„Mir blutet das Herz”WDR-„Stichtag” kommt künftig aus Bremen
Köln – Der Rundfunkrat des WDR hat in seiner Sitzung am Donnerstag besiegelt, was die Autorinnen und Autoren der Radio-Geschichtsformate „Stichtag“ und „Zeitzeichen“ befürchtet hatten. Das Aufsichtsgremium stimmte zu, dass der WDR ab 1. April 2021 die Reihe „As time goes by“ von Radio Bremen übernimmt, nur der Name des WDR 2-Formats bleibt erhalten. Fünf bis zehn Prozent der täglich gesendeten Beiträge sollen mit regionalen Inhalten von WDR-Autoren zugeliefert werden.
Damit hat Valerie Weber, Programmdirektorin NRW, Wissen und Kultur, ihre Pläne durchgesetzt. Da halfen auch ein Offener Brief Ende September nicht mehr, den 100 Unterstützer, darunter Prominente aus Wissenschaft, Kultur und Politik unterzeichnet hatten, um den „Stichtag“ zu retten.
Das könnte Sie auch interessieren:
Kurz vor der Rundfunkratssitzung hatten zudem zahlreiche Historiker einen Offenen Brief an den Rundfunkrat geschickt. Darin heißt es, „Stichtag“ und das längere Format „Zeitzeichen“ seien zwei Leuchttürme der Informationskompetenz des WDR.
Geholfen hat es alles nichts. Denn obwohl der Programmausschuss des Rundfunkrats dreimal ausführlich über dieses Thema beraten hatte und auch zahlreiche kritische Stimmen zu der Entscheidung in der Sitzung laut wurden, stimmte das Gremium letztlich mehrheitlich den Plänen zu.
Für die rund 65 Autorinnen und Autoren, die für „Zeitzeichen“ und „Stichtag“ arbeiten, ist die Entscheidung ein herber Schlag. „Wir sind sehr enttäuscht, weil wir mit unseren sehr guten Argumenten nicht durchgedrungen sind“, sagt einer der Autoren im Gespräch mit dieser Zeitung. Die Autoren sorgen sich nun besonders um die Zukunft des „Zeitzeichens“ bei WDR 5.
Zwar hat der WDR beteuert, an diesem Format festhalten zu wollen, und auch der Rundfunkrat hat den Erhalt gefordert, doch steht für die Autoren fest, dass die Qualität der Beiträge sinken wird, denn der Produktionsaufwand von 70 bis 90 Arbeitsstunden lohnte sich für sie bisher nur, wenn sie zu einem Thema Beiträge sowohl für „Zeitzeichen“ als auch „Stichtag“ erstellten.
Sorge um das „Zeitzeichen”
Da der „Stichtag“ aber nun zu großen Teilen zugeliefert wird, rechnen sie mit Honorareinbrüchen von rund 50 Prozent. Das seien dann Stundensätze auf Mindestlohn-Niveau, so lasse sich kein vernünftiger Beitrag erstellen. „Der WDR nimmt einen Rückgang der Qualität der Beiträge billigend in Kauf. Denn für diese Honorare wird es nur gehen, wenn wir weniger Gesprächspartner haben, weniger umfangreich recherchieren. Mir blutet das Herz. Ich will nichts zusammenschustern. Wir wollen einfach keine vertonten Wikipedia-Beiträge machen.“
Auslöser für die Programmreform, die noch zahlreiche andere Änderungen beinhaltet, ist der Rückzug des NDR zum 1. Januar aus einigen NDR-WDR-Kooperationen. Für den WDR bedeute das laut Pressestelle Mehrbelastungen im hohen sechsstelligen Bereich. „Mittagsecho“ und „Echo des Tages“ bei WDR 5 berichten künftig montags bis freitags an allen Tagen im Jahr aus Köln und nicht mehr wie bisher jede zweite Woche aus Hamburg. Dafür werden auch Sendungen entfallen, wie die „Berichte von heute“ um 23 Uhr und die „Polit-WG“.