Die in Köln aufgewachsene iranischstämmige Schriftstellerin Nava Ebrahimi hat mit ihrem klugen Roman „Sechzehn Wörter“, der das „Buch für die Stadt“ 2022 ist, den Frauen im Iran ein Denkmal gesetzt – Ein Interview.
Nava Ebrahimi zu Iran-Protesten„Wir sind auf der Revolutionsstraße“
Frau Ebrahimi, in Ihrem Roman „Sechzehn Wörter“ spielen iranische Frauen die Hauptrolle. Sie beschreiben Sie als sehr lebenslustig und ganz anders, als Menschen im Westen vermutlich oft auf sie blicken. Hatten wir zu lange ein falsches Bild von den Frauen im Iran?
Nava Ebrahimi: Ja definitiv. Ich glaube, es war sogar unbewusst meine Absicht, als ich dieses Buch schrieb, zu zeigen, wie ich iranische Frauen erlebte – vor allem, wenn sie unter sich sind. Das hat mich schon als Kind beschäftigt. Ich bin in Köln-Junkersdorf aufgewachsen und war auf einer katholischen Grundschule. Die Hälfte unserer Klasse waren Kinder aus sehr bürgerlichen Familien, die Eltern waren Rechtsanwälte und Mediziner. Die mochten mich, weil ich gute Noten hatte, da war ich immer willkommen. Aber die haben mich immer mit leichtem Mitleid angesehen: Du armes Mädchen kommst aus einer so einer schlimmen, patriarchalen Gesellschaft. Es ist so gut, dass du jetzt hier bei uns bist. Das hat mich immer sehr irritiert. Und das passte nicht zu dem, was ich von den selbstbewussten, starken Frauen, die uns besuchten, mitbekommen habe. Ich glaube, dass ich schon früh das Bedürfnis hatte, auszudrücken, wie ich Iranerinnen sehe. Und das geht für mich mit Literatur wahrscheinlich am besten.
Seit Wochen sind die aktuellen Entwicklungen im Iran auch bei uns sehr präsent. Was macht das mit Ihnen?
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Es sind ja nicht die ersten Proteste. Es ist bisher eigentlich immer so gewesen, dass am Anfang eine große Hoffnung da war und ich versucht habe, über Handy-Videos und die wenigen Quellen, die es gibt, herauszufinden, wie groß die Bewegung dieses Mal ist. Bei früheren Protesten ist immer relativ bald eine Ernüchterung eingetreten. Ich habe gemerkt, es reicht nicht oder die Brutalität der sogenannten Sicherheitskräfte siegt. Und insgeheim war ich auch dieses Mal wahrscheinlich schon darauf vorbereitet, dass dieser Moment wiederkommt. Aber bisher ist er nicht eingetreten.
Die „Buch für die Stadt“-Sonderausgabe von „Sechzehn Wörter“ (320 Seiten) ist bei btb erschienen und kostet elf Euro. Alle Infos zu der Aktion von Literaturhaus Köln und „Kölner Stadt-Anzeiger“ finden Sie online. Am Sonntag, 13. November, findet die Matinee zum Buch für die Stadt im Depot des Schauspielhauses in Mülheim statt. Es gibt noch Karten für die Veranstaltung.
Kölner Stadt-Anzeiger präsentiert - "Ein Buch für die Stadt"
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Was ist dieses Mal noch anders?
Ich habe mich früher immer allein damit gefühlt. Dieses Mal hat sich in kürzester Zeit eine große Gruppe von Deutsch-Iranerinnen zum Beispiel in einer Signal-Gruppe zusammengefunden. Der Austausch ist groß, und es sind wirklich viele. Früher interessierte sich meine deutsche Umgebung nicht so sehr für die Unruhen im Iran. Doch jetzt sprechen michauch viele Menschen nicht-iranischer Herkunft an. Die weltweite Solidarität ist dieses Mal viel größer, sie ist überhaupt erstmals wirklich vorhanden, und die Diaspora ist viel besser organisiert und vorbereitet.
