AboAbonnieren

„Matrix Resurrections“Update für die ultimative Verschwörungsfantasie

Lesezeit 4 Minuten

Keanu Reeves und Carrie-Anne Moss in Matrix Resurrections

Köln – Gemessen an der Literatur, die zur „Matrix“-Trilogie erschienen ist, hätte Thomas Anderson auch als Professor für Philosophie, Experimentalphysik und vergleichende Religionswissenschaften wiedergeboren werden können. Aber Lana Wachowski zog es vor, den Erlöser als Spieldesigner auferstehen zu lassen, der vor gut 20 Jahren ein revolutionäres Computerspiel namens „Die Matrix“ schuf, in dem der von Maschinen versklavten Menschheit die Wirklichkeit, wie wir sie kennen, nur vorgegaukelt wird.

Als wir dem christusgleich gereiften Anderson begegnen, eröffnet ihm sein Chef (das Vorbild für Agent Smith in der Original-Matrix), dass von ihm der vierte Teil seiner erfolgreichen Spiele-Trilogie erwartet wird. Selbstredend geht es dabei nur ums Geld, was den fragilen Künstler Anderson dermaßen aus der Bahn zu werfen scheint, dass ihn alsbald wieder Träume und Halluzinationen plagen und er wieder daran zu glauben beginnt, dass die von ihm entworfene Matrix kein Spiel ist, sondern etwas, in dem er tatsächlich lebt. Zum Glück gibt es einen von Neil Patrick Harris gespielten Therapeuten, der Anderson mit einer ausreichenden Menge blauer Psychopillen versorgt.

Keanu Reeves schluckt blaue Pillen, um bei Verstand zu bleiben

Es war durchaus abzusehen, dass Lana Wachowski ihren vierten „Matrix“-Film mit reichlich Selbstironie auspolstern würde – schließlich wurden ihre früheren „Matrix“-Fortsetzungen nicht gerade überschwänglich begrüßt. Allerdings staunt man dann doch, wie schlau und konsequent sie zu Beginn von „Matrix Resurrections“ die Kritik an dieser Spätgeburt vorwegnimmt und ins Publikum zurückspiegelt. „Wir geben euch doch nur, was ihr wollt“, lässt sie im Film den Architekten der Matrix sagen und meint damit selbstredend uns, das Publikum im Kinosaal.

Auch das ist keine neue Einsicht im „Matrix“-Universum, wie „Matrix Resurrections“ ohnehin das erste echte Sequel der Filmreihe ist – in dem Sinne, dass es mehr mit einem Remake als mit einer Fortschreibung gemein hat. Schon im ersten „Matrix“-Film aus dem Jahr 1999 ging die Hyperrealität der in ihren biomechanischen Brutkästen träumenden Menschen in der Fata Morgana der Handlung auf: Während wir im Kino saßen, glaubten wir wie die Schlafenden an das, was wir sahen, hörten und fühlten. Und zwar im Kollektiv.

Die Wachowskis inszenierten Hollywood selbst als Matrix und das genau in dem Moment, in der die digitale Filmtechnik die perfekte Simulation tatsächlich erstmals möglich zu machen schien. Wenn sich Neo in „Matrix Reloaded“ fragt, ob er vielleicht nur eine weitere Funktion der Matrix ist, ein falscher Erlöser, der für die Maschinen die Energieproduktion ankurbelt, sind wir mitten in der interessantesten Debatte der „Matrix“-Philosophie: Gibt es ein Entkommen aus den falschen Versprechen der Unterhaltungsindustrie?

Das könnte Sie auch interessieren:

In der Epoche sozialer Medien und grassierender Verschwörungsfantasien wäre ein passendes „Matrix“-Update gar keine schlechte Idee – doch der eigentliche Bedeutungsrahmen von „Matrix Resurrections“ bleibt das „Matrix“-Universum der Jahrtausendwende. Furcht und Begehren wiegen die Menschen weiterhin am verlässlichsten in den virtuellen Schlaf, und man kann weiterhin nur spekulieren, ob die Filme der Wachowskis uns aus der Verblendung reißen oder nur tiefer in sie verstricken. Man könnte auch sagen: Die Prophezeiung hat sich erfüllt.

Sobald Anderson die blauen Pillen absetzt und endlich eine rote schluckt, sind wir mitten drin im Altbekannten. Zwar wurde die Maschinen-Matrix nach dem trügerischen Frieden von „Matrix Revolutions“ neu aufgesetzt und mit einigen neuen Merkmalen und Modellreichen versehen. Aber verkauft wird uns das alles mit den bewährten Argumenten: Bullet Time und Erlösung durch die Liebe.

Man kann Lana Wachowski diesen Rückgriff wahrlich nicht verdenken, zumal sie zwei Generationen im Publikum bedienen muss; die Älteren, die mit Bullet Time erwachsen und mit den Hauptdarstellern älter geworden sind, und die Jüngeren, die nun darüber staunen sollen, dass Leute, die ihren Eltern ähnlich sehen, immer noch Pistolenkugeln ausweichen können. Letztere werden durch einen deutlich verjüngten und etwas diverser besetzten Cast gelockt, erstere durch die Aussicht darauf, dass sich das alte Paar Keanu Reeves und Carrie-Anne Moss wieder findet und neu füreinander entflammt. Einfach wird das nicht: Anderson/Neo ist zu Beginn so schüchtern wie ein pickeliger Tanzschüler und Trinity sitzt in der ultimativen Ehefalle mit drei Kindern fest.

Bullet Time ist immer noch der größte Schauwert - nach der Liebe

In gewisser Hinsicht ist „Matrix Resurrections“ ein Nostalgietrip in die Zeit der Sklaverei und folgenlosen Rebellion. Allzu viel hat sich seit Neos Pakt mit den Maschinen nicht getan, insbesondere die unterirdische Zuflucht der erweckten Menschen ist weiterhin ein filmisch unterentwickelter Ort. Zion heißt jetzt zwar IO, aber in der urchristlichen Variante einer Militärdiktatur werden immer noch dieselben steifen Dialoge aufgesagt. Auch das verquaste Gerede der Orakel und Stehgreiferklärer hat sich nicht gebessert – eine lange Szene am tiefen Brunnen der Erkenntnis wirkt leider ganz und gar nicht selbstironisch.

Eines hatte der alte Neo immerhin bewirkt. In der neuen Matrix gibt es Überläufer, Maschinen und Programme, die des Sklavenhalterdaseins überdrüssig und zu Menschenfreunden geworden sind. Seltsamerweise dürfen aber nur ehemalige Agenten den Menschen ebenbürtig sein. Die gezähmten Maschinen erinnern so sehr an Haus- und Nutztiere, dass man an ihre Selbstachtung appellieren möchte.

„Matrix Resurrections“ startet am 23. Dezember in den Kinos.