicht aus einer Künstlerfamilie, hatte keine Kontakte zum Fernsehen oder Theater, das schien mir unerreichbar. Ich wusste es also früh, aber dass es ein Beruf für mich werden könnte, war mir lange nicht klar. Als ich angefangen habe Theater zu spielen in Tübingen, hat der Intendant, eine wunderbare Ausnahme als Individuum Mann, dort mein komisches Talent entdeckt. Da habe ich gemerkt, dass ich das kann und dass ich daraus etwas machen kann.

Ihre Karriere hat in den vergangenen Jahren noch einmal deutlich an Fahrt aufgenommen, Sie feiern mit Ihrer Sendung „Kroymann“ große Erfolge. Hat das Älterwerden auch Vorteile, können Sie heute anders auf die Dinge schauen?

Natürlich, ich fühle mich heute freier als früher, weil ich von den Leuten nicht mehr betrachtet werde als die Frau, die den Schönheitsidealen entspricht. Ich bin jenseits von Gut und Böse, nach dem Klimakterium. Ich bin keine Bedrohung mehr, ich bin für viele gar nicht mehr interessant. Das gibt mir eine irrsinnige Freiheit. Dadurch kann ich komischerweise auch erotischer sein als vorher, weil viel mehr von mir selbst bestimmt wird, wie ich aussehe und was meine Erotik ist. Das macht schön. Und natürlich kommt erleichternd dazu, dass ich jetzt so eine Würdigung erfahre durch die „Kroymann“-Sendung. Das Selbstbild und das Bild, das andere von mir haben, kommen dichter zusammen. Das ist ein wahnsinniges Glücksgefühl.

Älterwerden ist also gar nicht so schlimm?

Älterwerden ist super. Es wird einem so viel wurschter. Das ist mit die beste Zeit meines Lebens. Ich mache mein Ding. Das ist eine Freiheit, die ich erst jetzt habe. Und natürlich hilft mir da die Frauenbewegung. Die MeToo-Debatte, die Diskussion über Quote – alles Themen, wo ich mich auch stark einsetze. Das hat Fortschritte gebracht. Die Leute merken, es ist etwas dran an Diversity. Sie wollen nicht nur weiße Hetero-Frauen und -Männer sehen, sondern auch andere Menschen. Da erweist es sich als günstig, dass ich eben alt bin und eine Lesbe. Das ist doch super, da können die Programmmachenden sagen: Seht her, was wollt ihr denn? Da ist doch eine!

Sie haben bei der Initiative #Actout des SZ-Magazins mitgemacht. Warum war ein solches kollektives Comingout wichtig für Ihre Branche?

Weil es nicht so ist, dass schon alles erreicht ist. Bestimmte Leute sind aufgeschlossen, aber nur weil Berlin einen schwulen Bürgermeister hatte, heißt das nicht, dass ein Schauspieler, der sagt „Ich bin schwul“, weiterhin heterosexuelle Rollen spielen darf. Es gibt verschiedene Stadien von Aufgeschlossenheit in unserer Gesellschaft. Und in unserer Branche sagen noch sehr viele Produzent*innen und Regisseur*innen: Die ist lesbisch, die kann keine heterosexuelle Frau spielen.

Das haben Sie erlebt?

Ich habe 20 Jahre lang quasi kein Hetero-Love-Interest gespielt, was ein reines Vorurteil war, weil ich es gut konnte und jetzt ja auch wieder kann. Natürlich gibt es diese Vorurteile noch. Es gibt noch immer Eltern, die einen Nervenzusammenbruch haben, wenn der Sohn schwul ist. Die Selbstmordrate bei homosexuellen Jugendlichen ist viermal so hoch wie bei anderen, weil sie offensichtlich spüren, es ist nicht akzeptiert. 40 Prozent der Homosexuellen in unserer Branche, vor und hinter der Kamera zusammengerechnet, sind nicht out. Dazu gibt es eine Studie. Es kann keine Rede davon sein, dass alles erreicht ist. Es gibt mehr, die offen sind, die sich zeigen, auch im Showbusiness. Aber das heißt nicht, dass die ganze Gesellschaft aufgeklärt ist.

Das ZDF sendet die Komödie „Mutter kündigt” am Donnerstag, 22. Juli 2021, um 21.15 Uhr.