Martin Kippenberger zog der Kunst die Hosen runter. Eine Würdigung zum 70. Geburtstag des großen Kölner Malers.
Martin Kippenberger zum 70. GeburtstagKunst ist reif für den Müllcontainer
Man kann sich Martin Kippenberger natürlich vom Leib zu halten versuchen, indem man ihn in die kunsthistorische Schublade steckt. Aus dem legendären Heavy Burschi wird dann die postmoderne Ikone, die nach Belieben die Stile wechselt und nichts mehr ernst nimmt, weil alles eitel und schon mal dagewesen ist. Aber das würde nicht funktionieren: Wer zu Lebzeiten eine viel bewunderte Kunst daraus machte, ohne Hosen dazustehen, lässt sich in kein Begriffsgefängnis sperren.
Aus seiner Geburtsstadt Dortmund brachte Martin Kippenberger (1953-1997) die richtige Portion Hemdsärmeligkeit mit, um im Gerangel von Kunstwelt und Subkultur der 80er Jahre immer vorneweg zu sein. Nach der Ausbildung in Hamburg und einem mit blauem Auge abgeschlossenen Aufenthalt in Berlin kam Kippenberger auf dem Höhepunkt des Kunstbooms ins unheilige Köln. 1982 bezog er sein erstes Atelier am Friesenplatz und eroberte die Stadt als Anführer der nach dem Galeristen Max Hetzler benannten Hetzler Boys im Sturm - mit den Brüdern Albert und Markus Oehlen sowie Werner Büttner als Gefolge.
Kippenberger bot eine unmögliche Mischung aus Lautstärke und Feingefühl
Kippenbergers Markenzeichen waren eine spitze Zunge, vor der viele Leute in Deckung gingen, eine im Grunde unmögliche Mischung aus Lautstärke und Feingefühl, sowie das mit viel Alkohol angefachte Feuer des geborenen Künstlers. Da machte es auch nichts, dass Kippenbergers Botschaft anfangs eher simpel war (und für den US-Kritiker Peter Schjeldahl immer blieb): Ich bin Martin Kippenberger und ihr nicht.
Mit diesem Mantra musste Kippenberger einfach zur Galionsfigur der Kölner Blütezeit werden. Der vom Erfolg verwöhnte Kunsthandel zog von überall her Künstler an und ließ die Restaurants und Kneipen im Galerieviertel erblühen. Dass sich Kippenberger zu Tode soff, während Köln nach der Wiedervereinigung rasch an Bedeutung verlor, rundet seinen Symbolwert für die Kölner Kunstwelt auf tragische Weise ab.
Kippenbergers Köln war eigentlich ein Dorf. Es gab die Buchhandlung Walther König mit ihrem Kreisverkehr um den Tisch mit Neuerscheinungen, die Galerien von Hetzler und Gisela Capitain, die heute den Nachlass des Künstlers betreut, und die Vergnügungsmeile, die für ihn im Café Central begann. Hier hielten die Hetzler Boys Hof und bestimmten das Kneipe-wechsle-dich-Spiel der Szene.
Bei Kippenbergers Feierpensum fragten sich viele, wann er eigentlich Zeit zum Malen fand. Doch bei ihm wurde eben alles zu Kunst; er bevorzugte Essen, das ihm eine Hand für Notizen und Zeichnungen freiließ. Am Abend kehrte er die Reste des Tages zusammen und ging mit einer Unmenge von Schüttelreimen, Eindrücken und Einfällen ins Atelier. Berühmt sind Kippenbergers gemalten Kalauer, etwa „Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz entdecken“ (1984), ein abstraktes Bild, mit dem er die Wiederentdeckung der deutschen Geschichte durch die Neuen Wilden um Georg Baselitz und Markus Lüpertz parodierte.