Ist es richtig, mittlerweile von einer Revolution zu sprechen? Das Wort Proteste erscheint doch eigentlich zu schwach, oder?
Ja, das Wort Proteste trifft es nicht mehr. Protest im Stillen wie im Öffentlichen gehört im Iran eigentlich zum alltäglichen Leben dazu. Jede Frau, die auf die Straße geht, die nicht absolut regimetreu ist, lebt Widerstand, indem sie das Kopftuch ein bisschen weiter nach hinten schiebt, als es den Sittenwächtern gefällt. Es gibt so viele Formen des Widerstands und des Protests. Zum Beispiel wird alles, was vorislamisch ist, gefeiert und hochgehalten, vorislamische Namen für die Kinder etwa sind sehr beliebt. Oder einen Hund zu halten, was das Regime ablehnt, weil Hunde schmutzig seien. Ich glaube, dass das, was wir jetzt erleben, sich nicht mehr rückgängig machen lässt. Ich kann nicht sagen, wohin es führen wird, aber ich bin relativ sicher, auch wegen der vielen jungen Menschen, die gestorben sind, dass die Menschen keine Kapazitäten mehr haben, diese Trauer noch wegzustecken. Deswegen bewegen wir uns eher Richtung Revolution, auch wenn es vielleicht nicht heute oder morgen passieren wird. Aber wir sind auf der Revolutionsstraße.
Olaf Scholz hat sich spät und zurückhaltend geäußert. Was wünschen Sie sich von ihm und der EU?
Indem man das Regime machen lässt und nicht ganz klar in die Schranken weist und sich stattdessen wieder an den Verhandlungstisch setzt, signalisiert man: Wir dulden, was ihr da tut. Wir dulden, dass ihr junge Menschen, Kinder zum Teil, tötet, die für Rechte auf die Straße gehen. Navid Kermani hat in Interviews mehrmals gesagt, was ich unterstreiche: Der Glaube, damit Stabilität in der Region zu sichern ist absolut fatal. Wenn die EU oder Deutschland glauben, damit Realpolitik zu betreiben, wiederholen sie den Fehler, den sie schon mit Putin begangen haben. Es ist eine absolute Fehleinschätzung. Mit einem Regime wie der Islamischen Republik ist einfach kein Frieden und keine Stabilität zu gewährleisten.
Viele Menschen treibt die Frage um, wie sie den Menschen im Iran helfen können. Ist es etwa sinnvoll, Beiträge in Social Media zu teilen oder ist das nur Aktionismus. Wie schätzen Sie das ein?
Ich war da tendenziell immer eher kritisch. Es war mir unangenehm zu sehen, wie die Menschen dort das Leben riskieren - und ich sitze gemütlich im Westen und teile halt mal nebenbei ein Foto von einer jungen Frau, die erschossen wurde. Aber inzwischen glaube ich, dass es tatsächlich etwas bewirkt, weil man das Thema nicht abflauen lässt. Sobald es aus den Nachrichten und den sozialen Medien verschwindet, könnte man ja meinen, die Proteste ließen nach. Es ist aber nicht so, und deswegen ist es wichtig, selbst in einem kleinen Umfeld immer wieder darauf hinzuweisen, dass die Proteste anhalten. Diese jungen Frauen und Männer, Teenager größtenteils, deren Namen und Gesichter dank der Sozialen Medien um die Welt gehen, kämpfen um ganz grundlegende Menschenrechte. Die Sozialen Medien schaffen es, diese Aufmerksamkeit zu erhalten. Durch Druck über Twitter kommen auch Politiker zunehmend in gewisse Erklärungsnöte. Annalena Baerbock muss jetzt wirklich zeigen, was sie unter feministischer Außenpolitik versteht.
Ein Symbol dieser Revolution sind Frauen, die ihr Kopftuch in der Öffentlichkeit abnehmen. Hierzulande wird heftig darüber gestritten, ob man als Frau emanzipiert sein und trotzdem Kopftuch tragen kann. Wo stehen Sie in der Debatte?
