Memoiren von Baha GüngörAus dem Leben eines „Paradetürken“
- Baha Güngör war der erste türkische Volontär einer deutschen Tageszeitung, später wurde er bei der Deutschen Welle Chef des türkischen Programms.
- In seinen Memoiren erzählt der verstorbene Kölner von seiner Hoffnung, in Deutschland akzeptiert zu werden.
- Das sei ihm nie gelungen, schreibt er. Trotzdem blickt er milde auf sein Leben in der neuen Heimat zurück.
Köln – „Hüzün . . . das heißt Sehnsucht“ ist ein Buch, das in diese Zeit passt. Der Journalist Baha Güngör, der Ende 2018 starb, schildert darin, wie er, nach eigenen Worten, „Deutscher wurde und Türke blieb“. Die Erinnerungen des bekennenden Rheinländers passen einmal mehr, weil ja – „Black lives matter“ (Schwarze Leben zählen) – die Welt zur Zeit gegen Rassismus kämpft. Wer, wenn nicht Türken aller Generationen, haben in Deutschland nicht nur, aber häufig, gegen Vorurteile bis hin zu Rassismus, Hass und Gewalt kämpfen oder sich ihm beugen müssen?
Ein freundliches Buch über Integration und Vorurteil
Weil der Krebs dem 68-jährigen nicht die Kraft ließ, sein Manuskript zu vollenden, hat Lale Akgün das getan und die Memoiren nicht nur gerettet. Die frühere SPD-Bundestagsabgeordnete aus Köln ist eine Freundin Güngörs aus Kindheitstagen. Ihr Blick weitet die Perspektive des Buches, indem sie fiktive Gespräche anfügt, die aber tatsächliche Begegnungen mit dem Autor spiegeln.
Das Buch beginnt, als der elf Jahre alte Baha Güngör 1961 mit seiner Familie Istanbul verlässt. Im Grunde schildert er eine Reise, wie sie nur schwer zu ermessen ist, denn sie ist ja nicht mit der Ankunft in Aachen beendet, sondern beginnt hier erst. Er sei mit der Hoffnung gekommen, als Erwachsener ein Deutscher zu werden, schreibt Güngör im Vorwort. Am Ende habe er erkennen müssen, dass das nicht geklappt habe. Die Worte stehen da, wie ein böses Omen. Dabei ist „Hüzün“ ein lesenswertes, freundliches und unterhaltsam geschriebenes Buch über Integration und Vorurteil. Es zeigt, wie weit Deutschland mit sich und der Welt gekommen ist in den letzten 60 Jahren. Und es wird auch klar, welch weiter Weg noch vor dieser Gesellschaft liegt.
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Voller Wärme schreibt Güngör von den ersten Jahren in Aachen, als seien sie ein Abenteuer für den aufgeweckten Jungen, der sich in Geschäften als Übersetzungshelfer für Türken anbietet, deren Einkaufswünsche wie Okraschoten, Kichererbsen oder Melonen das Repertoire eines deutschen Lebensmittelladens überforderten. Wo ihm Rassismus begegnet, wird der niedergerungen von der Macht und dem Reiz des neuen Landes.
Zum Abschluss seiner Deutschstunden bekommt der junge Baha stets ein Brot, das dick mit Kalbsleberwurst bestrichen ist. Als der Stiefvater ihn aufgeklärt, dass der Belag größtenteils aus Schweinefleisch bestehe, und dies dem Moslem verboten sei, gewinnt der Genussmensch die Oberhand, als den man Baha Güngör später erlebte. Er zitiert die Oma, die Kinder unter 14 Jahren zu Engeln erklärt, die von Sünden ausgenommen seien. Der Brotbelag gewinnt den Kulturkampf ohnehin. Lebenslang sei er sein Lieblingsaufstrich gewesen, schreibt er.
Als Korrespondent erklärte er den Deutschen die Türkei
So reiht Baha Güngör Erlebnis an Erlebnis. Stets ist sein Glas halbvoll und nicht halbleer. Als Lehrling im Einzelhandel bei einem Aachener Herrenausstatter zeigt Güngör, wie vertraut er mit der deutschen wie der türkischen Welt geworden ist – Stoffballen macht er zu Geld bei Gastarbeitern und deren Familien, weil er um das Ansehen des Tuchs in diesen Kreisen weiß. Selbst der Vermieter, der türkischen Studenten eine Wohnung gegeben hat, wird in einem rührenden Beitrag geschildert. In „Mein Weihnachtsmann hieß Baba Charduck“ erzählt der Autor, wie er mit dem Rentner über Jahre Weihnachten feierte.
Der legendäre Jürgen C. Jagla gab ihm die Chance, Zeitungsvolontär in der „Kölnischen Rundschau“ zu werden. Am 1. März 1976 war Güngör erster türkischer Volontär einer deutschen Tageszeitung, der „Paradetürke“, wie er schreibt. Der Volontär Güngör muss lernen. Doch wenig ist in seinen Erinnerungen dabei, was sich an seinem „Türkischsein“ fest macht. Nur als er der Tochter Jaglas bei einer privaten Einladung im Haushalt sehr nah zur Hand geht, bellt der ihn an: „Finger weg von meiner Tochter, du Türke“. Jagla lächelt dabei. Es kommt viel zusammen in dieser Szene: der damals übliche, direkte Ton in Redaktionsstuben, die unverblümte Art Jaglas, das grobe Spiel mit dem rassistischen Klischee und Baha Güngörs Ruf als Schürzenjäger.
In seinem Leben hat Güngör viel erreicht und er hat viel zu erzählen, vor allem aus seiner Zeit als Korrespondent der Deutschen Presseagentur (dpa) in Istanbul. Hier prallen Geschichte und Anekdotisches zusammen. Für mehrere Jahre prägt er das Türkeibild in Deutschland, denn die „dpa“ liefert bis in die entlegenste Redaktionsstube. Eigentlich ein Traumjob. 16 Jahre war er schließlich in der Deutschen Welle Chef des türkischen Programms – eine Beständigkeit, die dem Familienvater gut anstand, und Schlusspunkt einer großen Karriere war.
Wie er letztlich zu seinem bitteren Urteil kam, in Deutschland gescheitert zu sein, lässt sich im Lebenslauf nicht begründen und wird eher klar im fiktiven Dialog mit Lale Akgün. Sie bezweifelt darin Sichtweisen und Selbsttäuschungen, die der Journalist Güngör pflegte – dass ihm zum Beispiel allein die türkischen Themen zugeschoben worden seien. „Du hast sie mit offenen Armen empfangen“, erwidert Akgün. „Das war Deine Art der Loyalität.“
Baha Güngör/Lale Akgün: „Hüzün . . . das heißt Sehnsucht“, 229 Seiten, Dietz-Verlag, 19,90 Euro