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Neue Direktorin„Die internationale Bibliotheksszene schaut nach Köln“

Lesezeit 7 Minuten
Anja Flicker ist neue Direktorin der Kölner Stadtbibliothek.

Anja Flicker ist neue Direktorin der Kölner Stadtbibliothek.

Anja Flicker ist seit Beginn des Jahres Direktorin einer der innovativsten Bibliotheken - aber sie startet ihren Job in Köln auf einer Baustelle.

Frau Flicker, seit Beginn des Jahres sind Sie Direktorin der Kölner Stadtbibliothek. Kannten Sie Ihre Vorgängerin Hannelore Vogt?

Ja, denn ich war schon einmal Ihre Nachfolgerin - 2010, als ich die Leitung der Würzburger Stadtbibliothek übernommen habe, damals ging Hannelore Vogt nach Köln. Tatsächlich schaut schon länger die ganze Bibliotheksszene nach Köln - national und international. Denn Frau Vogt hat hier sehr viel Innovatives gemacht, die Bibliothek ist international bestens vernetzt und Themen wie KI wurden hier schon sehr früh aufgegriffen. Für mich war das ein großer Ansporn, mich zu bewerben - weil die Kölner Bibliothek tatsächlich Vorreiterin ist.

Wie würden Sie Ihre Bibliotheks-Philosophie beschreiben?

In meiner Würzburger Zeit konnte ich an einem weltweiten Programm für die Entwicklung von Führungskräften öffentlicher Bibliotheken teilnehmen. Und zu sehen, was die Kollegen und Kolleginnen in anderen Ländern tun, hat mir die Augen geöffnet und meinen Blick verändert auf das, was Bibliotheken leisten können. Hier in Deutschland haben sich die Bibliotheken lange auf den Schwerpunkt Medien- und Informationskompetenz fokussiert. Doch in Skandinavien, den Niederlanden und in vielen afrikanischen Ländern, wird die Rolle von Bibliotheken schon seit geraumer Zeit viel breiter interpretiert.

Eine Bibliothek beinhaltet so viel mehr als nur Bücherregale.
Anja Flicker

Wie kann das konkret aussehen?

Eine Bibliothek beinhaltet so viel mehr als nur Bücherregale. Sie muss die Frage beantworten: Was braucht die Stadtgesellschaft und was kann die öffentliche Bibliothek dafür leisten? Als ich in Würzburg eine neue Stadtteilbibliothek geplant habe, hatte ich schon den Gedanken eines „Dritten Ortes“ im Hinterkopf – ein Raum, der der Stadtgesellschaft gehört und so offen wie möglich ist. Die Bibliothek haben wir dann damals zusammen mit dem niederländischen Architekten Aat Vos gestaltet. Und der hat übrigens auch die Stadtteilbibliothek in Köln-Kalk entworfen, in der wir gerade sitzen! Daran sieht man, dass Hannelore Vogt und ich schon sehr lange ähnlich ticken.

Das Interim der Zentralbibliothek hat im Februar erstmals geöffnet - die Bücher stehen aber noch im Keller und es gibt nur einen kleinen Ausgaberaum.

Das Interim der Zentralbibliothek hat im Februar erstmals geöffnet - die Bücher stehen aber noch im Keller und es gibt nur einen kleinen Ausgaberaum.

Es ist für Sie also kein Problem, dass Sie in Köln jetzt quasi vor vollendete Tatsachen gestellt werden, wenn es um die Pläne für die Sanierung der Zentralbibliothek geht?

Nein, denn da die Sanierung ja auch wieder zusammen mit Aat Vos geplant wurde, deckt sich das natürlich weitestgehend mit meinen Vorstellungen. Und das Entscheidende kommt dann ja ohnehin erst, wenn die Sanierung abgeschlossen ist - unsere Konzepte und Antworten auf die Frage: Wie bespielen und gestalten wir den Raum? Denn die Bibliothek wird ja so umgebaut, damit sie möglichst flexibel sein wird.

Was ist Ihnen dabei wichtig?

Schwerpunkte werden auf jeden Fall die Themen Nachhaltigkeit, gute Stadtgesellschaft und Demokratiebildung sein: Wie können die Menschen vernetzt und im Gespräch bleiben? Die Bibliothek soll ein Raum sein, wo verschiedene gesellschaftliche Gruppierungen zusammenkommen können.

Warum ist Ihnen gerade das Thema Demokratiebildung so wichtig?

Wir erleben gerade, und das nicht erst seit gestern, dass sich die Gesellschaft immer stärker spaltet: Wir entfernen uns voneinander, unterschiedliche Gruppen kommunizieren weniger miteinander und haben dementsprechend auch weniger Verständnis füreinander. Das individuelle Bedürfnis steht im Zentrum – zum Nachteil der Gemeinschaft. Ich denke, wir brauchen deswegen dringend mehr Wertschätzung und Respekt und dafür müssen wir im Gespräch bleiben und besser aufeinander achten. Es ist wichtig, daran aktiv zu arbeiten – gerade weil die gesellschaftliche Strömung zurzeit ganz stark in eine andere Richtung geht.

Es war schön, zu sehen, dass die Kölner ihre Zentralbibliothek vermissen
Anja Flicker

Warum glauben Sie, dass ausgerechnet Bibliotheken gute Orte für Demokratiebildung sind?

Wir sind eine Institution, die für alle da ist, die von vielen respektiert wird und zu der viele eine positive Einstellung und eine Vertrauensbasis haben – und wir sind nicht parteipolitisch, religiös oder kommerziell. Man darf einfach nur da sein und muss nichts konsumieren. Bibliotheken vereinen also so viele positive Werte – das ist ihr Alleinstellungsmerkmal und das sollten wir ausnutzen.