Kasper König nannte seine frühen Werke „Partykellermalerei“
Wie im Leben hat Kippenberger auch in seiner Kunst für ein gelungenes Bonmot vieles getan und wenig Rücksicht auf die Gefühle der Kollegen genommen. Seine Stilzitate waren ironische Gesten, mit denen er die Vorstellung, jeder Künstler habe seine ureigene Handschrift, dem Gespött preisgab – die Bilder seiner Serien „Heavy Burschi“ und „Heavy Mädel“ (derzeit in der Galerie Gisela Capitain zu sehen) ließ er von seinem Assistenten im eigenen Stil anfertigen. Kasper König nannte seine frühen Werke halb wohlwollend, halb tadelnd „Partykellermalerei“ und nahm ihn nicht in seine große Ausstellung „Von hier aus“ (1984) über die neue Kunst in Deutschland auf. Worauf sich der Abgewiesene mit der Plakatserie „Von mir aus“ revanchierte - eine elegant zwischen Schulterzucken und Größenwahn changierende Replik.
Heute, nach Retrospektiven in der Tate Modern in London oder der Bonner Bundeskunsthalle, ist Kippenberger ein Klassiker. Er sprühte vor Ideen und schüttelte kalauernde Titel nur so aus dem Ärmel - sein Problem bestand darin, dass sich die dazu passenden Bilder nicht genauso spontan auf die Leinwand werfen ließen. Schon seine frühe Serie „Lieber Maler, male mir“ (1981) war eine geniale Ausflucht: Er bezahlte einen Plakatkünstler dafür, an seiner Stelle zu malen. In Bonn bildeten diese lieblichen Schaufenster in die Konzeptkunst das großartige Entree; gleich daneben stand mit dem „Spiderman Atelier“ der zusammengerümpelte Nachbau einer „typischen“ Bohème-Behausung, die man ohne Diplom in Kippenberger-Studies wohl nur als Schnapsidee empfinden kann.
Bei Kippenberger war Schnaps nicht nur Schnaps, sondern auch Kunst
Von Letzteren gab es viele in der Bonner Werkschau. Das liegt in der Natur von Kippenbergers Trinkgewohnheiten, sagt aber nichts über die Qualität seiner Werke aus. Beim ihm war Schnaps nicht nur Schnaps, sondern auch Kunst, und der gemalte Kalauer die beste mögliche Reaktion auf einen lebenslangen Kater. „Dialog mit der Jugend“ heißt ein geradezu zärtliches Selbstporträt des von einer Punkerin übel zugerichteten Malers, auf „Nieder mit der Inflation“ steht Kippenberger mit heruntergerutschter Hose da, und für die Serie „Zuerst die Füße“ nagelte er statt Christus einen Frosch ans Kreuz. Mit Ironie geht vieles leichter, weshalb Kippenbergers wie hingerotzt wirkende Arbeiten eben auch den tief sitzenden Selbstzweifel der Spätmoderne artikulieren.
Im Unernst fand Kippenberger sein Lebenselixier und in Kollegen, die es ernst meinten, leichte Opfer. Mit seiner „Sympathischen Kommunistin“ empfahl er sich als Agitprop-Maler und begab sich dafür sogar in die Niederungen der Virtuosität; die Stapelware der modernen Architektur baute er mit zurecht gesägten Holzpaletten nach, und die politisch engagierte Kunst parodierte er mit seiner Serie „Krieg Böse“, auf der ein rätselhafter Motivmix die Eindeutigkeit künstlerischer Botschaften hintertreibt.
Gegen Ende seines Lebens scheint Kippenberger dann etwas sentimental geworden zu sein. Jedenfalls zeigte er sich als Schmerzensmann und Maler ohne Hände und das auf Bildern, die man nur als gekonnt bezeichnen kann. War das wirklich noch derselbe abgefuckte Typ, der „eigene“, vom Assistenten gemalte Bilder in den Müllcontainer kloppte und dann ausstellen ließ? Vielleicht wollte er uns aber auch nur zum Abschied sagen, dass der letzte Witz immer auf eigene Kosten geht. Am 7. März 1997 starb Martin Kippenberger mit nur 44 Jahren an Leberkrebs. An diesem Samstag hätte er seinen 70. Geburtstag begangen.
Anlässlich von Martin Kippenbergers 70. Geburtstags wird am 25. Februar zwischen 15 Uhr und 18 Uhr in der Kölner Albertusstraße 9-11 der zweite Band des Kippenberger-Werkverzeichnisses vorgestellt. Die Ausstellung „Martin Kippenberger - Heavy Mädel“ ist bis 18. März in der Galerie Gisela Capitain, St.-Apern-Str. 26, Köln, zu sehen.