Es gibt unzählige Gründe dafür, aus denen sich Frauen weltweit das Haar bedecken, daher kann man nicht über „das Kopftuch“ sprechen, ohne den Kontext zu berücksichtigen. Wenn ich mich dazu äußere, sage ich gleich zu Beginn, dass ich mit dem Narrativ aufgewachsen bin: Die Mullahs kamen und haben uns das Kopftuch aufgezwungen. Das steht für mich für daher für das ganze repressive System, für ein Machtinstrument. Ein Kopftuchverbot ist allerdings potenziell ebenfalls ein Machtinstrument. Letztlich sollte, ob Verhüllung oder nicht, immer die persönliche, freie Entscheidung der Frau sein. Doch da wird es schwierig. Idealerweise hätte ich gerne Gewissheit, dass, wenn sich eine Frau hier in Deutschland verhüllt, sie das frei entschieden hat. Diese Gewissheit kann es nicht geben, weshalb mein Verhältnis zum Kopftuch immer schwierig bleiben wird.
„Ich war eigentlich mehr oder weniger immer die einzige Iranerin“
Sie sind in Teheran geboren worden und kamen mit drei Jahren mit ihren Eltern nach Deutschland, Mit welchem Bild des Iran sind Sie aufgewachsen?
Ich bin mit 18 das erste Mal wieder in den Iran gereist. Vorher kannte ich es hauptsächlich nur aus Erzählungen. Wir hatten recht oft Verwandte zu Besuch. Wir waren nicht eingebunden in eine große Community, obwohl es hier in Köln eine gegeben hätte. Ich war eigentlich mehr oder weniger immer die einzige Iranerin, auch an den Schulen. Aber es ist schon immer sehr präsent gewesen, die Musik, das Essen, die Kultur. Das ist ja wirklich sehr prägend. Als ich mit 18 das erste Mal in den Iran geflogen bin, war das ein Flash. Alle sprachen meine Geheimsprache, für mich war sie das zwischen meiner Mutter, meinem Vater und mir. Das war schon extrem eindrücklich.
Sie haben eine katholische Grundschule in Köln besucht und eine Zeitlang im Westerwald gelebt. Da gab es ja auch mutmaßlich nicht besonders viele Iranerinnen und Iraner. Haben Sie das bewusst wahrgenommen? Oder hat das gar keine große Rolle gespielt?
Ich habe die Unterschiede schon sehr früh wahrgenommen. Welche Regeln herrschen bei meinen Freundinnen zu Hause? Was tut man, was tut man nicht? Da habe ich mich schon sehr früh hindurch navigieren müssen. Ich hatte ein, zwei iranische Freundinnen, die habe ich schon sehr geliebt. Im Westerwald auf dem protestantischen Gymnasium gab es dann weit und breit keine Menschen iranischer Herkunft. Der iranische Teil an mir ist dann sehr verkümmert. Man will ja dazugehören und vor allen Dingen will man niemandem befremden, wenn man etwas von sich preisgibt und der andere kann gar nichts damit anfangen. Das ist schließlich eine große Kränkung.
Sie haben auch gesagt, dass sie in der Pubertät eine Zeitlang versucht haben, eine Entscheidung zu treffen in die eine oder eben andere Richtung und dann irgendwann erkannt haben „Ich bin im Dazwischen zu Hause“. War das der Moment, in dem Ihnen klar war, dass Sie sich gar nicht entscheiden müssen?
Es war so, dass vor allem die Umwelt immer eine Entscheidung von mir verlangt hat. Das hat sich erfreulicherweise in den letzten Jahren sehr verändert. Es hat ein großes Umdenken stattgefunden, weil es einfach auch die Realität widerspiegelt. Es ist Normalität, einen Migrationshintergrund zu haben, eine fluide Identität, und kaum noch jemand verlangt mehr von einem, dass man sich klar bekennt. Ich habe zwischendurch einfach gesagt, ich bin Kölnerin, das ist mir noch am leichtesten gefallen. Aber dann bin ich nach Graz gezogen und fand es auch komisch. Meine Eltern leben nicht mehr in Köln, ich bin dort nicht geboren, wir besitzen nichts in Köln. Dann musste ich mich davon auch wieder trennen.
