Frau Böttinger, Sie werden am 4. Juli 65 Jahre alt. Nun wissen wir ja spätestens seit Udo Jürgens, dass das Leben mit 66 Jahren erst richtig anfängt. Aber mal ernsthaft: Wie schwer fällt es Ihnen, langsam alt zu werden?
Bettina Böttinger: Mit 50 und Anfang 60 habe ich mir noch keine Gedanken darüber gemacht. Aber dass ich 65 Jahre alt werde, erfüllt mich mit einer gewissen Unruhe. Und obwohl ich finde, dass ich mich ganz gut gehalten habe, muss ich zur Kenntnis nehmen, dass ich unzufriedener werde, wenn ich merke, dass etwas eigentlich Überflüssiges zu viel Zeit einnimmt. Ich arbeite sehr gerne und bin froh, dass ich zu den Frauen im Fernsehen gehöre, die weiter moderieren dürfen. Hoffentlich bleibt das noch eine Weile so.
Früher gab es im Fernsehen eigentlich keine älteren Frauen.
Stimmt. Heute ist es nicht mehr so außergewöhnlich, dass auch Frauen über 60 für attraktiv gehalten werden für die ZuschauerInnen. Das muss früher ja so ein Macho-Denken von den Programmverantwortlichen gewesen sein, die ihre eigenen Vorstellungen durchsetzen wollten. Ich bekomme sehr viel Post von Frauen, die sagen, dass sie froh sind, dass es solche Frauen wie mich im Fernsehen gibt – und das sind längst nicht nur queere Frauen.
Nun werden manche im Alter konservativer oder auch geistig unbeweglicher. Haben Sie schon etwas bei sich bemerkt?
Ich bin etwas besserwisserisch und hoffe, dass sich diese Neigung nicht verstärken wird. Allerdings habe ich genug Leute um mich herum, die mich dann veräppeln. Ich bin eine engagierte Demokratin und Feministin und überzeugt davon, dass ich für das queere Leben weiter und noch lauter einstehen möchte. Ich hoffe, man bringt das jetzt nicht mit Altersstarrsinn in Verbindung.
Als Fernseh-Moderatorin stellen Sie vornehmlich Fragen an andere, in Ihrem Podcast „Wohnung 17“ sprechen Sie mit queeren Menschen und geben auch viele intime Erfahrungen preis. Wie ungewohnt ist das für Sie?
Ein bisschen schon. Aber der Grundgedanke war, dass ich nicht in der Rolle der Moderatorin bin, sondern dass ich das Gespräch und den Austausch über Lebenserfahrungen und Lebenswelten auf Augenhöhe suche. Ich musste mir da auch manchmal einen kleinen Ruck geben, weil ich gar nicht so gerne über mich erzähle. Aber wenn mein Gegenüber merkt, ich selbst bin auch offen, lässt er oder sie auch oft eine andere Offenheit zu.
Doktorspiele mit 12 Jahren, der erste Sex mit 17 Jahren. Man weiß nun auch in dieser Hinsicht eine Menge über Sie. Sollte man ganz generell viel häufiger über Sex sprechen?
Ja, Sex ist ein gutes Smalltalk-Thema, man muss nur gewisse Hemmungen abgelegen. Sex ist einfach eine wunderbare Angelegenheit, wenn er sich gut anfühlt und auf gegenseitiger Zuneigung und Lust beruht. Ich habe eben gezuckt, als sie das zitiert haben, weil ich manchmal gar nicht mehr weiß, was ich erzählt habe. Denn das Gespräch soll ja eine gewisse Eigendynamik in dem Podcast haben. Das sind keine Bekenntnisse, aber offene Gespräche, in denen man auch schon mal ein Stückchen drauflegt und mehr erzählt, als man es üblicherweise gewohnt ist.
Viele, die in ihrer Kindheit oder Jugend fühlen, dass sie anders sind, leiden sehr darunter, sich nicht verstanden zu fühlen. Wie war das bei Ihnen?
