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Museum Ludwig in KölnSo blickt Raghubir Singh auf die Millionenstadt Kalkutta

Lesezeit 3 Minuten

Köln – Kolkata ist lediglich die siebtgrößte Stadt in Indien, aber seine 4,5 Millionen Bewohner leben selbst für indische Verhältnisse dicht gedrängt. Auf der Fotografie, die Raghubir Singh 1987 auf den Straßen Kolkatas aufgenommen hat (damals hieß die Stadt freilich noch Kalkutta), ist diese Enge beinahe ein Lebensgefühl.

Ein Mann hält das Handgelenk eines Taxifahrers umfasst, der sich mit geballter Faust aus dem Fenster seines Autos lehnt, ein Passant und ein Motorradfahrer beobachten die Szene, vielleicht auch, weil ihnen die offenbar heillos verstopfte Straße die Wahl abnimmt.

Raghubir Singh wird zu den Pionieren der „seriösen“ Farbfotografie gezählt

Man sieht den erstaunten Blick des Taxifahrers, der anscheinend nicht mit handgreiflicher Gegenwehr gerechnet hatte, und während man sich noch fragt, wie sich dieser kleine Knoten im Alltag einer Millionenstadt auflösen wird, springt der Blick zwischen den Farbtönen Gelb, Grün und Rot umher: Gelb ist das Taxi, Grün der Lastwagen daneben und Rot das Motorrad davor. Es ist eine zufällige Farbkombination, gemischt aus dem Straßengewühl der Großstadt. Aber ganz offensichtlich nahm Singh diese Fotografie auch wegen ihr in sein Städteporträt auf.

In Deutschland ist der indische Fotograf Raghubir Singh (1942-1999) den wenigsten Menschen ein Begriff, obwohl er mehrere Jahrzehnte für große US-Magazine tätig war, 13 Fotobücher veröffentlichte (zwei davon handeln vom damaligen Kalkutta) und er mittlerweile neben Stars wie William Eggleston und Stephen Shore zu den Pionieren der „seriösen“ Farbfotografie gerechnet wird. In Köln waren einige seiner Aufnahmen vor acht Jahren in der „Unbeugsam und ungebändigt“-Ausstellung des Museum Ludwig zu sehen – jetzt zeigt das Haus seinen gesamten Singh-Bestand, immerhin ein Dutzend Abzüge, unter dem Titel „Kolkata“ im Fotoraum.

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Die Schau ist sowohl ein Städteporträt als auch das Porträt eines Fotografen – jeweils etwas flüchtig gezeichnet, aber doch mit klaren Konturen. Im Kern erscheint Raghubir Singhs Kolkata als Mischung aus Moderne und Tradition, britischem Einfluss und indischer Selbstbehauptung, als berührendes Chaos, das sich beim Blick durch die Kameralinse wie von selbst zu ordnen beginnt. Seine Bilder sind also immer auch Spiegelblicke eines Fotografen bei der Arbeit. Oft zieht Singh dafür den Bildausschnitt so eng, bis die Szene „fotogen“ und dadurch lesbar wird.

Obwohl sich Singh früh für die Farbfotografie entschied (für ihn eine aus der indischen Kultur abgeleitete Notwendigkeit), blieb sein Vorbild die Schwarz-Weiß-Fotografie Henri Cartier-Bressons. Wie dieser suchte Singh nach der haltbaren Harmonie in der zufälligen Momentaufnahme, eine Kunst, die man nicht lernen, der man in der Dunkelkammer aber nachhelfen kann. Sein Blick in einen kleinen Straßenladen für Tee und Zigaretten wirkt weniger durch die ärmlichen Verhältnisse als durch die setzkastenartige Aufteilung des Bildes - einen Mann kostet sie sogar den Kopf. Das Durcheinander einer Auktion vor der Börse wird durch zwei lässig an ein Motorrad gelehnte Männer zum Schauspiel umgedeutet, und eine erschöpfte Hochzeitsgruppe, die am Ganges offenbar einem alten Ritus nachgeht, wirkt vor der modernen Eisenbrücke im Hintergrund wie frisch gestrandet.

Singh sortierte des Leben in Kalkutta nach Farbkontrasten

Während Singh das Großstadtleben gerne nach Farbkontrasten sortiert, wird seine Palette geradezu delikat, wenn er auf das Gegen- und Miteinander alter Traditionen und einer in die Jahre gekommenen Moderne blickt. Eine enge Tempelanlage ist bei ihm erfüllt von Menschen, gedeckten Farben und rituellem Rauch, im Hintergrund hat jemand sein vom Zeitlauf überholtes Auto als reizvollen Fremdkörper abgestellt.

Sogar europäischer Ruinenästhetik kann Singh einen indischen Blickwinkel abgewinnen: Ein Innenhof mit Säulen und steinerner Eva ist zum Stall geworden, mit stolzierendem Hahn, ins Leere blickenden Kühen und einer Katze, die so anmutig zum Bild hinausschaut, als hätte sie gerade nichts Besseres zu tun.

„Raghubir Singh. Kolkata“, Museum Ludwig am Dom, Köln, Di.-So. 10-18 Uhr, 9. Juli bis 6. November.