Wann war klar, dass der iranische Teil Ihrer Identität Thema Ihres Romans werden soll?
Es sind wahrscheinlich immer die großen Brüche oder Konflikte, innere und äußere, die einen zum Schreiben treiben. Bei mir war es sicherlich das Aufwachsen in einer sehr weißen Umgebung. Mit Eltern und vor allem auch einem Vater, der sehr an dieser gescheiterten Revolution zu knapsen hatte. Es sind Themen, die letztlich alle Menschen mit Migrations-Biographie betreffen. Dass man zum Beispiel schneller zurechtkommt in der neuen Mehrheitsgesellschaft als die Eltern, was auch das Verhältnis zu ihnen beeinflusst, wenn einem die gemeinsame Sprache ein wenig abhandenkommt. Bei mir ist das Schreiben auch eine Form, Lücken zu füllen, die sich immer auftun durch Migration. Es geht nicht nur Vermögen verloren, sondern auch Teile der Familiengeschichte. Diese Lücken zu füllen und auch eine gewisse Macht zurückzuerlangen über meine Biografie, über das, was mit mir passiert ist, und sie über die fiktiven Anteile ein Stück weit neu zu entwerfen, ist vermutlich das, was mich beim Schreiben antreibt.
Und wie kam es dazu, die Geschichte von Mona anhand der titelgebenden 16 Wörter zu erzählen?
Ich hatte schon mit Anfang 20 das Bedürfnis, diesen Roman zu schreiben. Aber ich habe keine Möglichkeit gefunden, alles zu ordnen und zu verbinden. Ich wollte einerseits über das Aufwachsen in den 80er Jahren in einer reinen weißen Umgebung schreiben. Ich wollte über die Beziehung zu den Eltern schreiben. Ich wollte darüber schreiben, wie beinahe unmöglich es ist, in so einer Situation Beziehungen einzugehen. Und ich wollte schildern, wie der Humor unter Frauen ist. Ich bin nie weitergekommen, weil ich kein strukturierendes Element gefunden habe. Als ich hier in Graz war, habe ich mich intensiver damit beschäftigt. Und es fing mit dem Wort Übergepäck an. Da habe ich gar nicht an den Roman gedacht, ich dachte nur lustig, wie lange ich dieses Wort kenne und wie zentral das immer bei uns war. Und dann habe ich mir überlegt, dass ein deutsches Kind das Wort Übergepäck wahrscheinlich sehr spät in seinem Leben das erste Mal hört. Da ist mir schlagartig plötzlich klar geworden, dass das das strukturierende Element sein wird.
Menschen, die mit zwei Sprachen aufgewachsen sind, sagen oft, dass sie das Gefühl haben, ein anderer Mensch zu sein, wenn sie die Sprache wechseln. Ist das bei Ihnen so? Gibt es Momente, wo die eine Sprache besser passt als die andere?
Ja definitiv, bei mir passt inzwischen Deutsch oft besser, aber nicht immer. Ich habe am Anfang mit meinen Kindern versucht, Persisch zu reden, weil ich den Gedanken schade fand, dass sie, wenn ich kein Persisch mit ihnen rede, gar keinen Bezug mehr zur Sprache haben. Dazu war ich doch noch nicht bereit. Ich habe es so vier, fünf Jahre lang geschafft und dann habe ich es aufgegeben, weil ich gemerkt habe, wenn ich Persisch rede, verhalte ich mich auch wie eine iranische Mutter. Iranische Mütter – oder das Bild, das ich von ihnen im Kopf habe - sind wahnsinnig aufopferungsvoll, sie denken überhaupt nicht mehr an sich und rennen dem Kind die ganze Zeit mit Obst hinterher. Ich habe gemerkt, dass das nicht ich bin. Und dann habe ich es irgendwann sein lassen.
Man darf ja Autorin und Romanfigur nicht verwechseln, aber die Parallelen zwischen ihrem Leben und Monas sind schon offensichtlich. Wie viel von Ihnen steckt in dieser Figur?