Ich habe immer offen gelebt, habe mich nie versteckt. Aber als ich zum ersten Mal geoutet wurde, weil ein Brief entdeckt wurde, da war das schon sehr krass. Es hat zu ganz erheblichen Verwerfungen geführt, in der Schule und auch zu Hause. Meine Mutter war eine ganz wunderbare und tolerante Person, aber damit schlicht überfordert. Ich bin dann auch mit 17 ausgezogen. Das Jahr bis zum Abitur war sehr schwierig, meine Mitschülerinnen waren zum Teil nicht sehr nett. Und für viele ist es auch heute noch sehr schwierig, sich zu outen, es der Familie und den Freunden zu sagen und dann auch zu der eigenen Identität zu stehen oder sie entwickeln.
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Nicht nur in der Schule, auch später wurden Sie immer wieder angegriffen. Harald Schmidt zeigte in seiner Late Night etwa ein Rätsel mit vier Bildern - Eierlikör, Titelbild der Emma und Ihr Porträt – und der Frage „Was haben die gemeinsam? Das fasst kein Mann gerne an.“ Wie geht man mit so etwas um?
Er hatte mich auf unglaubliche Art und Weise beleidigt, das war ein schwerer, homophober Akt. Die Zeiten waren damals aber noch nicht so ruppig und von Häme geprägt, es gab eine große Resonanz und Betroffenheit auch in der Presselandschaft. Ich war wütend. Ich hatte für seine neue Sendung schon eine Einladung. Sat. 1 rief dann an und sagte, ich wolle doch sicher verzichten. Aber ich bin hingegangen. Alle waren wahnsinnig nervös. Ich habe ihm gesagt, ich hätte ihm ja Humor zugetraut, aber das sei nicht meine Art von Humor und ich würde ihn jetzt das machen lassen, was er am liebsten tut: Über nicht Anwesende herziehen. Dann bin ich aufgestanden und gegangen.
Wird Queersein in unserer Gesellschaft immer noch über Gebühr exotisiert?
Es gibt ja von außen oft die Haltung an die queere Community: Jetzt habt ihr schon so viel erreicht, jetzt muss doch auch mal gut sein. Da muss man fragen, sind wir tatsächlich bereit, uns klein zu machen? Ich bin Feministin und mit dem Rollenverhalten der Gesellschaft nicht einverstanden. Ich bin nicht damit einverstanden, dass sie von einer großen Frauenverachtung beherrscht wird. Da muss man nur in die Politik schauen. Mit Frauen wird anders umgegangen, sie werden sehr stark sexualisiert, diffamiert. Ich möchte nicht in der Haut von Annalena Baerbock stecken, was sie nun alles einstecken muss, weil sie nach der Macht strebt. Ich möchte nicht so tun, als sei ich eine mit allem in dieser Gesellschaft einverstandene Person, nur weil ich zufälligerweise mit einer Frau verheiratet bin. Wir alle in der queeren Community sind sehr, sehr unterschiedlich und es gibt sehr viele Meinungen darüber, wie sich jeder und jede einnordet in die Gesellschaft.
Sie sagten gerade zu Recht, die Argumentation heute laute oft: „Ihr habt doch schon alles. Ihr könnt heiraten, Kinder bekommen und adoptieren. Was wollt ihr denn noch?“ Was entgegnen Sie da?
Einerseits ist Queersein im Mainstream angekommen, andererseits gibt es auch in Deutschland noch eine stark ausgeprägte Homophobie, auch wenn sich viele nicht mehr trauen, das so stark zum Ausdruck zu bringen. Und wenn ich in Berlin bin, bin ich nur eine Autostunde entfernt von einem Land, in dem es sehr schwer ist, ein queeres Leben zu führen. Die Lage ist dramatisch in Polen, genauso in Ungarn – und das mitten in Europa. Mein Podcast ist darum nicht nur ein Versuch, Toleranz zu wecken, er ist auch eine Forderung nach Akzeptanz.
