„Flucht vor der Realität“Gauck kanzelt Precht und Intellektuelle bei „Lanz“ ab
Alt-Bundespräsident Joachim Gauck hat in der ZDF-Talkshow „Markus Lanz“ irritiert auf die Aussagen des Philosophen Richard David Precht, die dieser am Vortag ebenfalls bei Lanz tätigte, reagiert. Im Einzelgespräch mit Moderator Markus Lanz sprach Gauck über den Ukraine-Krieg, Waffenlieferungen und seine Eindrücke von Wladimir Putin.
Er verstehe den offenen Brief vieler Intellektueller um Juli Zeh und Richard David Precht besonders an zwei Punkten nicht, sagte Joachim Gauck am Mittwoch bei „Markus Lanz“. „Ich lese diese offenen Briefe kritisch. Ich bin dezidiert anderer Meinung als Precht. Das wundert mich auch wenig.“
„Markus Lanz“: Seitenhieb von Joachim Gauck gegen Richard David Precht
Der Alt-Bundespräsident konnte sich einen kleinen Seitenhieb nicht verkneifen: „Dass ich mit Precht nicht einer Meinung bin, wundert mich wenig. Es gibt unter den Autoren aber auch Menschen, mit deren Meinungen ich mich intensiver auseinandersetze“, sagte Gauck weiter.
Der Alt-Bundespräsident korrigierte auch Moderator Lanz, der Prechts These in den Raum geworfen hatte, dass die veröffentlichte Meinung zu Waffenlieferungen in der Ukraine nicht das öffentliche Bild widerspiegele: „Es gibt statistisch gesehen immer noch eine Mehrheit der Deutschen, die Waffenlieferungen befürwortet.“
Im Moment seien die Deutschen erstaunlicherweise nicht so sehr von Angst geplagt. „Ähnlich wie in der Finanzkrise gibt es klare Ansagen der Personen in Regierungsverantwortung. Und erstaunlicherweise gibt es in der Bevölkerung einen Wandel, was die Verteidigungsangaben angeht. Das mag Herrn Precht gefallen oder nicht gefallen, aber wir wollen nicht so tun, als wären wir auf der Flucht vor der Realität.“
Joachim Gauck hat wegen offener Briefe „unangenehme Gefühle“
Wegen der zwei offenen Briefe habe er „unangenehme Gefühle“. „Erstens, schon bei dem ersten offenen Brief dieser Gruppe war es so, dass wir uns anmaßen, den Ukrainern zu sagen, was sie als Betroffene und Opfer richtigerweise tun sollten. Und das wäre: Jetzt stillzuhalten und sich nicht in der von ihnen gewollten Weise zu verteidigen.“
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Zweitens fehle ihm eine Zielperspektive. „Wie kann man auf Verhandlungen setzen und gleichzeitig einen Verhandlungspartner dadurch schwächen, dass ich ihm nicht weiter aufhelfe? Es muss aus einer Position von Respekt verhandelt werden. [...] Der Verzicht auf Waffenlieferungen ist eine Begünstigung des Aggressors.“ Deshalb könne er diese Menschen nicht verstehen.
Sollte Deutschland angegriffen werden, würde Gauck auch klar handeln: „Ich würde mir wünschen, es nicht tun zu müssen, aber ich würde in solch einem Fall schießen. Der pazifistische Ansatz, so ehrenvoll er im persönlichen Leben ist, führt generell in der gefallenen Welt, in der Realität, zur Dominanz des Bösen“, sagte Gauck.
„Markus Lanz“: Joachim Gauck über „besessenen“ Wladimir Putin
Man dürfe nicht vor den Gewissenlosen kapitulieren. Die Gewissenlosen würden nicht hinterfragen, ob sie zur Waffe greifen, die Gewissenhaften dagegen schon. „Wenn wir uns die Hände nicht schmutzig machen wollen, dann verraten wir das Leben, was wir gerade leben. Was uns Freiheit und Wohlstand gebracht hat.“
Auch zu Wladimir Putin äußerte sich Joachim Gauck. Er habe Wladimir Putin nie richtig getraut, am Ende wäre er aber auch von Putins Angriff auf die Ukraine überrascht gewesen. „Die Amerikaner haben ja auch gedacht: 'So dumm wird er nicht sein. 'Aber am Ende ist er besessen von einer Ideologie, und dann schwindet die kritische Selbstwahrnehmung“, sagte Gauck. (shh)