Am Anfang war sie schon sehr nahe an mir dran. Aber ich glaube, je mehr ich angefangen habe zu formen und zu ästhetisieren und zu literarisieren, desto mehr Eigenleben entwickelten die Figuren. Der Impuls ging schon sehr von mir aus, aber Mona hat sich von mir weg entwickelt, weil ja auch die Handlung rein fiktiv ist. Mona ist deutlich spröder als ich und verdrängt mehr. Sonst hätte auch dieses Familiengeheimnis nicht so lange verborgen bleiben können. Auch die leichte Ablehnung der Mutter ist aus der Handlung heraus entstanden. Damit ist sie ein eigener Charakter geworden.
Sie sagen, die Migrationsgeschichte hat einen Einfluss darauf, wie gut man eine Beziehung eingehen kann? Warum?
Migrationsgeschichte macht es zumindest nicht leichter. Man möchte ja in seiner Ganzheit geliebt werden. Wenn ich in meinen 20ern einen deutschen Freund hatte, wusste ich ganz genau, wenn ich iranische Musik höre, dann ist das für ihn Gejaule irgendwo aus dem Orient. Er versteht die Texte nicht und kann überhaupt nicht nachempfinden, was ich dabei empfinde. Ich kann zu Brings heulen, wenn ich in der Verfassung bin, ich kann aber auch genauso gut zu der großen iranischen Schlagersängerin Googoosh heulen. Und natürlich habe ich mir jemanden gewünscht, der bei beidem weiß, was ich empfinde. Es war extrem schwierig, so jemanden zu finden. Wenn ich mich auf einen Iraner einlasse, versteht der überhaupt nicht, warum ich gerne Tocotronic höre. Ich habe dann schon irgendwann verstanden, dass es natürlich immer ein Teil gibt an einem, ob der jetzt herkunftsbezogen ist oder nicht, der unverstanden und unerwidert bleibt. Aber das war ein längerer Prozess.
Integration ist in der Debatte über Zuwanderung das große Zauberwort. Sie haben gesagt, dass Sie darüber schreiben wollten, wie es wird, wenn man sich zu sehr bemüht, sich möglichst schnell zu integrieren. Sie sprechen von der Gefahr der Entwurzelung. Unterschätzen wir diese?
Ja, und ich glaube, das treibt vor allem viele junge Männer um, die sich dann vielleicht radikalen Bewegungen zuwenden. Sie sind in der Kultur ihrer Eltern nicht richtig angekommen, aber im Alltag wird ihnen immer wieder deutlich gemacht, dass sie auch niemals in Deutschland so richtig dazugehören werden. Bei allen positiven Entwicklungen machen vor allen Dingen muslimisch aussehende Männer diese Erfahrungen im Alltag. Und sich entscheiden zu müssen, treibt die Entwurzelung noch mal voran. Damit ist niemandem gedient. Wenn Menschen aus anderen Ländern zu uns kommen, kann das nicht nur eine einseitige Annäherung sein. Das geht nur, wenn wir auch als Mehrheitsgesellschaft bereit sind, uns ebenfalls zu verändern und Veränderungen auch zuzulassen. Das ist wie in einer binationalen Ehe, die wird auch garantiert scheitern, wenn einer sich dem anderen komplett anpasst. So ist es auch in der Gesellschaft. Wir können nicht verlangen, dass sich die Menschen komplett unterordnen und anpassen. Wenn das Miteinander auf Dauer gelingen soll, muss es eine beidseitige Entwicklung sein.
Sie sind in Köln zur Schule gegangen, haben hier auch studiert und gearbeitet. Welche Gefühle verbinden Sie mit der Stadt?
Wenn es so etwas wie Heimat gibt, dann ist das sicher Köln für mich. Ich war auch ehrlich gesagt tief gekränkt, als vor fünf Jahren der Roman erschienen ist, und das in Köln niemanden interessiert hat. Deswegen ist es so heilsam, dass mein Roman jetzt das „Buch für die Stadt“ ist. Das war die beste Nachricht des Jahres.