Haben Sie weitere Forderungen?
Ja. Ich finde, dass die Prozedur wirklich unwürdig ist, der sich Menschen, die ihr Geschlecht ändern wollen, unterziehen müssen. Es ist auch noch nicht so lange her, da waren geschlechtsangleichende Operationen zwingend vorgeschrieben für eine Personenstandsänderung. Ich finde das wirklich dunkel. Und ich hoffe übrigens sehr, dass Tessa Ganserer nach der Bundestagswahl in den Bundestag zieht. Es ist wirklich an der Zeit, dass eine transidente Person im Bundestag sitzt.
Juden haben in Deutschland wieder Angst um ihre Sicherheit, Rechtsextremismus ist auf dem Vormarsch. Wie groß ist Ihre Sorge, dass Errungenschaften bezüglich queerer Lebensentwürfe wieder zurückgenommen werden könnten?
Die Sorge ist da und berechtigt. Was den Antisemitismus angeht, bin ich wirklich entsetzt und traurig, dass viele Jüdinnen und Juden nicht mehr wissen, ob sie in Deutschland noch erwünscht sind. Der Anschlag in Halle war ein Schock, von dem man sich eigentlich nicht erholen kann. Nichts ist wie vorher. Die Synagoge in Köln wird beschützt, es steht Tag und Nacht ein Polizeiwagen davor. Ich möchte am liebsten laut rufen: Bitte bleibt hier, wir wollen, dass ihr mit uns lebt. Und wenn ich mir angucke, welches Menschen- und Frauenbild von der AfD vertreten wird, wird mir angst und bange. Es kommt nicht in Frage, dass die AfD bestimmt, wer in diesem Land leben darf und wie.
Elke Heidenreich hat jüngst kundgetan, dass sie vehement gegen das Gendern ist. Wie stehen Sie dazu?
Frau Heidenreich regt sich gerne auf. Ich finde es erstaunlich, mit welch massiver Wut sehr viele Menschen auf das Gendern reagieren. Ich fände die Wut deutlich angemessener, wenn es um antisemitische Ausschreitungen ginge. Da würde ich mir wünschen, dass sich Menschen schützend vor Synagogen stellen. Natürlich kann man über eine Sprache, die immer im Fluss ist, gerne diskutieren. Aber diese Aggressivität finde ich interessant. Das Gender-Sternchen steht ja auch für das dritte Geschlecht. Wenn ich sage „Sehr verehrte Damen und Herren“, schließe ich einen Teil der queeren Community aus, die sich nicht in die männliche oder weibliche Form pressen lassen will. Ich finde, dass das, was gesetzlich akzeptiert ist, auch in der Sprache seinen Ausdruck finden muss. Das ist für mich ein Zeichen der Würde und des Respekts. Ich selbst muss mich übrigens auch noch daran gewöhnen, manchmal vergesse ich das Sternchen beim Sprechen auch.
Sie sind aus der katholischen Kirche ausgetreten. Wie blicken Sie von außen auf die Geschehnisse im Kölner Erzbistum?
Ehrlich gesagt mit schierem Entsetzen. Ich finde es nicht mehr zeitgemäß, dass es neben dem staatlichen ein eigenes Kirchenrecht gibt, in dem der Missbrauch eines Kindes kein Straftatbestand, sondern bloß ein Verstoß gegen das Zölibat ist. Ich glaube, dass dieser geschlossene Männerbund Kirche geradezu eine Einladung ausspricht an Menschen, die mit ihrer Sexualität nicht klarkommen. Von mir aus sollen Priester gerne Sex miteinander haben, aber wenn es um Kinder und Schutzbefohlene geht, ist das ein Verbrechen. Dass die Kirche nicht willens ist, sich dem zu stellen, ist furchtbar. Kardinal Woelki muss einsehen, dass er ein Zeichen setzen muss. Und endlich gehen.