Wir führen unser Interview an einem Tag, an dem das Fachpersonal frei hat. Die Stadtteilbibliothek in Köln-Kalk ist aber trotzdem offen.

Ja, das muss man mal erlebt haben, was hier trotzdem los ist. Und dann merkt man: So einen Raum können wir nicht einfach mitten in der Woche schließen oder von Freitagnachmittag bis Montag. Auch wenn man gesehen hat, wie hier sonntags die ganzen Familien kommen. Wir kommen in Deutschland aus einer Tradition, wo Bibliotheken nur dazu da waren, um Bücher auszuleihen. Doch erst, wenn eine Gesellschaft erlebt hat, was Bibliotheken noch alles sein können, verlangt sie auch danach.

Wird gerade saniert: Die Zentralbibliothek am Haubrichhof.

Wird gerade saniert: Die Zentralbibliothek am Haubrichhof.

Köln steht vor einem riesigen Haushaltsloch. Und was das Thema Sanierung angeht, läuft es hier auch nicht richtig rund. Hat Ihnen das keine Sorgen gemacht, als Sie sich für einen Job hier entschieden haben?

Die finanzielle Lage ist ja leider in den meisten Großstädten mehr als angespannt. Das war auch in Essen nicht anders, wo ich vorher die Bibliothek geleitet habe. Und genauso stecken auch in vielen großen Städten die Bibliotheken gerade in Bauprojekten. Auch in Essen wird gerade ein Bestandsgebäude saniert, damit die Bibliothek dort einziehen kann. Die Kölner Oper ist natürlich ein Extremfall – aber die Sanierung der Zentralbibliothek ist ja eine komplett andere Baustelle. Ich war also einiges gewohnt und das Thema Transformation begleitet uns ja ständig. Da möchte ich mich einmischen, damit es in eine Richtung läuft, die möglichst vielen Menschen nutzt.

Der Neumarkt gilt als Problemplatz mit hohem Drogenkonsum.

Das ist mit Sicherheit ein gravierendes Problem. Und ich hoffe, dass dafür bessere Wege gefunden werden, bis die Zentralbibliothek wieder geöffnet wird – ohne die Drogenkranken einfach zu verdrängen. Die Akteur*innen vom „Haus der Architektur Köln“ auf dem Haubrichhof arbeiten ja auch zum Beispiel sehr engagiert an der Frage, wie man alle Beteiligten zusammenbringen und den Platz positiv bespielen kann.

Auch wenn Sie eine Bibliothek nicht auf Bücher reduzieren möchten - was lesen Sie gerne?

Ich war tatsächlich auch so ein Bibliothekskind und lese immer noch sehr gerne. Aus einem Podcast habe ich den Tipp mitgenommen, ein Jahr lang nur Bücher von Frauen zu lesen. Davon habe ich mich inspirieren lassen. Schließlich wurde in den vergangenen Jahrzehnten ja viel mehr von Männern publiziert und besprochen. Und auch die Kritiker waren meistens männlich. Für mich ist das ein schönes Projekt, deswegen lese ich gerade viele aktuelle Romane von Frauen, und gerne auch Krimis.

Wie ist Ihr erster Eindruck von Köln?

Wir haben hier auf jeden Fall super engagierte Leute, die brennen für ihren Job und hängen sich wirklich rein. Als ich im Januar angefangen habe, haben die Bibliotheks-Mitarbeitenden gerade für das Interim der Zentralbibliothek auf der Hohe Straße bei frostigen Temperaturen im Keller Bücher sortiert, damit die wieder möglichst schnell zur Verfügung stehen. Und jetzt gibt es ja schon die Möglichkeit, in einem Eckladen auf der Hohe Straße wieder etwas auszuleihen. Da gab es einen riesigen Run auf die Medien, die Zahl der Vormerkungen ist steil nach oben gegangen – das war schön, zu sehen, dass die Kölner ihre Zentralbibliothek vermissen.


Anja Flicker, 55, hat in Köln studiert und ihre Karriere 1993 an der Münchner Stadtbibliothek begonnen. 2001 wechselte sie in die freie Wirtschaft und verantwortete in zwei Unternehmen das Wissensmanagement. 2010 kehrte sie als Direktorin der Stadtbücherei Würzburg in das Bibliothekswesen zurück, 2020 übernahm sie die Leitung des Bibliothekssystems der Stadt Essen. Seit Beginn dieses Jahres ist sie Direktorin der Kölner Stadtbibliothek, die mit rund 2,4 Millionen Besucher*innen im Jahr Kölns publikumsstärkste Kultureinrichtung ist.

Das Interim der Zentralbibliothek auf der Hohe Straße 68-82 hat seit Anfang Februar geöffnet - zunächst jedoch nur als Ausleihstandort. Noch in diesem Frühjahr soll der Eingangsbereich im Erdgeschoss, das Untergeschoss und das erste Obergeschoss mit der Kinderbibliothek und einem kombinierten Café-, Lese- und Veranstaltungsbereich öffnen. Voraussichtlich im Sommer soll dann der gesamte Übergangsstandort an der Hohe Straße auf drei Etagen für das Publikum zugänglich sein. Die Eröffnung hatte sich mehrfach verschoben. Die Zentralbibliothek am Josef-Haubrich-Hof soll im ersten Halbjahr 2028 ihren Betrieb wiederaufnehmen. 140 Millionen Euro sind für die Sanierung aktuell eingeplant.