Museumsdirektor Matthias Hamann und Kurator Sascha Pries sprechen im Interview und im Podcast über ihre zahlreichen Herausforderungen.
Ungewöhnliche NeueröffnungWie passt ein Stadtmuseum in ein altes Kölner Kaufhaus?
Die Eröffnung des Kölnischen Stadtmuseums in seinem Interimsstandort im ehemaligen Modehaus Sauer steht unmittelbar bevor. Wie ist Ihre Stimmung kurz vorher?
Matthias Hamann: Wir haben gute Laune. Das ist herausfordernd und anstrengend, weil ganz viel gleichzeitig passieren muss, aber es läuft gut.
Sascha Pries: Für uns ist wichtig, dass wir das Ergebnis unserer Arbeit live und in Farbe sehen können, denn die Arbeit im Museum passiert oft Jahre im Voraus. Dass wir dem Kind, das wir so lange betreuen, beim Großwerden zuschauen können, ist eine intensive und schöne Zeit.
Die Eröffnung wurde mehrfach verschoben. Wie sehr haben diese Verzögerungen Ihre Arbeit belastet?
Pries: Für das Museum war es eine Durststrecke. Wir leben ja davon, dass wir den Leuten unsere Arbeit präsentieren können. Verzögerungen sind nicht schön, vor allem, wenn man das nicht in der Hand hat. Aber wir haben die Zeit genutzt und unsere Kräfte gesammelt, um Dinge zu verbessern.
Der Interimsstandort liegt sehr zentral, aber wie zieht man mit einem Museum in ein ehemaliges Kaufhaus?
Hamann: Das ist komplex. Wir haben eine sehr ausdifferenzierte Architektur, es sind alles Halbgeschosse, es gibt ein zentrales Treppenhaus. Damit muss man umgehen. Wir können keinen Platz verschwenden. Die Architektur gibt auch Vorgaben in der Materialität. Darauf muss man die Inszenierung abstimmen. Es ist eine Herausforderung, an einem Ort eine Ausstellung zu machen, der schon vorher ein Ort war. Ich finde es genial gelöst, wie das Kuratorenteam die Gegebenheiten genutzt hat.
Die Sammlung des Stadtmuseums umfasst mehr als 450.000 Exponate. Wie wählt man da aus?
Pries: Das ist eine gute Frage, zumal wir aus dem Zeughaus kommend wussten, dass sehr viele Teile der Stadtgeschichte dort keine Erwähnung gefunden haben. Ein Beispiel ist etwa die Arbeitsmigration des 20. Jahrhunderts. Wir haben stark ausgedünnt. Wenn in der Vergangenheit ein Dutzend Tonkrüge gezeigt wurden, zeigen wir jetzt noch einen – oder vielleicht auch keinen. Wenn man weniger Platz hat und mehr Geschichten erzählen möchte, muss man akzeptieren, dass bestimmte Teile der Geschichte einfach nicht mehr so viel Raum oder vielleicht auch gar keinen Raum mehr bekommen und dafür andere stärker in den Vordergrund rücken. Wir setzen eher auf Qualität der Objekte als auf Quantität. Man muss akzeptieren, dass wir weniger als ein Prozent der Sammlung zeigen können. Deswegen sind wir darauf angewiesen, in den kommenden Jahren in Sonderausstellungen andere Schwerpunkte zu setzen. Die Ausstellung kann nur eine Momentaufnahme sein.
In Ihrem neuen Ausstellungskonzept taucht immer wieder das Wort Emotionalisierung auf. Warum richten Sie Ihren Fokus darauf?
Pries: Wenn wir so offensiv vertreten, dass wir die Emotionen nutzen wollen, um Geschichte zu vermitteln, machen wir uns natürlich ein bisschen angreifbar. Aber wir zeigen, dass Geschichte und Geschichtserzählung immer ein Stück weit ausgewählt ist. Wir gehen damit offen um und erzählen Geschichte so, dass sie verständlicher wird, dass sich alle Leute dazu in Beziehung setzen können. Wir wollen den Besuchenden über diesen emotionalen Ansatz eine Hilfestellung geben. Wenn man die Frage „Was macht uns Angst?“ stellt, hat jeder eine Antwort. Wenn ein Museum es schafft, historische Perspektiven zu diesen Emotionen aufzumachen, kommt es plötzlich ganz nah ran.
Sie werden aber doch sicher mit dem Vorwurf konfrontiert, dieser Ansatz sei unwissenschaftlich.
Pries: Wir verbiegen die Geschichte nicht. Die Geschichten, die wir erzählen, sind wissenschaftlich belegt. Wir erfinden nichts. Wir bauen das nur anders zusammen und schaffen einen anderen Rahmen dafür. Wir müssen ein gutes Storytelling betreiben, weil wir ansonsten auf dem Markt nicht bestehen können gegen TikTok und Instagram. Wir müssen relevant sein und spannend erzählen.
Haben Sie sich auch deshalb für diesen Ansatz entschieden, weil er zur besonderen Beziehung der Kölnerinnen und Kölner zu ihrer Stadt passt?
Hamann: Das hat auf jeden Fall damit zu tun. Natürlich hat jede Stadt mit ihren Bewohnern eine emotionale Verbindung, aber in Köln ist das sicherlich noch mal anders. Das ist Teil des eigenen Storytellings. Es ist eine Stadt der Emotionen und damit zu arbeiten, ist sehr sinnvoll. Das geht hier wesentlich besser als in einer Stadt wie München.