In Köln gibt es die Kirche, den Karneval und den FC. Sind Sie FC-Fan?
Ich bin FC-Mitglied.
Als Düsseldorferin?
Ja nun, man muss sich schon entscheiden. Aber ich gebe zu, dass ich, wenn der FC abgestiegen wäre, schon mit besonderem Herzklopfen die Duelle Köln/Düsseldorf gesehen hätte. Ich bin nicht mehr so fußballversessen, wie ich mal war, weil der Sport so wahnsinnig durchkommerzialisiert worden ist. Wenn ich im Stadion bin, geht das Herz schneller, aber das ganze System Fußball geht mir auf die Nerven. Und jetzt während der EM zeigt sich, wie der Männerbund UEFA ohne Rücksicht auf Verluste die Stadien vollstopfen lässt.
Wie wichtig ist Ihnen das, in einer Stadt wie Köln mit einer großen queeren Community zu leben?
Ich finde es toll, in Köln zu leben. Ich könnte aber auch gut in Düsseldorf leben, auch wenn jetzt einige schnaufen werden. Ich fühle mich einfach wohl im Rheinland. Ich möchte aber nicht so gerne in einer Kleinstadt leben.
Auf der Kölner Schaafenstraße gibt es viele Bars für Schwule, aber keine für Frauen. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Nicht wirklich. Ich fand es früher toll, wenn man in Köln ins Vampire ging zum Beispiel. Das war dann ein Raum, wo eine Normalität herrschte, die es draußen nicht gab. Es war ein bisschen verrucht und man wusste: Wir sind unter uns. Heute ist alles etwas freier geworden, darum wollen die meisten queeren Frauen gar keine geschlossenen Räume mehr. Als ich mit 17 meine erste Beziehung hatte und verliebt war, dachte ich, ich bin eine der wenigen queeren Frauen auf der Welt. Es gab ja auch keine Vorbilder. Wenn ich heute auf eine Party gehe und 40 bis 50 total gut aussehende junge queere Frauenpaare sehe, denke ich: Hui, Knaller.
Heute ist es auch selbstverständlich, dass ein lesbisches Paar zusammen Kinder großzieht. Bereuen Sie, dass das zu Ihrer Zeit noch nicht selbstverständlich war?
Wenn ich heute jung wäre, würde ich sicher anders darüber nachdenken. Ich mag Kinder sehr und kann gut verstehen, dass sich viele Männer- und Frauenpaare dazu entschließen und sicher wunderbare Eltern sind. Zu meiner Zeit war das tatsächlich kein Thema.
Sie haben 2016 Ihre langjährige Partnerin geheiratet. Was hat Ihnen dieser Schritt bedeutet?
Ich feiere vor allem gerne und wollte ein fettes Fest feiern. Wir kennen uns schon lange und sind erst seit acht Jahren ein Paar. Wir hatten uns zuvor lange gegenseitig zugeguckt, was wir mit unseren jeweiligen Beziehungen anstellen, um irgendwann zu sagen: Eigentlich sind wir doch die, die wirklich zusammenpassen. Dann war die Eheschließung ein logischer Schritt. Wir sind jetzt in einem Alter, wo wir auch die Verantwortung füreinander übernehmen werden.
Zur Person
Bettina Böttinger, geboren am 4. Juli 1956 in Düsseldorf, studierte Geschichte und Germanistik in Bonn. Ihre journalistische Karriere begann bei der „Bonner Rundschau“, danach wechselte sie zum WDR. Sie ist mit dem „Kölner Treff“ und dem Diskussionsformat „Ihre Meinung“ eines der bekanntesten Gesichter des Kölner Senders.
An diesem Sonntag lädt Böttinger in der Talk-Sendung „Queer in 2021“ (WDR, 4.7., 22.30 Uhr ) zum Gespräch über die Frage: „Was hat sich in den letzten 50 Jahren in unserer Community getan?“