In der Ausstellung gibt es acht Frageräume, die sich um Begriffe wie Liebe, Wut, Lust, Angst und Bewegung drehen. Das hat erstmal nicht viel mit Köln zu tun. Wie füllen Sie diese Räume mit Stadtgeschichte?
Pries: Einer der wichtigsten, vielleicht auch klarsten Räume, ist der zur Frage, wovor wir Angst haben. Das ist als Emotion für uns Menschen so prägend. Es geht um Terror, um Katastrophen, um Pandemien, auch um Krieg. Wir haben uns überlegt, welche Geschichten man dazu versammeln kann. Die Pandemie etwa gab es nicht nur jetzt, sondern auch früher, etwa mit der Pest. Wir stellen Objekte aus, die dazu Geschichten erzählen. Etwa Pestklappern, mit denen Pestkranke, wenn sie in die Stadt gelassen wurden, die Leute warnen mussten. Social Distancing würde man das heute nennen. Objekte, die aus verschiedenen Zeiten stammen, aber im Prinzip alle eine Aussage darüber treffen, wie Stadtgesellschaften damit umgehen, wenn Pandemien das öffentliche Leben so sehr einschränken.
Was muss ein modernes Stadtmuseum für eine Stadtgesellschaft jenseits der Vermittlung von Wissen über Geschichte leisten?
Pries: Gelungene Stadtmuseen haben es geschafft, interessierte Gruppen an die Häuser zu binden, auch jenseits von Geschichtsvereinen. Mit ihnen zusammen haben sie neue Themen erarbeitet oder an bestehenden Themen gearbeitet, sodass sie neue Gruppen erschlossen, aber auch als Institutionen eine unglaubliche Relevanz bekommen haben. Sie wurden sichtbar. Die Stränge und Strömungen innerhalb einer Stadt zu versammeln, ist eine Fähigkeit, die ein Stadtmuseum zumindest potenziell besitzt, und wir würden da gerne stärker reingehen.
Woher kommt es, dass das Stadtmuseum bisher in der öffentlichen Wahrnehmung der Stadt eine eher untergeordnete Rolle spielte?
Hamann: Das Museum ist sicherlich durch die Tatsache, dass wir geschlossen waren, aus dem Fokus geraten. Und die alte Präsentation war schlicht und ergreifend in die Jahre gekommen. Ich glaube, Stadtmuseen hatten, und das ist gilt nicht nur für Köln, in den 1990ern und 2000er Jahren angesichts des Booms von Kunstmuseen eine wesentlich geringere Relevanz. Wir beschäftigen uns aber alle mit unserem Umfeld, mit Fragen der Urbanität. Wenn ich mir eine Kunstausstellung anschaue, ist es eine schöne Freizeitbeschäftigung, aber wichtiger ist die Frage „Wie will ich leben?“. Und die kann in Stadtmuseen verhandelt werden. Dass wir ein Diskussionsort dafür sein können, bringt uns in eine völlig andere Situation, als das noch vor 15 Jahren der Fall war.
Wie es nach dem Interim weitergeht, ist noch unklar. Die Pläne für eine Historische Mitte sind zumindest vorerst geplatzt. Wie groß ist Ihre Angst, dass der jetzige Standort zur Dauerlösung wird?
Hamann: Das ist ein Interim, für uns nur eine Zwischenlösung. Zum einen haben wir sehr viel zu erzählen, zum anderen haben wir unglaubliche Bestände, die in die Öffentlichkeit sollten. Und das geht nicht nur über Sonderausstellungen. Also braucht man einen größeren Ort.
Aber hat Sie der Prozess nicht frustriert?
Pries: Ich habe diesen Prozess seit zehn Jahren begleitet. Mir ist das Projekt Historische Mitte schon sehr ans Herz gewachsen. Ich würde nicht sagen, dass ich über die aktuellen Entwicklungen enttäuscht bin, aber schon ein bisschen traurig, weil das ursprünglich angedachte Projekt einfach eine Riesenchance für den Kulturstandort Köln bedeutet hätte. In vielerlei Hinsicht hätte es Probleme gelöst, die jetzt wieder offen sind. Ich bin gespannt, wie sich die Planungen dazu in Zukunft entwickeln werden.
Hamann: Ich kann da nur für mich sprechen: Mich spornt es an. Ich bin schon so lange in dieser Stadt, ich weiß, wie sie tickt. Und ich weiß, dass sie nie linear nach vorne geht, das ist immer ein Zickzack. Man muss gucken, wo die Chancen liegen. Es ist ja nicht das Ende. Ich bin überzeugt davon, dass wir eine Lösung finden.
Matthias Hamann ist seit Oktober 2023 Direktor des Kölnischen Stadtmuseums. Der promovierte Kunsthistoriker leitete vorher seit 2007 den Museumsdienst der Stadt Köln. Sascha Pries ist als Kurator mit seinem Kollegen Stefan Lewejohann für das Konzept der neuen Dauerausstellung verantwortlich.
Das Kölnische Stadtmuseum wird am 22. März mit einem Festakt an seinem neuen Standort, Minoritenstraße 13, eröffnet. Ab dem 23. März ist es für Besucher geöffnet. Alle Infos zur Neueröffnung finden Sie hier.